Historisches Niedrigwasser „Wenn der Pegel so bleibt, können keine Mineralölschiffe mehr fahren“

Auf dem Rhein fahren die Mineralölschiffe mit geringer Ladung. Quelle: imago images

Das bisschen Regen hilft nicht: Das Niedrigwasser auf dem Rhein bringt die Industrie in Bedrängnis, sagt Steffen Bauer, Chef des Rheinschiffers HGK Shipping. Er warnt vor Engpässen und kritisiert die Politik.

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Auf dem Rhein ist HGK Shipping eine Macht. Mit 350 Schiffen gehört der Logistikkonzern zu den größten Binnenschiffern Deutschlands. Doch das Unternehmen erlebt eine Ausnahmesituation: Die Pegelstände auf Deutschlands wichtigster Wasserstraße sinken auf Tiefststände, einige Bereiche sind für Großschiffe bereits nicht mehr befahrbar, sagt Steffen Bauer, seit 2020 Chef der HGK Shipping. Das hat Folgen, besonders für Chemiewerke und Tankstellen.

WirtschaftsWoche: Herr Bauer, wie sehr freuen Sie sich über den Regen im Rheinland?
Steffen Bauer: Den Binnenschiffern nützt Niederschlag am Mittel- und Niederrhein nur bedingt. Wir brauchen idealerweise den Niederschlag am Hoch- und Oberrhein, also in der Schweiz und im Süden Deutschlands. Wenn es dort anhaltend regnet, läuft das Wasser langsam wie eine Welle Richtung Nordsee. Dann hätten wir zumindest für eine kurze Zeit am ganzen Rhein steigende Pegel und Entspannung. Aber wenn es hier in Köln für ein bis zwei Tage regnet, haben wir als Binnenschiffer davon nicht wirklich viel.

Wie viel müsste es denn überhaupt regnen, damit der Pegel wieder auf ein normales Level steigt?
Ich bin kein Meteorologe. Aber aus Erfahrung wissen wir, dass nach so einer Trockenheit nur ein paar Tage Regen noch nicht reichen. Das kennt man aus dem Garten: Wenn der Boden sehr trocken und hart ist und man dann gießt, nimmt der Boden das Wasser auch nicht auf. Wir brauchen also eine längere Regenperioden im Süden und höhere Niederschlagsmengen – und idealerweise danach nicht wieder zwei Folgewochen mit Temperaturen von über 30 Grad Celsius.

Am Dienstagmorgen lag der Pegelstand in Kaub bei 31 Zentimetern, nicht mehr weit entfernt von dem historischen Tiefststand von 25 Zentimetern. Wie kritisch ist die Situation?
Das Flussbett ist keine gerade Autobahn, die Fahrrinnen haben unterschiedliche Tiefen. Deshalb sind auch die Pegelstände nicht alle gleich kritisch. In Duisburg-Ruhrort haben wir aktuell noch 1,55 Meter, in Köln sind es 75 Zentimeter. Kaub ist ein kritischer Punkt, bei diesen Tiefstständen können Großschiffe am Oberrhein nicht mehr fahren. Das trifft auch BASF in Ludwigshafen, einer der weltgrößten Chemieproduzenten, der auch noch 60 Prozent seiner Güter über die Binnenwasserstraße bezieht. Aber der Oberrhein ist jetzt nur noch für kleinere Schiffseinheiten befahrbar, weil wir dort einen kritischen Pegel erreicht haben.

Auf dem Rhein werden nicht nur Chemikalien transportiert, sondern auch Kohle oder Treibstoffe – drohen jetzt Engpässe?
Wenn sich der Pegel in Kaub auf diesem niedrigen Niveau einpendelt oder noch weiter fällt, können auch keine Mineralölschiffe mehr fahren. Die sind aber unter anderem notwendig, um im Süden Deutschlands die Tankstellenversorgung zu gewährleisten. Wenn die Mineralölschiffe nicht mehr fahren, dann kann es also Engpässe an der ein oder anderen Tankstelle in Süddeutschland geben. Das haben wir 2018 schon erlebt. Natürlich wird versucht, Mengen, die nicht mehr per Binnenschiff transportiert werden können, auf die Bahn und die Straße zu verlagern. Aber es verzögert sich alles. Wenn wir von der Wasserstraße auf andere Verkehrsträger wechseln müssen, dann kann es Versorgungsengpässe bei Rohstoffen für die Industrie und auch bei bestimmten Produkten des Endverbrauchers geben.



