In den Tagen vor der Hauptversammlung kam es für Continental knüppeldick: Erst musste der Vorstand um Vorstandschef Nikolai Setzer zugeben, dass das erste Quartal deutlich schlechter angelaufen ist, als erwartet. Besonders die bereinigte Marge im wichtigen Autogeschäft war mit minus vier Prozent tiefrot. Dann griffen die Chefin der IG Metall und der Konzernbetriebsratschef das Management in einem Doppelinterview scharf an: Sparen allein sei keine Strategie, die Zukunftsperspektiven für die Beschäftigten insbesondere in Deutschland seien unzureichend, die Entscheidungen des Managements seien zu langsam – und es gebe „keine erkennbare Strategie“. Das sagten Christiane Benner und Hasan Allak in einem internen Interview, das ausgerechnet um 11:55 Uhr im Intranet von Conti veröffentlicht wurde. Die Aussagen wurden also noch garniert mit dem Wink: Es ist fünf vor zwölf bei Continental.
Zu allem Überfluss kam am Tag vor der Hauptversammlung noch die Nachricht über ein Millionenbußgeld: Wegen Verstrickungen in den VW-Abgasskandal will die Staatsanwaltschaft Hannover, dass Conti 100 Millionen Euro bezahlt.
So gesellt sich zu den zahlreichen internen Problemen (die Liste oben ließe sich fortsetzen) nun also noch eine neue Tonlage der Arbeitnehmerfraktion. Solche Sätze seien „völlig untypisch“ für die eigentlich sonst eher diplomatische und stellvertretende Conti-Aufsichtsratschefin Benner, heißt es. Und eigentlich auch für den sonst als meist sachlich bekannten Betriebsrat Allak. Im Unternehmen wird der scharfe Ton denn auch von manch einem als „bedeutsamer Wechsel im Umgang miteinander“ verstanden.
Nüchtern betrachtet könnte allerdings noch etwas anderes eine Rolle spielen: Continental will vor allem auch in Deutschland tausende Arbeitsplätze abbauen, was die IG Metall viele Mitglieder kosten könnte. Das wäre Grund genug für einen Warnschuss der IG Metall.
Continental: Sparen muss sein
Doch ein Festhalten am Status Quo hilft Continental auch nicht. Continental hat sich mit seinen Kapazitäten darauf eingestellt, dass weltweit deutlich mehr Autos produziert werden, als es heute der Fall ist. Die Pläne aber gehen derzeit nicht auf – während die Kosten weiter laufen. Und man ist personell vor allem auch in der Forschung und Entwicklung breiter aufgestellt als der Wettbewerb. Nun eben muss sich der Zulieferer schlanker positionieren, sonst kommt der Untergang so sicher wie das Amen in der Kirche: Dass der Zulieferer im Bereich Auto weltweit über 7000 Stellen streichen will, davon rund 1750 im Bereich Forschung und Entwicklung, ist vernünftig – auch wenn das der IG Metall nicht passt.
Auch stimmt der zentrale Vorwurf von Benner und Allak, dass Conti keine Strategie habe, nicht. Der Vorstand hat sehr wohl eine Strategie. Er will das Unternehmen zum Technologieunternehmen für (nach eigenen Angaben) „sichere, intelligente und nachhaltige Mobilitäts- und Material-Lösungen“ umbauen. Das hebt sich erstmal von vielen anderen Autozulieferern ab, die am Verbrenner festhalten und die sich nicht mit so einer klaren Idee ausrichten, wie Conti.
Mutiges Management
Um das Ziel zu erreichen, hat das Management auch schon häufiger mutige Entscheidungen getroffen, die ich so nur selten bei anderen Autozulieferern gesehen habe. Ein Beispiel ist die Abspaltung der ehemaligen Antriebssparte, die heute unter dem Namen Vitesco Technologies von Schaeffler übernommen wird. Damit entledigte man sich der Pflicht, das Verbrennergeschäft zu beerdigen und in den Antriebsstrang von Elektroautos zu investieren. Das Management hat früh erkannt, dass es nicht gleichzeitig in die verschiedensten Felder angemessen viel Geld investieren kann. Auch das war vernünftig. Viele andere Zulieferer kommen bis heute kaum voran mit der Transformation, sind noch viel zu abhängig vom Verbrennungsmotor. Da ist Conti weiter.
So könnte Continental eigentlich hoffnungsvoll nach vorne schauen – wenn bloß die schlechten Zahlen nicht wären. Noch geht die Strategie zumindest finanziell nicht auf. Da schärft das Management aber gerade nach. Man bereitet weitere Geschäftsfelder für den Verkauf, einen Börsengang oder andere Optionen vor. Ein Beispiel: Auto-Geschäftsfelder im Wert von 1,4 Milliarden Euro Umsatz stehen auf dem Prüfstand. Und auch in der Industriesparte ContiTech will man sich – endlich – auf das Industriegeschäft fokussieren, Geschäfte mit Autokunden könnten größtenteils weichen.
Der Anteil des Industriegeschäfts am Umsatz von ContiTech soll von aktuell rund 55 auf 80 Prozent steigen. Und auch der Geschäftsbereich User Experience (UX), in dem es um Displaylösungen für Fahrzeuge geht, wird derzeit für die organisatorische Unabhängigkeit vorbereitet (ein sogenanntes Carve-out). Um dem Konzern neue, strategische Optionen zu eröffnen, soll das Geschäft mit Anzeige- und Bediengeräten (Umsatz 2023: 3,5 Milliarden Euro) unabhängig werden – von einem Verkauf bis zum Einstieg eines Partners ist anschließend alles denkbar.
All das ist richtig und weitsichtig. Der Vorstand hat eine Strategie und sie ist gar nicht schlecht. Allerdings muss sich nun zeitnah der finanzielle Erfolg einstellen – sonst ist es bald wirklich fünf vor zwölf.
Lesen Sie auch: 100 Millionen Euro Bußgeld gegen Continental verhängt