Luftverkehr Boeing-Whistleblower: „Die bringen defekte Flugzeuge heraus“

Beim Modell 787 „Dreamliner“ soll Boeing gegen eigene Qualitätsvorgaben verstoßen haben. Quelle: dpa

Ein Boeing-Whistleblower behauptet, dass der Konzern beim Modell 787 „Dreamliner“ gegen eigene Qualitätsvorgaben verstieß. Er bekommt eine große Bühne im US-Senat. Boeing weist die Vorwürfe zurück.

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Bei einer Anhörung zu Pannen bei Boeing-Maschinen im US-Senat hat ein Whistleblower schludrige Qualitätskontrollen beim Flugzeugbauer sowie Schikane beklagt. Im Bemühen, so viele Maschinen wie möglich zu bauen, würden Abkürzungen bei der Produktion genommen, sagte Boeing-Ingenieur Sam Salehpour am Mittwoch (Ortszeit) vor einem Unterausschusses der Kammer in Washington aus. „Die bringen defekte Flugzeuge heraus“, ergänzte er. Am Mittwoch fand im US-Senat eine weitere separate Anhörung zu Sicherheitsstandards bei Boeing statt.

Dass sich die Abgeordneten dem Thema in solcher Intensität widmeten, galt Beobachtern als Fingerzeig für den immensen Druck, unter dem Boeing seit einem Zwischenfall im Januar steht: Mitten im Flug brach ein Kabinenteil einer Maschine vom Typ 737 Max über dem Staat Oregon weg. In der Kabine kam es zum Druckverlust, Gegenstände wurden nach draußen gesaugt, aber wie durch ein Wunder wurde niemand ernsthaft verletzt. Die Pilotin konnte das Flugzeug sicher in Portland notlanden. Gegen Boeing laufen mehrere Untersuchungen, auch das FBI schaltete sich ein und informierte die Insassen des Pannenflugs über Oregon, dass sie Opfer eines Verbrechens gewesen sein könnten.

In der Anhörung vor dem Senatsunterausschuss sagte Salehpour aus, dass Angestellte in einem Boeing-Werk mit übermäßiger Gewalt Bauteile eines Rumpfs des Dreamliners vom Typ 787 zusammengepresst hätten. Diese exzessive Kraftanwendung könne die Zusammensetzung des Kohlefaser-Materials beeinträchtigen, das für den Flugzeugrahmen genutzt werde. Er habe sich firmeneigene Boeing-Daten angeschaut und sei zum Schluss gekommen, dass „das Unternehmen Abkürzungen bei der Produktion im 787-Programm nimmt, die die Sicherheit und Lebensdauer des Flugzeugs erheblich mindern können“, erklärte Salehpour.

Der Rauswurf von Boeing-Chef David Calhoun ist nur der Anfang des Umbaus. An der Lage sind auch Aktionäre, die Politik und die Fluglinien schuld. Ein Blick auf die Probleme des Luftfahrt-Giganten.
von Rüdiger Kiani-Kreß, Julian Heißler, Thomas Stölzel

Als er dies intern zur Sprache gebracht habe, habe ihn sein Boss gefragt, ob er „drinnen oder draußen“ sei, also ob er Teil des Teams sei oder nicht. „Wirst du einfach die Schnauze halten?(...)so habe ich das aufgefasst“, sagte der Ingenieur. Es war das erste Mal, dass er seine Bedenken über die Produktionsmethoden rund um die Modelle 787 und 777 öffentlich äußerte.

Boeing erklärte, dass ein solcher Umgang mit der Belegschaft strikt verboten sei. Vielmehr ermuntere der Konzern seine Mitarbeiter, den Mund aufzumachen, sagte ein Sprecher. Seit Januar sei zudem ein Anstieg von mehr als 500 Prozent bei Meldungen aus dem Personal über ein Unternehmensportal verzeichnet worden.

Auch die Behauptungen über die strukturelle Integrität der Maschinen seien falsch, erklärte Boeing. Zwei leitende Ingenieure des Konzerns erklärten diese Woche, dass bei Designtests und Inspektionen von Flugzeugen, die mitunter zwölf Jahre alt seien, keine Hinweise auf Materialermüdung oder Risse in Verkleidungsplatten gefunden worden seien. Boeing-Vertreter wiesen zudem Salehpours Vorwurf zurück, wonach er beobachtet habe, wie Werksarbeiter auf Bauteilen eines Rumpfs einer 777 herumgehüpft seien, um sie in die passende Form zu bringen.

Unterdessen hörten Mitglieder des Handelsausschusses im Senat eine Expertenrunde an, die der Sicherheitskultur bei Boeing gravierende Mängel bescheinigte. Angestellte hörten zwar, dass das Management stets über Sicherheit spreche, spürten aber den Druck, Flugzeuge so schnell wie möglich durch die Fabrik zu bringen, sagte Javier de Luis, Dozent für Luftfahrttechnik am renommierten Massachusetts Institute of Technology. In Gesprächen mit Boeing-Mitarbeitern habe er erfahren, dass „es eine sehr reale Furcht für Retourkutschen und Strafen gibt, wenn man sich standhaft“ zeige.

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