Ihre Flotte besteht aus 350 Schiffen, wie viele können davon aktuell noch fahren?
Unsere Schiffe sind noch weitestgehend im Einsatz, aber nicht in ihrem originären Fahrgebiet. Unsere kleineren Motorgüterschiffe - die sind so 65 oder 85 Meter lang - haben wir am Oberrhein und am mittleren Rhein im Einsatz. Aber unsere Großraumschiffe wie die Koppelverbände, die auch viel Tonnage transportieren können und die wir auch für die Versorgung der Kraftwerke einsetzen, können nicht mehr am Oberrhein fahren. Der Pegelstand ist für diese Schiffe zu niedrig. Die Koppelverbände sind Richtung Köln und Duisburg verlagert und fahren dort Güter für die Stahlindustrie und Kraftwerksversorgung.

Auch an den Seehäfen gibt es Engpässe. Wie lang müssen ihre Schiffe in Rotterdam warten?
In vielen Bereichen hat sich die Wartezeit verdoppelt. Das hängt natürlich von dem Transportgut ab, an den Kohleterminals gibt es weniger Stau als an den Containerterminals. Aber das primäre Ziel der Häfen ist immer, dass die Seeschiffe als erstes abgefertigt werden, damit sie ihre Rückreise antreten können. Die Seeschiffe sind teurer als die Binnenschiffe. Wir warten teilweise bis zu sieben Tagen und länger, bis unsere Schiffe wieder in den Verkehr kommen.

Niedrigwasser bedeutet auch weniger Tiefgang. Wie viele ihrer Schiffe sind noch voll beladen?
Beinahe kein Schiff auf dem Rhein ist noch voll beladen. Das geht technisch-nautisch nicht bei diesen Pegelständen.

Wie viel weniger Ladung kann deshalb transportiert werden?
In einem Jahr transportiert die Branche in Deutschland etwa 200 Millionen Tonnen, heruntergebrochen sind das im Schnitt monatlich etwas über 16 Millionen Tonnen. Im Monat August können wir theoretisch mit dem durch die Niedrigwassersituation begrenzten Schiffsraum zwischen 60 und 70 Prozent transportieren. Die Mengendifferenz, die nicht verlagert werden konnte, muss in den Folgemonaten unter Normalwasserbedingungen allerdings aufgeholt werden.



Was passiert mit der Ladung, die ihre Schiffe nicht mitnehmen können?
Wir verteilen die Ladung auf unsere Schiffsflotte, die wir einsetzen können. Zusätzlich mieten wir weiteren Schiffsraum an, um so viele Transporte wie möglich für unsere Kunden durchzuführen. Die Kunden müssen dann abwägen, welche Rohstoffe wichtiger sind und welche Lieferungen man vielleicht schieben kann. Oder sie prüfen, welche Güter sich auf andere Verkehrsträger verlagern lassen, auf die Schiene oder die Straße. Aber ein LKW transportiert zwischen 20 und 25 Tonnen. Wir transportieren zwischen 3000 bis zu 6000 Tonnen je Schiff. Binnenschiffe kann man nicht so schnell durch Lastwagen kompensieren.

„Die Binnenschifffahrt wird stiefmütterlich behandelt“

Auch Schiene und Straße sind überlastet. Können Sie bei Niedrigwasser überhaupt noch auf andere Verkehrswege ausweichen?
Für uns ist das eigentlich keine ungewöhnliche Situation. Es hat sich schon vor Wochen abgezeichnet, dass wir in eine Phase mit Niedrigwasser kommen. Dann fahren unsere Industriekunden ihre Bestände vorsorglich hoch. Aber nach nun bereits sechs Wochen anhaltendem Niedrigwasser sind bei ohnehin gestörten Lieferketten auch irgendwann die Grenzen der Binnenschifffahrt erreicht. Wir haben aktuell ohnehin schon knappe Kapazitäten in der Binnenschifffahrt auf dem Rhein, auch ohne Niedrigwasser.

Wo sind denn all die Kapazitäten in der Binnenschifffahrt hin?
Das sind verschiedene Sondereffekte. Die Ukrainekrise hat dazu geführt, dass 200.000 Tonnen an Schiffsraumkapazitäten vom Rhein an die Donau verlagert worden sind, um Agrarprodukte zu transportieren. Der Schiffsraum fehlt hier am Rhein im Moment. Wegen der Gaskrise transportiert die Branche außerdem deutlich mehr Steinkohle. Diese Steinkohle wird in der Regel mit Großraumschiffen transportiert, die in der Regel über feste Langzeitverträge an die Kraftwerke gebunden sind. Die Großraumschiffe stehen damit dem restlichen Markt nicht mehr zur Verfügung. Ein weiterer Sondereffekt ist der Fachkräftemangel in der Binnenschifffahrt, den auch wir haben. Die Coronapandemie ist noch nicht vorbei, und die Sommerwelle führt dazu, dass der Krankenstand nach oben geht. Dadurch verlieren wir natürlich auch Produktivität. Das alles führt zu einer Verknappung der Transportkapazitäten - bei noch fallenden Wasserständen.

