WirtschaftsWoche: Wirtschaftsminister Robert Habeck hat positive Botschaften vermittelt: 2023 haben wir in Deutschland den CO2-Ausstoß stark reduziert wie seit 1990 nicht mehr. Und bei den Klimaschutzzielen bis 2030 sind wir den Annahmen nach erstmals auf Kurs. Gehen Sie bei der positiven Beurteilung mit?
Matthias Kalkuhl: Es kommt darauf an, worauf man schaut. Es ist noch längst nicht sicher, dass wir unsere Ziele 2030 erreichen. Und schon gar nicht die für 2045. Im vorigen Jahr war sicher im Energiesektor der Erfolg enorm. Da wurden in großem Maß Emissionen eingespart. Der Sektor ist für zwei Drittel der CO2-Minderung 2023 verantwortlich. Das wiederum hat viel damit zu tun, dass weniger Kohle und wieder mehr Gas verstromt wurde, als vorher angenommen. Und da sind dann die schwachen Sektoren: Bei Gebäuden ist nicht genug passiert. Ganz schwach schneidet der Verkehr ab, aber auch die Landwirtschaft.
Wie sind die Zahlen der Industrie zu verstehen: Steht dahinter vor allem der Einbruch der Produktion, etwa in der Chemie und beim Stahl, oder erkennen Sie Fortschritte bei den Emissionen?
Beides spielt in der energieintensiven Industrie eine Rolle. Wir hatten im vergangenen Jahr einen sehr starken Rückgang der Produktion durch die hohen Gaspreise. Die Strompreise waren entsprechend hoch. Die Industrie hat aber auch gezeigt, dass sie sehr flexibel ist. Wo es relativ einfach war, wurde Gas ersetzt oder eingespart.
Zur Person
Matthias Kalkuhl ist Co-Leiter der Denkfabrik MCC, des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change. Der Ökonom ist zudem Professor an der Universität Potsdam. Er forscht zu CO2-Bepreisung und Maßnahmen zur CO2-Entnahme sowie Verteilungsaspekte der Klimapolitik.
Gibt es Hinweise, dass der Produktionsrückgang wegen hoher Energiepreise nicht nur vorübergehend, sondern dauerhaft sein könnte?
Das lässt sich noch nicht erkennen. Beim Gas nähern sich die Preise wieder dem Vorkrisenniveau. Es gibt eine gewisse Normalisierung. Die Frage für die Industrie ist jetzt, welche Kosten durch die Klimapolitik, etwa durch steigende CO2-Preise, noch dazu kommen. Die EU setzt auf einen CO2-Preis zur Erreichung der Klimaziele. Das übt einen gewissen Druck auf Unternehmen gegenüber denen etwa aus den USA oder China aus, die anders vorgehen. Deshalb sind auch Mechanismen wie der europäische CO2-Grenzausgleich wichtig. Mit ihm soll die Verlagerung von CO2-Emissionen in andere Länder vermieden und damit europäische Produktion geschützt werden. Er verändert den Zugang anderer Produzenten zum europäischen Markt und soll ab 2027 gelten. Zugleich sind auch die Klimaschutzverträge, wie sie die Bundesregierung vorsieht, ein gutes Mittel, um die Industrie hierzulande zu modernisieren.
Wie sehen Sie die weitere Entwicklung der deutschen Industrie? Das Umweltbundesamt geht in seinem Bericht zu den Treibhausgasemissionen davon aus, dass die Industrie erst 2028 wieder eine Produktion erreicht, wie sie 2015 zuletzt hatte.
Es kommt vieles zusammen für die deutsche Industrie: Kriege und Krisen werden uns noch beschäftigen, es gab Corona, die deutsche Automobilindustrie hat den Strukturwandel verschlafen. Die Erholung wird eher noch dauern.
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