Insolvenzgefahr MV Werften funken S.O.S

Carsten Haake, Geschäftsführer der MV Werften, steht nach einer Belegschaftsversammlung in der Schiffbauhalle der MV Werften am Heck des im Bau befindlichen Kreuzfahrtschiffs „Global Dream“. Quelle: dpa

Showdown an der Ostseeküste: In den nächsten Tagen entscheidet sich das Schicksal der MV Werften. Der Mutterkonzern Genting drängt auf millionenschwere Staatshilfen, um das weltgrößte Kreuzfahrtschiff fertig zu bauen.

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Mit Pleiten haben sie Erfahrung in Wismar, Rostock und Stralsund. Schon mehrfach durchliefen die Werften an der ostdeutschen Ostseeküste Insolvenzverfahren. Die Eigentümer wechselten, Mitarbeiter wurden entlassen. Doch immer ging es weiter. Irgendwie. Auch diesmal? 

Dass es bei den MV Werften kriselt, ist seit Monaten bekannt. Doch wie heikel die Lage tatsächlich ist, wurde erst am Freitag deutlich, als der Handel mit Aktien des asiatischen Genting-Konzerns, der die Werften 2016 für den Bau von Kreuzfahrtschiffen für eigene Reedereien erworben hatte, an der Börse in Hongkong ausgesetzt wurde. Fast zeitgleich wurde die fällige Zahlung der Löhne und Gehälter für die rund 2000 Mitarbeiter in Wismar, Rostock und Stralsund auf kommende Woche verschoben. „Wir haben 30 Millionen Euro Liquiditätsbestand. Aber es gibt rechtliche Rahmenbedingungen, unter denen wir nicht in der Lage waren, die Löhne und Gehälter heute zu zahlen“, sagte Geschäftsführer Carsten Haake nach einer Belegschaftsversammlung. Auch die Zukunft der Lloyd Werft in Bremerhaven, die ebenfalls zu Genting gehört, ist ungewiss. 

Hintergrund ist offenbar die ausstehende Einigung auf ein Rettungspaket, über das Bund und Land seit Wochen mit Genting Hongkong verhandeln. Weitere Gespräche auch auf höchster Ebene seien am Wochenende geplant, kündigte Haake an. Kommt es zu keiner Einigung ist ein Insolvenzantrag Anfang kommender Woche wohl unausweichlich. 

Mitarbeiter der MV Werften verlassen nach einer kurzfristig anberaumten Belegschaftsversammlung das Werftgelände. Quelle: dpa

Bund und Land sind zu weiteren Hilfen bereit, machen neue Kredite aber von Eigenleistungen des Werfteigners abhängig. Zusagen des Genting-Konzerns, der vom malaysische Milliardär Lim Kok Thai kontrolliert wird, stehen allerdings aus. Stattdessen versucht Genting vor Gericht, die sofortige Auszahlung eines Landeskredits in Höhe von 78 Millionen Euro durchzusetzen.

Das Vorgehen dürfte in der Politik die Förderfreude kaum steigern. Das Land verbürgt bereits Kredite im Umfang von 301 Millionen Euro und ist zwar bereit, weitere Hilfen zu gewähren. Doch knüpft die rot-rote Landesregierung dies daran, dass auch der Bund zusätzliche Kredithilfen gewährt. Der Bund wiederum ist über den Wirtschaftsstabilisierungsfonds bei den MV Werften mit insgesamt 300 Millionen Euro engagiert und hatte sich vor Weihnachten bereit erklärt, weitere 300 Millionen Euro zur Rettung der Werften zu gewähren. Dafür verlangt Berlin aber einen Eigenbeitrag des Eigentümers. Es fehle ein klares Bekenntnis der Eigentümer zu ihrer Werft, hieß es zuletzt. Dem Vernehmen nach geht es um rund 60 Millionen Euro. 

