Gefährliche Abhängigkeit Warum gehört Deutschlands größter Gasspeicher Gazprom?

Die Oberfläche ist unscheinbar, das unterirdische Ausmaß des Gas-Speichers im niedersächsischen Rehden lässt sich nur erahnen. Quelle: dpa

Deutschlands größter Erdgasspeicher Rehden gehört der Gazprom-Tochter Astora – und ist Symbol der dramatischen Abhängigkeit der Deutschen von Putins Gas. Warnungen vor der Macht des Kreml gab es schon früher. Wie konnte das passieren?

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Auf seiner Website erklärt die Betreiberfirma Astora Dimension und Bedeutung des Speichers Rehden schnell, schnörkellos und selbstbewusst: „Groß. Größer. Rehden“, heißt das Motto dort. So groß wie 910 Fußballfelder sei der unterirdische Speicher, 3,9 Milliarden Kubikmeter Erdgas fassen die Poren in 2000 Metern Tiefe, so viel, wie rund 2 Millionen Haushalte im Jahr verbrauchen. Rehden leiste „einen nachhaltigen Beitrag zur Versorgungssicherheit des Landes“, heißt es. Man könnte auch sagen: Wer einen der größten Speicher West-Europas kontrolliert, kontrolliert einen zentralen Teil der deutschen Energieversorgung. Wer Rehden und seine Füllstände beherrscht, hat Macht.

Röttgen: „Es war naiv und blauäugig“

Tatsächlich leistet der Speicher derzeit eher einen nachhaltigen Beitrag zur Versorgungsunsicherheit. Denn Rehden ist, Stand Donnerstag, nur zu 4,13 Prozent gefüllt, oder, anders ausgedrückt: von den 910 Fußballfeldern werden gerade einmal 38 bespielt. Die restlichen 872 sind verwaist, leer. Und so ist Rehden das derzeit markanteste Symbol der deutschen Abhängigkeit von Putins Erdgas. Denn Astoras Mutterkonzern ist der russische Monopolist Gazprom. Und der führt täglich vor: Dank Erdgas ist der Einfluss Russlands groß, größer, gefährlich geworden.

„Wir haben die Abhängigkeit und die sicherheitspolitischen Risiken, die aus dieser Beziehung entstehen, unterschätzt“, sagt der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen in der aktuellen Folge des Podcasts „Chefgespräch“ mit WiWo-Chefredakteur Beat Balzli. Und blickt kritisch auf die Entscheidungen der Vergangenenheit zurück: „Es war naiv und blauäugig, in diese starke Abhängigkeit oder Verflechtung hinein zu laufen“, sagt Röttgen. Die leeren Speicher seien bezeichnend für die derzeitige russische Weigerung, mehr Gas zu liefern als in langfristigen Verträgen vereinbart ist. „Russland und Gazprom erfüllen alle Verpflichtungen“, sagt Röttgen. „Aber sie könnten mehr Gas liefern. Das treibt die Preise kurzfristig hoch. Und auch wenn es zum Konflikt (in der Ukraine, Anm. d. Red.) kommt, wird Erdgas eine Rolle spielen. Wenn unsere Speicher dann nicht voll gefüllt sind, sind wir in unserer Widerstandsfähigkeit, in unserer Resilienz eingeschränkt.“

Gazprom kontrolliert bis zu 25 Prozent der deutschen Speicherkapazität

Dabei haben sich die Deutschen nach und nach und bei vollem Bewusstsein in die Hand Moskaus begeben. 20 bis 25 Prozent – je nach Zählweise – der Speicherkapazität in Deutschland gehören Tochtergesellschaften von Gazprom. Der Speicher in Rehden, der „Elefant im Raum“, wie ihn Sebastian Bleschke, Geschäftsführer der Initiative Energien Speichern (INES), des Interessenverbands der Speicherbetreiber nennt, ist dabei noch gar nicht so lange in der Hand des russischen Konzerns, sondern erst seit 2015 – und auch damals schon gegen den Widerstand von Mahnern.

Lesen Sie hier das Interview mit Sebastian Bleschke: Schützt eine Gasreserve vor Russlands Willkür?

