Covestro-CEO Markus Steilemann „Bestimmte Produkte kann man in Deutschland nicht mehr wettbewerbsfähig produzieren“

Die Chemiebranche steht unter Druck. Im Interview nennt Covestro-CEO Markus Steilemann Gründe – und rechnet mit der Politik ab. Quelle: PR

Die Chemiebranche kämpft mit schwacher Nachfrage. Das trifft auch den Kunststoffhersteller Covestro. Im Interview spricht CEO Markus Steilemann über Konsequenzen, ärgert sich über Christian Lindner und schweigt zu den Übernahmeverhandlungen mit Adnoc.

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Als Chef des Verbands der Chemischen Industrie (VCI) zeichnet Markus Steilemann für die Zukunft der Chemieindustrie in Deutschland ein düsteres Bild. Es seien vor allem die im internationalen Vergleich hohen Energiepreise, wegen denen sich hierzulande viele Produkte nicht länger wettbewerbsfähig produzieren lassen, sagt er im Gespräch mit der WirtschaftsWoche.

Seit vielen Monaten plädiert Steilemann vehement für die Einführung eines Industriestrompreises. Erste Vorschläge dafür hatte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck Anfang Mai vorgelegt. Passiert ist seither aber nichts, selbst Steilemanns Brandbrief an Kanzler Scholz half nicht. Die Hoffnung aufgeben, will Steilemann als optimistischer Rheinländer trotzdem nicht.

Erschwerend kommt für die Branche hinzu, dass die Konjunktur auf dem weltweit größten Chemiemarkt China nicht in Schwung kommt und die USA hinter den Erwartungen zurückbleibt. Auch am Kunststoffkonzern Covestro ist die schwierige Marktlage zuletzt nicht spurlos vorbeigegangen. Im dritten Quartal hat der Kunststoffkonzern deutlich weniger verdient. Der operative Gewinn (Ebitda) schrumpfte von Juli bis September um 8,3 Prozent auf 277 Millionen Euro, wie der Dax-Konzern am Freitag mitteilte. Mit 3,6 Milliarden Euro setzte Covestro 22,7 Prozent weniger um als im Vorjahreszeitraum.

Covestro-Chef Markus Steilemann blickt optimistisch auf das Jahr 2024. Quelle: PR

Mit Blick auf 2024 klingt Steilemann deutlich optimistischer. Woher er die Hoffnung schöpft, berichtet er im Interview.

WirtschaftsWoche: Herr Steilemann, Covestro hat in diesem Quartal die geringe Nachfrage am Markt deutlich zu spüren bekommen. Sehen Sie Licht am Ende des Tunnels?
Markus Steilemann: Bei vielen unserer Kunden geht es langsam wieder aufwärts. Die Automobilindustrie hat sich dieses Jahr ganz positiv entwickelt. Es gab dort mittlere bis hohe einstellige Wachstumsraten. Bei der Elektronikindustrie und bei der Möbelindustrie gibt es leichte, positive Wachstumsimpulse. Nur bei der Bauindustrie ist der Trend negativ.

Seit dem Krieg in Nahost steigen die Ölpreise wieder. Die meisten ihrer Produkte basieren auf Öl. Wie groß ist ihr Problem?
Wir kaufen ja nicht Öl ein, sondern Derivate wie etwa Benzol. Und da entwickeln sich die Preise durchaus in unterschiedliche Richtungen. Auf mittlere Sicht passen sich unsere Margen und Preise dem Ölpreis an. Solange der Ölpreis nicht sprunghaft ansteigt, bin ich sicher, dass wir das gut gehändelt kriegen.

Das klingt ja ganz positiv. Viele ihrer Managerkollegen malen eher schwarz. Ist Covestro besser aufgestellt als die Konkurrenz?
Ich glaube, unsere Prognose war schlichtweg weniger optimistisch und wir haben weniger Hoffnung in das zweite Halbjahr gesteckt als die Konkurrenz. Für mich waren Anfang des Jahres schon viele bedrohliche Signale da. Der Standort Deutschland befindet sich in sehr schwerem Fahrwasser. Wir haben in Deutschland eine ganze Reihe struktureller Probleme, die ich immer wieder gerne aufzähle: Die hohen Energiepreise, überbordende Bürokratie, ein dringend reformbedürftiges Steuergesetz sowie komplexe Planungs- und Genehmigungsverfahren. Das führt dazu, dass man bestimmte Produkte in Deutschland nicht mehr wettbewerbsfähig produzieren kann. Oft auch nicht mehr in Europa. Gegenüber den Importen aus China und den USA geraten europäische Unternehmen ins Hintertreffen. Dann sind auch große Unternehmen gezwungen zu handeln.

