Wettbewerb der Häfen Überall tut sich was – außer in Hamburg

Geringstes Ergebnis der letzten 15 Jahre: Der Hamburger Hafen verliert an Boden Quelle: dpa

Der Containerumschlag im wichtigsten deutschen Hafen fällt auf historische Niedrigwerte. Die Hoffnungen der Stadt ruhen jetzt auf einem einzigen Reeder. Es ist eine einseitige Wette mit mäßiger Erfolgschance.

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Die neue Deutschlandzentrale der größten Reederei der Welt soll auch die Verbundenheit zum neuen Standort markieren. Inmitten der Hamburger HafenCity will das Schweizer Familienunternehmen MSC ab 2026 für knapp 700 Angestellte eine Repräsentanz errichten. Mit mindestens sieben Stockwerken, 13.000 Quadratmeter Bürofläche, einem Restaurant, Fitnessstudio, einem Showroom – und einer Botschaft: Die Symbiose zwischen Hamburg und MSC, sie ist ein glorreiches Unterfangen. 

49 Prozent Anteil hat die Reederei am größten Hafenbetreiber HHLA erworben. 51 Prozent obliegen der Stadt. Im Mai will die Hamburger Bürgschaft den Deal vollständig beschließen. Dann soll es mit dem Hafen-Reformprogramm endlich losgehen.

Erst vor wenigen Tagen pries Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher MSC als die Hafenretter. Man wolle gemeinsam „erhebliche finanzielle Mittel“ aufwenden, um den Standort zu modernisieren. Ziel der Kooperation sei es, den Hafen zu einem Knotenpunkt der MSC-Schifffahrt auszubauen, ihm die „Schubkraft“ verleihen, die der Hafen in „schwierigen Zeiten“ benötige, sagte der Bürgermeister im Senat. Es sind große Hoffnungen, die die Stadt mit den Schweizern verbindet. 

Die Kritik an den Neuen nimmt nicht ab. Die Gewerkschaften fürchten einen massiven Stellenabbau, sobald die fünfjährige Abmachung zwischen Stadt und MSC, genau das zu unterlassen, einmal ihr Enddatum erreicht hat. Jetzt gehen auch aufgebrachte Eltern der Schule Campus HafenCity auf die Straße. Sie sorgen sich um Kinder, die wegen des Baus der Deutschlandzentrale „kein vernünftiges Lernumfeld“ vorfinden. Baulärm „wie während eines Rockkonzerts“ und schwerer Lastwagenverkehr drohten – welches Kind könne sich da noch auf Mathe und Deutsch konzentrieren, beschweren sich die Eltern im „NDR Hafenjournal“. 

Das neue HHLA-Eigentümer-Duo steht wahrlich vor schweren Aufgaben, und das betrifft nicht nur den Konflikt mit Gewerkschaften und Eltern. Viel entscheidender dürfte es sein, die Abwärtsspirale des Hafengeschäfts zu stoppen. Die neuesten Zahlen sind besorgniserregend: Der Warenumschlag ist auf den niedrigsten Stand seit 15 Jahren gefallen, insgesamt sind dem Unternehmen zufolge 2023 114 Millionen Tonnen Seegüter über die Kaikanten gegangen. Das sind 4,7 Prozent weniger als im Vorjahr und deutlich weniger als im Jahr davor. Auch der Containerumschlag verringerte sich nur in zwei Jahren um eine Million Boxen auf nun 7,7 Millionen Standardcontainer. Das Betriebsergebnis in der Sparte für Hafenlogistik: Nur 9 Millionen Euro Überschuss. Mehr erwirtschaftete das Unternehmen sogar mit seinen Immobilien (11 Millionen Euro).

Für den wichtigsten Hafen der Bundesrepublik sieht es düster aus. Zuletzt ist der Hamburger Hafen aus der Liste der 20 größten Standorte der Welt herausgeflogen – ein Wert mit Symbolkraft. Der Abstand zur Konkurrenz wird größer, und auch die kleineren Häfen wie Wilhelmshaven und Danzig machen Druck.  

Für Alexander Geisler, den Vorsitzenden des Verbands der Schiffsmakler – den großen Schiffsbefrachtern, die sich auf eine gute Hafen-Infrastruktur verlassen – sind die Hamburger Zahlen allein „kein Grund für schlaflose Nächte“. Zum einen seien Hafenleistungen „auch immer Spiegel der Industrie eines Landes“. Geringere Wirtschaftskraft machten sich in einer Rezession nun einmal bemerkbar. So sind auch die Umschlagzahlen der Wettbewerber zurückgefallen: Der Containerumschlag bei dem europäischen Branchenprimus Rotterdam sank um 7 Prozent, ebenso viel verlor auch Antwerpen, die Nummer zwei in der nordeuropäischen Dreierrunde. 

Was Geisler allerdings Sorgen bereitet, ist die Leistungsfähigkeit des Hafens und die Geschwindigkeit, mit der auf neue Anforderungen eingegangen wird. Die Produktivität, seit Jahren das große Problem der HHLA, kommt nicht vom Fleck. Im wichtigsten Leistungsindex internationaler Containerhäfen, dem Port Performance Index von der Weltbank, rutschte Hamburg auf Rang 328, von weltweit 348 ausgewerteten Häfen. Der Index bewertet anhand zahlreicher Kriterien die Durchlaufzeit eines Schiffes für verschiedene Größen und Containermengen. Während die Konkurrenz sich verbessert (Rotterdam stieg um 30 Plätze auf 265; Wilhelmshaven sogar um über 100 Plätze auf 118), verliert Hamburg an Boden. 