Lange Jahre hatte der deutsche Konzern Wintershall, heute Wintershall Dea, eine Tochter des Chemie-Giganten BASF, in Rehden Gas gefördert. Als die Ressourcen erschöpft waren, ab 1993, nutzte Wintershall die unterirdischen Poren als Speicher. 2013 vereinbarte BASF dann ein milliardenschweres Tauschgeschäft mit Gazprom. Als Teil des Deals sollte Gazprom Wintershall-Anteile an Erdgasspeichern erhalten. Die EU-Kommission genehmigte das Geschäft, Ende 2014 sollte eigentlich alles unter Dach und Fach sein. Aber dann, Menetekel der Gegenwart, annektierte Russland die Krim, der Konflikt im Osten der Ukraine eskalierte zu einem Krieg. Die EU belegte Russland mit Wirtschaftssanktionen, das Tauschgeschäft der BASF mit Gazprom machte sich damals nicht gut – und wurde vorerst auf Eis gelegt.



War der Deal ein „Meilenstein“? Und für wen?

Aber nur vorerst. Denn im September 2015, nach Abschluss des Minsker Abkommens, das die Situation beruhigte, wurde der Deal dennoch vollzogen. Damit ging nicht nur der Speicher in Rehden in den Besitz von Gazprom über, sondern auch der Kavernenspeicher Jemgum in Niedersachsen (Motto: „Schnell. Schneller. Jemgum“) sowie ein Anteil am Erdgasspeicher Haidach bei Salzburg.

Nicht, dass es damals keine warnenden Stimmen gegeben hätte, aus Osteuropa, aber auch aus Deutschland. So gab der Grünen-Bundestagsabgeordnete Oliver Krischer „Deutschlandfunk Kultur“ ein Interview, in dem er über den Deal sagte: „Gerade in der aktuellen Krise ist das ein ganz großes Problem. Man kann ja nur darüber staunen, dass wir über Sanktionen gegen Russland, gegen Putin sprechen, und gleichzeitig wird der größte Gasspeicher Deutschlands an Gazprom verkauft.“ Und Krischer sagte: „Ich will mir nicht ausmalen, wenn wir tatsächlich mal einen Krisenfall haben, wie dieser Speicher dann eingesetzt wird.“

Im Bundestag stellte Krischer eine Kleine Anfrage zu dem Thema, gemeinsam mit seiner Fraktionskollegin Annalena Baerbock. Krischer ist heute Parlamentarischer Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Baerbock bekanntermaßen Außenministerin.

Die damalige Bundesregierung focht die Kritik nicht an. Dort hieß es: Keine Einwände. Von den EU-Sanktionen sei das Geschäft auch nicht betroffen. „Die Versorgungssicherheit ist nicht gefährdet.“ Der Satz wird heute auf Anfrage noch standardmäßig verschickt. Die Abhängigkeit der Deutschen vom russischen Gas war offensichtlich. Und dennoch überwog das Gefühl der Sicherheit: Die haben immer geliefert. Die werden das auch weiter tun. Eine Gasreserve brauchen wir nicht. Es gibt den Weltmarkt. Die Niederlande liefern. Die Norweger auch. Und zur Not kommt eben Flüssiggas (LNG) per Schiff, zwar nicht nach Deutschland aber zu Terminals benachbarter EU-Staaten. Und bei BASF und Gazprom feierten sie. „Wir sind überzeugt“, sagte ein BASF-Sprecher, „für eine sichere Energieversorgung Europas brauchen wir auch weiterhin Erdgas aus russischen Quellen.“ Gazprom-Chef Alexej Miller bezeichnete den Deal als Meilenstein. Nur: Für wen genau war jetzt ein entscheidendes Ziel erreicht?

Sicher. Sicherer. Reserve?

Zumindest, was die Gasreserven betrifft, scheint sich die Einstellung in der Bundesregierung nun zu ändern. Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck hat vergangene Woche eine Gasreserve ins Spiel gebracht, auch in der SPD mehren sich die Stimmen, die eine Reserve in den deutschen Speichern vorhalten wollen.

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Insgesamt sind die Speicher in Deutschland, Stand Donnerstag, zu 39,5 Prozent gefüllt, ein historischer Tiefstand. Wie so eine Reserve genau gestaltet werden soll, soll im Frühjahr entschieden werden. An sich sind die Betreiber von Speichern, also die Infrastruktur, von Lieferanten formal getrennt. Speicherkapazitäten müssen ersteigert werden. Eine Variante, so niedrige Füllstände wie in diesem Winter künftig zu verhindern, könnte vorsehen, dass die Betreiber den Sommer über gewisse Mindeststände gewährleisten müssen, die den jeweils nächsten Winter absichern. Das Motto könnte dann lauten: Sicher. Sicherer. Reserve.

Mehr zum Thema: Gazprom drossele absichtlich die Lieferungen, um politischen Druck aufzubauen, heißt es. Stimmt nicht, heißt es aus Russland: Deutschland habe zu wenig Gas bestellt. Was stimmt? Gasflussgrafiken zeigen die Wahrheit.

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