Medikamente Pharma – die neue Lieblingsbranche der Ampel

Quelle: dpa Picture-Alliance

Zwei Tage lang reist Robert Habeck zu deutschen Pharmaunternehmen und preist die Branche. Und ausnahmsweise wird seine Liebe erwidert. Eine Labor-Rundreise mit dem Wirtschaftsminister.

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Als erstes fragt Robert Habeck nach dem Meerschweinchen. Das Nagetier prangt überlebensgroß auf einem Aufsteller im Eingangsbereich des Darmstädter Biotechunternehmens Zedira. Was es damit auf sich habe, will der Minister wissen. Geschäftsführer Ralf Pasternack erklärt ihm, dass früher ein wichtiges Enzym, das Zedira für seine Medikamenten-Entwicklung benötigt, aus der Leber des Meerschweinchens gewonnen wurde. Zedira arbeitet an einem Medikament gegen Glutenunverträglichkeit, das gegen Ende dieses Jahrzehnts auf den Markt kommen könnte. Habeck ist zufrieden.

Der Bundeswirtschaftsminister will viel wissen, als er am Montag und Dienstag dieser Woche etliche Pharmaunternehmen in Hessen, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt besucht. Kleinere Biotechunternehmen ebenso wie große Konzerne und Familienunternehmen. Bei Merck in Darmstadt, das auch Halbleitermaterialien produziert, lässt er sich die Innovationszyklen der Chipbranche erklären. Beim Medizintechnikunternehmen B. Braun im hessischen Melsungen will er wissen, ob die fahrerlosen Transportsysteme, die er in einer Produktionshalle entdeckt hat, über einen selbstlernenden Algorithmus verfügen, um ihre Arbeit selbstständig verrichten zu können. Doch soweit ist es noch nicht. Kurz zuvor hat Habeck wieder einmal betont, wie wichtig die Pharmabranche ist. Er wolle die Medikamenten-Industrie „sichtbarer“ machen, erklärt er gleich mehrfach, der schlechte Ruf der Branche sei ungerechtfertigt. Das hören die Unternehmer gern. Der Ton ist freundlich-konstruktiv.

Pharmakonzerne investieren Milliarden

Tatsächlich ist die Pharmaindustrie inzwischen so etwas wie die Lieblingsbranche der Ampelregierung. Hier gibt es keinen lästigen Streit um hohe Energiekosten, kein Geschacher um Subventionen. Tatsächlich investieren große Pharmakonzerne gerade Milliarden in Deutschland. Vor wenigen Wochen begann der US-Konzern Eli Lilly mit dem Bau einer Fabrik im rheinland-pfälzischen Alzey, die unter anderem Abnehmspritzen herstellen soll. 2,7 Milliarden Euro lassen sich die Amerikaner das kosten. Zum Spatenstich kam gleich ein Quartett deutscher Spitzenpolitiker angereist. Neben Bundeskanzler Olaf Scholz und Ministerpräsidentin Malu Dreyer hoben auch Gesundheitsminister Karl Lauterbach und Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger symbolisch Erde aus.

Und Lilly ist kein Einzelfall. Derzeit investieren auch Roche (Schweiz), Daiichi Sankyo (Japan) und  Abbvie (USA) größere Summen in Deutschland.. Auch die deutschen Hersteller Bayer und Boehringer Ingelheim lassen sich bei Investitionen nicht lumpen. Erst vor wenigen Tagen hat Kanzler Scholz eine mRNA-Produktion bei Merck eröffnet.

Neue Gesetze für die Hersteller

Dass die Medikamenten-Hersteller derzeit so reichlich investieren, hat wiederum viel mit Habeck zu tun. Jahrzehntelang fühlte sich die Pharmabranche als Stiefkind der Politik. Als Opfer von Regulierung und sich ständig verschlechternden finanziellen Rahmenbedingungen. Von Preismoratorien, höheren Rabatten und weniger Erstattung durch die Krankenkassen. Die Branche, so klagten ihre Vertreter, werde lediglich als Kosten-, nicht als Innovationsträger gesehen.

Kurz nachdem Habeck ins Amt gekommen war, wurde die Branche bei ihm vorstellig. Allen voran der Verband Forschender Arzneimittelhersteller unter seinem Präsidenten Han Steutel. Viele Konzerne seien durchaus zu größeren Investitionen in Deutschland bereit, lockten die Lobbyisten. Aber dazu brauche es klare Signale aus der Politik. Und die Politik lieferte. Gesundheitsminister Karl Lauterbach arbeitete Gesetze aus, um klinische Studien schneller durchführen und Gesundheitsdaten besser nutzen zu können. Die Bundesregierung präsentierte eine Pharma-Strategie, ein klares Bekenntnis zur Branche und organisierte einen Pharma-Gipfel im Kanzleramt.

Viel Bürokratie, viel Leid

Seither loben Pharma-Manager wie etwa Hagen Pfundner, Deutschland-Chef von Roche, Scholz und Habeck in höchsten Tönen. Zu verbessern gibt es freilich noch vieles. Bei seiner Pharma-Reise durch Deutschland klagen die meisten Unternehmer über die immer noch ausufernde Bürokratie. Bei Merck in Darmstadt besichtigt Habeck etwa eine modulare Produktionsanlage, auf der mehrere Produkte hergestellt werden können, dazu müssen bloß einige Komponenten angepasst oder ausgetauscht werden. Das beschleunigt die Entwicklung. Nur muss, so wollen es die Vorschriften, bei jeder Änderung an einem Bauteil, das ganze System neu genehmigt werden, was dann wieder viele Monate dauert. Der Vorteil der Schnelligkeit ist damit dahin. „Ich nehme das mal mit“, sagt Habeck schließlich.

Später, bei einem Treffen in Frankfurt, klagen Mittelständler ebenfalls über Bürokratie und darüber, dass kleinere Innovationen in der Medizin – sogenannte Schrittinnovationen – von den Kassen kaum noch honoriert werden. Habeck nimmt sich zurück, hört zu, macht sich Notizen und verspricht, sich zu kümmern. Vorsichtshalber weist er schon mal darauf hin, dass sein Ministerium nicht alles ändern könne. Große Ankündigungen macht er ihnen nicht. Und dennoch sagt ein Unternehmer beim Rausgehen: „Das ist deutlich besser als das, was wir bis vor drei Jahren erlebt haben.“ 

Lesen Sie hier mehr über die Investitionen der Pharmakonzerne                 

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