Als Gründe für die langsameren Abläufe und geringen Effizienzen sehen Experten die zuweilen händisch betriebenen Terminals und unübersichtlichen Prozesse in den Hochphasen der Schiffseinfahrten. So stauten sich nach den Coronalockdowns vor zwei Jahren die Frachter vor der Deutschen Bucht auch infolge der Durchlaufzeiten. Hamburgs wichtigster Kunde Hapag Lloyd entschied sogar, einen Teil seiner Ladung im benachbarten Bremerhaven zu bearbeiten.


„Für Reedereien ist es oft einfacher und günstiger, die Ladung in modernen Häfen wie Rotterdam oder Shanghai zu löschen, weil sie sehr effizient und flexibel betrieben werden“, sagt Trine Nielsen, die für die digitale Spedition Flexport das Frachtgeschäft in Europa verantwortet. Sie beobachtet, dass in den vergangenen Jahren in Hamburg Themen wie Innovation und Produktivität „weniger vorangetrieben“ worden seien als woanders. 

Rotterdam investierte im vergangenen Jahrzehnt massiv in die Automatisierung, verweist stolz auf seinen personenlosen Betrieb der Terminals, in denen Container auf vorgezeichneten Routen wie von Geisterhand gezogen von Kränen und Wagen bewegt werden. Nielsen nennt  als Vorzeigebeispiel auch die „beeindruckenden Strukturen“ in Shanghai, wo das Management praktisch den gesamten Hafen auf Wasser errichten ließ, damit die Schiffe entlang einer lang gezogenen Kaimauer nicht in das Stadtinnere hineinfahren müssen. Auch das spart Reedern Zeit und Geld.

Von solchen Realitäten ist Hamburg weit entfernt. Doch erfährt der Hafen nicht nur Druck durch die Großen. In Europa sind es auch eine Reihe kleinerer und mittlerer Häfen, die Marktanteile streitig machen. Flexport-Managerin Triene zufolge sind es die Kleineren, die bei vielen Abläufen flexibler sind und auch die Möglichkeit haben, ihre Strukturen ins Hinterland zu erweitern. Viele von ihnen sind auch in dem schwierigen vergangenen Jahr gewachsen: Die Häfen im rumänischen Konstanza und polnischen Gdansk steigerten wegen größerer Weizenlieferungen aus der Ukraine ihre Warenmengen um je 20 Prozent. Auch die Häfen in Bilbao, Kiel oder Oslo wuchsen trotz Krise. Das lag zum Teil an den geringeren Kosten. Und daran, dass Reeder versuchen, ihre Ladung schneller ans Ziel zu bringen und den letzten Teil der Strecke per Zug transportieren.

Alles auch Anforderungen, denen sich der Hamburger Hafen stellen muss. Dabei helfen sollen Investitionen des neuen Betreibers MSC. Stadt und Unternehmen wollen das Eigenkapital der HHLA um 450 Millionen Euro erhöhen. Was mit dem Geld konkret passiert? Bislang unklar. Ab kommenden Mittwoch will die Stadt sich ein Bild über die Investitionssnöte verschaffen. Experten zufolge könnte es dann vor allem darum gehen, bereits begonnene Maßnahmen voranzutreiben: Die Automatisierung der Terminals, auch etwa die Hafen-Westerweiterung, um die großen Schiffe einfacher zu bearbeiten.

Ein bisschen „provinziell“

Für Alexander Geisler von den Schiffsmaklern reichen die Investitionen und das Engagement des Reeders allein kaum aus. Denn der Hamburger Standort leide auch an ungünstigen Rahmenbedingungen. „In Deutschland wird die Bedeutung der Häfen für die Volkswirtschaft regelmäßig unterschätzt“, sagt er. Es fehle auch eine Strategie seitens der Politik über die Bedeutung der Häfen, auch Gelder für Infrastrukturen und Zukunftsprojekte fehlten. Im Moment stellt der Bund 38 Millionen Euro für Häfen bereit – für mehr als 60 Häfen. Die fordern jetzt mindestens 400 Millionen, jährlich. 

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Um zum Beispiel Wasserstoff zu importieren, bräuchte man eine „funktionierende Importstrategie“ der Häfen, sagt Geisler. Um Schiffe mit Methanol oder mit Ammoniak zu betreiben, seien Bunkermöglichkeiten nötig – große Investitionen und Projekte, von denen auch Hamburg in Zukunft profitieren könnte. „Andere Standorte wie Antwerpen oder Singapur sind da klarer, entschiedener und schneller“, sagt Geisler. In Hamburg und Deutschland hingegen verhinderten eine Vielzahl von Behörden und Ländern, dass es vorangehe. Ein bisschen „provinziell“ sei das schon. Es klingt ganz so, als ob eine neue Deutschlandzentrale eines Hoffnungsträgers Hamburg allein nicht retten könnten. Aber die Stadt und MSC haben mit Elternbeschwerden auch so genug zu tun.

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