BASF hat bereits Frachter bestellt, die für Niedrigwasser optimiert sind. Ist das die Lösung?
Wir haben im Niedrigwasserjahr 2018 die Entscheidung getroffen, dass wir einen gewissen Anteil an tiefgangoptimierten Schiffen für kritische Verkehre benötigen. Wir haben aktuell fünf beauftragt, davon sind bereits zwei in Betrieb, ein Gastankschiff und ein Chemietankschiff. Die „Gas 94“ ist das einzige Gastankschiff, das aktuell noch unterhalb von Kaub fahren kann. Heute Morgen haben wir 250 Tonnen für Ludwigshafen bei einem Kauber Pegel von 31 Zentimetern geladen.

Aber das sind nur zwei Schiffe. Bräuchten Sie nicht viel mehr Schiffe, die für Niedrigwasser optimiert sind?
Wenn der Pegel mal sechs Wochen am Stück auf diesem Niveau läge, dann würden wir auf dem Rhein kaum noch Mengen transportieren können. Aber das ist ein Extrem, und wir müssen aufpassen, dass wir nicht nur in Extremen denken. Wenn wir in Kaub einen Pegelstand von durchschnittlich einem Meter haben, dann können wir mit unserer Flotte die Anforderungen der Industrie gut bedienen.

Der Mittelrhein sollte zwischen Budenheim bei Mainz und St. Goar schon lange vertieft werden – aber bisher ist nichts geschehen. Wie schlimm wiegt das Versäumnis?
Das ist sehr bedauerlich, das Projekt steht bereits im Masterplan Binnenschifffahrt. Hätte man das umgesetzt, hätten wir jetzt bei dem aktuellen Niedrigwasser eine deutlich entspanntere Situation.

Wie optimistisch sind sie, dass die Rheinvertiefung bald kommt? Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) will den Etat für Wasserstraßen kommendes Jahr um 360 Millionen Euro kürzen.
Wenn es um Ausbau und Instandhaltung der Infrastruktur geht, wird die Binnenschifffahrt immer stiefmütterlich behandelt. Wenn die Bundespolitik die Autobahn ausbaut, hat das nicht nur positive Effekte für die Lastwagenverkehre, sondern auch für die Privatpersonen – also für die Wähler. An der Deutschen Bahn ist der Staat beteiligt. Da steht das System Wasserstraße am Ende der Prioritätenliste. Die Politik verkennt, welchen Stellenwert das System Wasserstraße für die Versorgung der Industrie hat. Das kann man aktuell sehr schön erkennen. Deshalb plädiere ich dafür, sich das gesamte System anzuschauen. Wir brauchen keinen Masterplan Binnenschifffahrt, auch keinen Masterplan Schiene – wir brauchen einen Masterplan Transport, der alle Verkehrsträger einbindet.

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Wie soll der aussehen?
Entscheidend dabei ist, dass die Politik versteht, dass Logistik ein zusammenhängendes Netzwerk ist. Ein plastisches Beispiel: Wenn die Deutsche Bahn ihre Trassen und Infrastruktur modernisiert, dann muss wegen der Baustellen häufig der Güterverkehr eingeschränkt werden. Und wohin sollen diese Güter dann verlagert werden? Die Binnenschifffahrt ist der einzige Verkehrsträger, der noch Mengen aufnehmen kann, während die Bahn und die Straße bereits an ihren Kapazitätsgrenzen operieren. Wenn wir schließlich aus der Kohle aussteigen, werden noch mehr Kapazitäten in der Binnenschifffahrt frei. Somit kann man Güter von der Schiene und Straße verlagern, um die Infrastruktur zu entlasten und Modernisierungsmaßnahmen durchzuführen. Die Logistik ist immer ein Zusammenspiel aller Verkehrsträger. Ein erfolgreicher Industriestandort ist auf eine funktionierende Logistik und Infrastruktur angewiesen, das macht uns als Industriestandort erfolgreich. Aber das ist vielleicht eher ein Thema für die Zeit nach der Niedrigwasserperiode 2022.

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