Auch Covestro?
Wir handeln schon. Wir haben schon 2021 einen groß angelegten Restrukturierungsplan aufgestellt und strukturelle Kostenanpassungen angekündigt. Die laufen jetzt. Ob es in Zukunft zu weiteren Ankündigungen kommt, hängt sehr stark davon ab, wie sich die strukturellen Rahmenbedingungen in Deutschland entwickeln.

Stichwort hohe Energiepreise: Haben Sie noch Hoffnung, dass es einen vom Staat garantierten Industriestrompreis für die energieintensive Industrie geben wird?
Hoffnung ist keine Strategie. Aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Natürlich habe ich Hoffnung, so bin ich nun mal. Kölner und Rheinländer sind immer optimistisch. Die Signale der Politik sind allerdings eher ernüchternd. Bei Herrn Lindners Steuerschätzung für 2024 ist bei mir nicht der Eindruck entstanden, dass er die überbordenden und üppig fließenden Steuereinnahmen aus der energieintensiven Industrie wenigstens teilweise für Investitionen zurückgeben möchte. Im Gegenteil: Ich glaube, Herr Lindner wird seine restriktive, geizige Linie einfach weiterfahren.

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Sie finden, die Branche hat sich den Industriestrompreis verdient?
Bei einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft haben Forscher berechnet, was die energieintensive Industrie jährlich an Steuern und Sozialabgaben an Bruttowertschöpfung stiftet: 250 Milliarden Euro Bruttowertschöpfung im Jahr und 2,4 Millionen Arbeitsplätze allein in Deutschland. Und jetzt diskutieren wir, ob wir sechs, zehn oder vielleicht 13 Milliarden Euro in einen Industriestrompreis stecken.

Und was ist die Konsequenz daraus, wenn es keinen Industriestrompreis geben wird?
Das Einzige, was wir dann tun können, ist Hilfe zur Selbsthilfe. Wir werden den Standort Deutschland ganz fair und objektiv bewerten bezüglich Marktpotential, Standortfaktoren und Gesamtkosten. Auf dieser Basis entscheiden wir dann, wo die nächsten Wachstumsinvestitionen stattfinden. Die Chemieindustrie in Deutschland hat schon einige Stiche hinnehmen müssen. Tausend Stiche können aber auch zum Tod führen. Das ist das Problem bei schleichenden Prozessen: Die nimmt so lange keiner wahr, bis es plötzlich kracht. Davor heißt es immer: Die meckern sowieso nur.

Würde der Industriestrompreis reichen, um die deutsche Chemieindustrie vor größeren Kalamitäten zu bewahren?
Nein, der Industriestrompreis ist kein Rettungsanker. Für einige Unternehmer ist der Industriestrompreis existenzentscheidend, für andere hat er gar keine Auswirkung. In erster Linie wäre der Industriestrompreis ein klares Signal der Regierung an die Branche: Wir haben verstanden, dass ihr ein massives Problem habt und wir sind bereit zu handeln. Das würde das Gefühl stärken, dass es sich lohnt, hier am Standort zu investieren und zu bleiben.



Der arabische Öl- und Gaskonzern Adnoc hat eine Übernahme von Covestro im Visier. Ist der Übernahmepoker ein Alarmsignal für die Branche? Sind die deutschen Chemiekonzerne so geschwächt, dass sie zum Übernahmekandidaten von ausländischen Investoren werden?
Ich würde das eher positiv drehen: Unsere Strategie, unsere starke Vision und unser Potenzial werden offensichtlich auch von anderen positiv wahrgenommen. Ob das generell eine gute Entwicklung ist, lasse ich andere kommentieren.

Wie verlaufen denn die Gespräche mit Adnoc bisher?
Sie sind ergebnisoffen. Wir haben immer das Interesse unserer verschiedenen Stake- und Shareholder im Blick. Und wir bleiben bei unserer Kommunikationsstrategie: Wir berichten nur dann etwas, wenn die europäische Marktmissbrauchsverordnung es erforderlich macht.

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Um die grüne Transformation zu stemmen, braucht Covestro die nötigen finanziellen Mittel. Wenn die nicht von Adnoc kommen sollen, sind Sie dann auf der Suche nach anderen Großinvestoren?
Wir haben eine sehr klare, in sich schlüssige und damit auch eigenständig finanzierbare Strategie. Wir können die Transformation auch aus eigener Kraft durchsetzen. Ich spreche mich weder für noch gegen einen Großaktionär aus, sondern ich spreche mich generell dafür aus, dass der Vorstand immer und jederzeit im Interesse seiner Aktionäre handelt.

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