Am Sonntag appellierten Haake und der Präsident von Genting Hongkong, Colin Au, noch einmal an die Bundesregierung, ihre ablehnende Haltung zu bedenken. „Es geht um Tausende Familien“, sagte Au. Zusätzlich sei eine ganze Branche samt Zulieferer in In- und Ausland bedroht. „Die Werften jetzt fallen zu lassen, wäre der größte ökonomische Fehler, den die Bundesregierung machen könnte“, betonte Au. Haake warf dem Bund vor, die aktuelle Problematik verursacht zu haben, indem die Auszahlung von Geldern beim Bau des rund 1,5 Milliarden Euro teuren Schiffes „Global Dream“ beim Erreichen eines Bau-Zwischenstandes, dem sogenannten Meilenstein F, im vergangenen Dezember blockiert worden sei. Dem Bund sind Haake zufolge die Risiken für den Fertigbau des Schiffes aufgrund der Entwicklung in der Kreuzfahrtbranche zu groß.

Haake geht davon aus, dass sich die Bundesregierung aktuell nicht bewegen wolle und sich Genting nicht bewegen könne. Genting könne keine weiteren Kompromisse mehr machen. „Wir haben uns abgearbeitet an den Auflagen des Bundes“, sagte er. Vier Vorschläge Gentings seien vom Bund abgelehnt worden.

Ein Schiff als Sicherheit

„Wir stehen an der Seite des Unternehmens und seiner Beschäftigten, um diese schwere Zeit gemeinsam durchzustehen. Es liegt jetzt einzig an den Eigentümern, ebenfalls einen angemessenen Beitrag zu leisten“, sagte Wirtschafts-Staatssekretär Udo Philipp der Deutschen Presse-Agentur. Dazu sei Genting Hongkong derzeit aber nicht bereit. Es fehle ein klares Bekenntnis der Eigentümer zu ihrer Werft. „Das ist enttäuschend und gefährdet viele Tausend Arbeitsplätze in der Region“, beklagte Philipp. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), die beide im Einvernehmen über mögliche Finanzmittel des Bundes entscheiden müssen, stehen damit vor der ersten schweren Entscheidung, ob sie die Mittel dennoch freigeben sollen. Es dürfte nicht die letzte ordnungspolitische Konflikt bleiben. So ringt auch der angeschlagene Warenhauskonzern Galeria Karstadt Kaufhof derzeit um weitere Staatshilfen.

In der Schiffbauhalle der MV Werften liegt das im Bau befindliche Kreuzfahrtschiff „Global Dream“ im Baudock. Quelle: dpa

Nach dem coronabedingten Zusammenbruch des Kreuzfahrtmarktes Anfang 2020 war der Genting-Konzern, der sein Geld vor allem im Tourismus und mit Glücksspiel verdient, in finanzielle Schieflage geraten. Die für 2021 erwartete Trendwende blieb aus. Dabei galt die Übernahme durch Genting vor fünf Jahren noch als Glücksfall für die Werftengruppe. Als Reaktion auf den damals boomenden Kreuzfahrt-Markt investierte Genting massiv, stockte die Belegschaften auf und orderte für konzerneigene Reedereien Schiffe, darunter auch das riesige Kreuzfahrtschiff Global 1. Das 1,5 Milliarden Euro teure und für 9500 Fahrgäste konzipierte Schiff ist bereits zu drei Vierteln fertig. Auf ihm ruhen nun die Hoffnungen der Mitarbeiter in Mecklenburg-Vorpommern. Das Schiff sollte auch als Sicherheit für die Finanzspritze des Bundes verwendet werden.

Werftenchef Haake gab sich trotz der heiklen Lage zuversichtlich, dass die Global 1 fertiggestellt werden kann. „Die Hoffnung stirbt zuletzt. Wir sind auf einer Werft. Und da sind wir es gewohnt, dass es manchmal schwierige Zeiten gibt. Ich glaube, dass wir das Schiff zu Ende bauen werden“, sagte er. 

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Tatsächlich könnte dies aber auch unter dem Kommando eines Insolvenzverwalters erfolgen. „Das ist zumindest eines von verschiedenen Szenarien, die durchgespielt werden“, sagte Claudia Müller, maritime Koordinatorin der Bundesregierung, der Ostsee-Zeitung „Diese Variante wäre immer noch besser als verschrotten“, so Müller. 

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Mit Material von dpa und Reuters

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