Süßigkeiten, Chips und Fastfood Wie die Lobby versucht, Beschränkungen von Kinderwerbung zu sabotieren

Junge schaut Fernsehen Quelle: dpa

Das Ernährungsministerium will Kinderwerbung für Zucker- und Fettbomben stark einschränken – zum Ärger der Lebensmittellobby. Mit einem Gutachten will sie die Pläne torpedieren. Zu Recht?

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Die Kuh öffnet die Tür ihres Unterschlupfs und schlägt auf eine Glocke. Im Takt des Gebimmels textet ein Junge: „Paula ist ne Kuh, ne coole noch dazu!" Ein Mädchen schaukelt in einem Autoreifen, verpasst der Kuh Paula einen Gruß mit ihrer Faust. Die Werbelyrik dudelt weiter: „Die macht nen Pudding, der hat Flecken, den kannst du löffeln und auch schmecken."

Mit der Werbefigur Paula bewirbt der Konzern Dr. Oetker seinen Joghurt mit 13 Gramm Zucker pro Portion. Die Zielgruppe sind vorrangig Kinder. Andere Konzerne buhlen mit ähnlicher Reklame um ihre Gunst. Mit bunten Bildern und oft mit Unterstützung von Influencern flutet die Lebensmittelindustrie die Bildschirme von Handys und Fernsehern in deutschen Wohn- und Kinderzimmern.

Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft Cem Özdemir von den Grünen beabsichtigt, diese Werbepraxis nahezu komplett zu unterbinden und die süße Versuchung so zu stoppen. Mit einem geplanten Gesetz aus dem Ministerium könnte Werbung für Chips, Eiscreme oder Goldbären von Haribo für Kinder nur noch in sehr eingeschränktem Maße zulässig sein.

Die Lobby schlägt zurück

Und das sehr zum Missfallen der Lobby der Lebensmittelindustrie: Die hat sich Unterstützung durch die Statistiker Katharina Schüller und Walter Krämer geholt, um Özdemirs Vorhaben die Grundlage zu entziehen. In einem „wissenschaftlichen Gutachten" im Auftrag des Lebensmittelverbands Deutschland (Mitglieder: beispielsweise Haribo und Nestlé) kommen die beiden Autoren der „Unstatistik des Monats" zum Schluss: Es existiere kein Beweis für einen kausalen Zusammenhang zwischen Werbung für Süßkram und vermehrtem Übergewicht bei Kindern. Wörtlich heißt es: „Eine unvoreingenommene Bewertung der Studienlage führt jedoch zum Ergebnis, dass diese Meinung nicht durch Fakten gestützt wird."

Ist Özdemirs Plan einer Werbebeschränkung also nur Symbolpolitik, oder - um im Bild zu bleiben - Quatsch mit Vanillesoße? Das Landwirtschaftsministerium widerspricht: „Robuste wissenschaftliche Übersichtsarbeiten" deuteten darauf hin, dass Werbung für salziges und fettiges Knabberzeug „eine unausgewogene Ernährung bei Kindern und Jugendlichen begünstigt."

Und auch einer der kritisierten Wissenschaftler weist die Vorwürfe der Lebensmittelindustrie zurück. Tobias Effertz forscht und lehrt an der Universität Hamburg. 2021 veröffentlichte er eine Studie mit dem Titel: „Kindermarketing für ungesunde Lebensmittel in Internet und TV".

In einer von der Lebensmittellobby beauftragten Studie kommt Effertz Arbeit schlecht weg. Diese weise „eindeutig einen Mangel an wissenschaftlicher Sorgfalt" auf. Effertz entgegnet zu den Behauptungen in der Studie: „Die darin vorgebrachte Kritik gegenüber meiner Arbeit und insbesondere meiner Studie 2021 zum Werbeausmaß ungesunder Lebensmittel in Fernsehen und Internet, aber auch zur Befundlage des Werbeeinflusses auf das Essverhalten von Kindern allgemein weise ich entschieden zurück.

Ethisch und ökonomisch nicht möglich

Es stimme zwar, dass er und andere Wissenschaftlerinnen „keine Studie in Form eines experimentellen randomisiert kontrollierten Designs" durchgeführt hätten, allerdings sei eine solche Forschung unethisch und auch finanziell kaum zu stemmen. Der Grund: Forscher müssten eine größere Gruppe von Kindern über Jahre dem Einfluss von Werbung für Produkte wie Pudding oder Fanta aussetzen - und damit mutmaßlich schädliche Einflüsse auf die Kinder in Kauf nehmen. 

Für Effertz ist die wissenschaftliche Meinung in Sachen Werbewirkung auf Kinder klar: „In diesen Übersichtsarbeiten sind nahezu sämtliche Studien zum Thema systematisch untersucht worden. Jedes Mal wurde eine deutliche Werbewirkung auf Kinder und Jugendliche beziehungsweise deren Essverhalten abgeleitet."

Lotte Rose forscht an der Frankfurt University of Applied Sciences unter anderem zum Thema "Essen in pädagogischen Einrichtungen". Sie meint: Was die von der Lebensmittellobby beauftragten Statistiker als Goldstandard der Forschung fordern, wäre in der Wissenschaftspraxis weder ethisch noch ökonomisch machbar. Rose erklärt: "Im evidenzbasierten Sinne müsste man ja eine große Kindergruppe in einer Langzeitstudie den Werbemanipulationen aussetzen und schauen, wie sie essen, und vergleichend dazu eine andere Kindergruppe im werbefreien Raum aufwachsen lassen und schauen wie sie essen."

Einem geplanten Teilverbot von Werbung die wissenschaftliche Grundlage abzusprechen, brandmarkt Rose als PR-Maßnahme der Industrie: „Es ist nichts anderes zu erwarten, weil es ja um handfeste wirtschaftliche Interessen geht. (...) Gleichzeitig erschreckt mich aber auch die völlige Morallosigkeit in diesem Vorgehen. Es geht nur um Demontage der geplanten Maßnahme, kein Hinweis dazu, dass man sich als Lebensmittelindustrie der Bevölkerungs-, Kinder- und Planetengesundheit verpflichtet sieht und seinen Beitrag leisten will."

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Statistikerin Schüller hält dagegen: „Weder forschungsökonomisch noch ethisch ist mit Sicherheit eins: Eine Studie durchzuführen, die ein Werbeverbot aufgrund gesundheitlicher Folgeschäden fordert, die aber noch nicht einmal gesundheitliche Parameter untersucht, sondern lediglich eine verzerrte und intransparente Abschätzung der Zahl von Werbespots liefert, die Kinder angeblich täglich sehen". Und weiter:  „Wenn der Effekt von Werbung auf die langfristige Gesundheit belegt werden soll, dieser aber gar nicht Gegenstand einer eigens durchgeführten Studie ist, dann muss man schon darüber nachdenken, wofür hier eigentlich Geld ausgegeben wurde.“

Klingt ganz so, als hätte der Streit um die  Werbebeschränkungen gerade erst begonnen. 

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