Siemens Energy Schon wieder eine Notbremse bei der Windtochter Siemens Gamesa

Siemens Gamesa bleibt im Onshore-Geschäft. Quelle: imago images

Siemens Energy hat eine hochriskante Entscheidung getroffen: Trotz Milliardenverlusten bleibt die Windtochter Gamesa im Onshore-Geschäft – und bekommt einen neuen Chef. Der muss nun Wunder bewirken. Ein Kommentar.

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So sehr sich Siemens-Energy-Boss Christian Bruch müht, den erneuten Austausch des Chefs bei Siemens Gamesa als planmäßigen Generationswechsel darzustellen: Das ist allenfalls ein Teil der Wahrheit. Tatsächlich hat Bruch wohl die Notbremse gezogen, wieder einmal. Der Spitzenjob bei der chronisch sanierungsbedürftigen Windtochter wechselt zum vierten Mal seit der Fusion der Siemens-Windsparte mit der spanischen Gamesa 2017. Der 62-jährige Jochen Eickholt wird ihn keine zweieinhalb Jahre ausgefüllt haben. Wäre das so geplant, wäre es schlechte Planung.

Auch Eickholt war nicht der richtige Mann für die extrem anspruchsvolle Aufgabe. Das kann Siemens-Energy-Aufsichtsratschef Joe Kaeser eigentlich nicht völlig überrascht haben. Kaeser hatte mit Eickholt sehr viele Jahre bei Siemens zusammengearbeitet (wo man am Ende keine rechte Aufgabe mehr für ihn fand). Auch Bruch kannte Eickholt aus anderthalb gemeinsamen Vorstandsjahren nach dem Spin-off von Siemens Energy 2020. Seinen Ruf als „harter Sanierer“ erwarb sich Eickholt mit einem Führungsstil von vorgestern: Er macht Vorgaben ohne Rücksicht darauf, ob seine Mannschaft diese auch nur ansatzweise für realistisch hält. Sie soll die Vorgaben einfach „nur“ erfüllen – wie, interessiert ihn nicht. Wer nicht performt, fliegt.

Die Qualitätsprobleme, die Siemens Gamesa Anfang 2023 in der installierten Flotte an Land entdeckte und die im Sommer zu milliardenschweren Rückstellungen führten, kann man Eickholt kaum anlasten. Wohl aber, dass Siemens Energy kurz zuvor noch Milliarden für die Komplettübernahme der zuvor börsennotierten Windtochter ausgab. Durch Eickholts rabiaten Stil häuften sich wohl auch die Abgänge wichtiger Ingenieure und Manager.

Die schlingernde Windtochter Siemens Gamesa belastet Siemens Energy abermals mit einem Mittelabfluss in Milliardenhöhe. Wann der Vertrieb von Onshore-Anlagen wieder aufgenommen wird, bleibt unklar. 
von Angela Maier

Die Qualitätskosten scheint er immerhin in den Griff bekommen zu haben. So konnte die im Sommer 2023 installierte Qualitäts-Task-Force bei den Reparaturen der Onshore-Anlagen die veranschlagten Kosten bisher einhalten. Mindestens so schwierig ist allerdings die Aufgabe, die vor Siemens Gamesa liegt. Seit vergangenem August ist der Vertrieb der aktuellen Onshore-Plattformen 4.X und 5.X gestoppt, und die Produktion wurde nach unten gefahren. 

Bruch und sein Aufsichtsrat haben nun eine folgenschwere und hochriskante Entscheidung getroffen: Sie wollen das Onshore-Geschäft weiterführen, obwohl es seit 2017 fast nur Verluste produziert hat und weiter produziert. Einzige Einschränkung: Es soll weitgehend auf Europa und die USA fokussiert werden – beides Märkte mit stabilem regulatorischem Rahmen. 

Ab Oktober soll die problematische 4.X-Plattform in revidierter Form wieder zum Verkauf angeboten werden, ab 2025 auch die neuere 5.X. Verbunden damit ist ein Wiederanlauf der Produktion, der erstmal sehr teuer wird. Denn bis die volle Auslastung erreicht wird, kann es dauern. Dabei ist die Zeit eigentlich knapp: Die Rückkehr in die Gewinnzone hat Bruch für das im nächsten Jahr beginnende Geschäftsjahr versprochen.

Wiederanlauf des Onshore-Geschäfts ist reiner Hoffnungswert

Von außen ist kaum nachvollziehbar, wieso Siemens Energy diese Entscheidung getroffen hat. Der Wiederanlauf des Onshore-Geschäfts ist aus heutiger Sicht ein reiner Hoffnungswert. Extrapoliert man die Vergangenheit, würde man eher erwarten, dass es wieder schiefgeht. Die Bedrohung durch chinesische Wettbewerber dürfte jedenfalls kaum kleiner werden.

Vermutlich dämmerte den Verantwortlichen, dass der Wiedereinstieg ins Onshore-Geschäft mit dem Potenzial einer „Mission Impossible“ mit einem Managertypen wie Eickholt kaum Chancen hätte. Der Nachfolger, Siemens-Energy-Vorstand Vinod Philip, scheint da aus ganz anderem Holz. Der indische Ingenieur, der lange in den USA studiert und gearbeitet hat, tritt überzeugend auf und kann Unternehmenskreisen zufolge seine Mannschaften motivieren. In über zweieinhalb Jahrzehnten in Siemens‘ Energiegeschäft hat Philip sich konzernintern hohe Glaubwürdigkeit erworben. Als Siemens vor Jahren im Gasturbinengeschäft technisch zurückgefallen war, wurde unter seiner Projektleitung eine neue hocheffiziente Turbine entwickelt, mit der sich der Konzern wieder an die Spitze zurückkämpfte.

Auch Philip wird allerdings keine Wunder bewirken können, zumal er sich im Windgeschäft neu einarbeiten muss. Die Börse scheint all dies völlig auszublenden: Der Siemens-Energy-Aktienkurs hat sich im laufenden Jahr auf 22 Euro nahezu verdoppelt. Getrieben ist diese Euphorie primär durch den Anfangserfolg von GE Vernova, dem US-Wettbewerber, den General Electric kürzlich via Spin-off an den Aktienmarkt gebracht hat.

Die mittel- und langfristigen Risiken für Siemens Energy aus dem Onshore-Geschäft sind jedoch nach wie vor enorm.

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