Stahl in Duisburg Thyssenkrupp will Tausende Arbeitsplätze streichen

Das Stahlwerk von Thyssenkrupp Steel Europe im Norden von Duisburg. Wie lässt sich hier nachhaltig Geld verdienen? Quelle: imago images

Stahlchef Bernhard Osburg hat skizziert, wie er die Sparte restrukturieren will: Mit einer geringeren Kapazität, mit Arbeitsplatzabbau, auch das Werk der HKM steht zur Disposition. Auf Duisburg kommen unruhige Wochen zu.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Thyssenkrupp Steel Europe, die Stahlsparte von Thyssenkrupp, zieht Konsequenzen aus einer Auftragslage, die sich nach Meinung des Vorstands in Duisburg offenbar nicht nur konjunkturell, sondern auch strukturell – also dauerhaft – verschlechtert hat. Deshalb will der Vorstand um Stahlchef Bernhard Osburg die „installierten Produktionskapazitäten“ in Duisburg von derzeit 11,5 Millionen Tonnen Stahl auf einen „Versandzielkorridor“ von 9 bis 9,5 Millionen Tonnen senken, um rund ein Fünftel. Das geht aus einer Pressemitteilung hervor, die der Konzern nach einer Sitzung des Strategieausschusses des Aufsichtsrats der Sparte am späten Donnerstagabend verschickte.

Chef des Aufsichtsrats ist Ex-SPD-Chef und Ex-Außenminister Sigmar Gabriel, auch Thyssenkrupp-Konzernchef Miguel López gehört dem Gremium an. „Die geplante Absenkung wird zu einer Konsolidierung der Rohstahlkapazitäten in Duisburg führen“, heißt es in der Mitteilung. „Mit diesen Maßnahmen wird auch ein noch nicht bezifferbarer Abbau von Arbeitsplätzen verbunden sein, der auch die nachgelagerten Weiterverarbeitungs- und Dienstleistungsbereiche betreffen wird.“

HKM, Hochöfen, Walzwerke – es gibt kein Tabu

Alles liegt jetzt auf dem Tisch, soll das heißen, alles steht zur Disposition. Die Stahlsparte beschäftigt knapp 27.000 Mitarbeiter, 13.500 davon arbeiten allein in Thyssenkrupps Stahlwerk im Norden von Duisburg. Dazu kommen weitere rund 3000 Beschäftigte im Stahlwerk der Hüttenwerke Krupp Mannesmann (HKM) im Duisburger Süden. Die HKM ist ein Joint Venture von Thyssenkrupp Steel Europe, der Salzgitter AG sowie des französischen Röhrenherstellers Vallourec. Der ausdrückliche Verweis auf eine Konsolidierung der Rohstahlkapazitäten in Duisburg bedeutet, dass das HKM-Werk Teil der Kalkulation ist – und in seinem Fortbestand de facto akut bedroht. Klar ist auch, dass es – egal, ob Hochofen oder Walzwerke – kein Tabu bei der Restrukturierung gibt. Vier Hochöfen stehen im Norden, zwei bei HKM im Süden der Stadt. Sicher ist: Dem Stahl in Duisburg und im Ruhrgebiet stehen unruhige Wochen bevor.

Die Berater haben analysiert, am Abend präsentiert Stahlchef Bernhard Osburg intern die Ergebnisse. Wie viel Stahl soll künftig bei Thyssenkrupp erzeugt werden? Es geht um die Zukunft des Konzerns – und der Region.
von Florian Güßgen

Dass der Vorstand die Produktionskapazität um rund ein Fünftel reduzieren will, eröffnet zumindest theoretisch die Aussicht, dass auch ein Fünftel der Arbeitsplätze betroffen sein könnte – deutlich mehr als 5000 Mitarbeiter wären das, wobei sich die Produktionskapazität nicht Eins-zu-eins in Stellen umrechnen lässt. Der Konzern selbst nannte auch keine konkrete Zahl. Thyssenkrupp pflegt, anders als etwa die Salzgitter AG, ein dezentrales Produktionsnetz vom so genannten Upstream-Prozess, der „Flüssigphase“, und weiterverarbeitenden Verfahren, dem so genannten Downstream, mit Standorten, die über ganz Nordrhein-Westfalen verteilt sind, aber auch etwa in Rheinland-Pfalz liegen. Thyssenkrupp unterhält etwa Standorte in Dortmund, Bochum, in Finnentrop, in Hohenlimburg, aber auch im Siegerland. Die Logistik- und Produktionsverhältnisse sind kompliziert.

Geht das ohne betriebsbedingte Kündigungen?

Allerdings heißt es in der Pressemitteilung auch, das „erklärte Ziel“ sei es, betriebsbedingte Kündigungen „weiterhin zu vermeiden.“ Im Rahmen der bis jetzt geltenden Strategie 20-30 gibt es eine Vereinbarung mit den Arbeitnehmern, die betriebsbedingte Kündigungen bis zum März 2026 ausschließt. Die Arbeitnehmer halten am Freitagvormittag eine Betriebsrätevollkonferenz ab. Im Umfeld dieser Veranstaltung dürften sie auf die Ankündigungen des Vorstands reagieren. Die Mitarbeiter von Thyssenkrupp Steel Europe sind noch am Abend schriftlich über die Pläne informiert worden. Im Vorfeld der Sitzung hieß es aus Arbeitnehmerkreisen, man werde sich zu konkreten Plänen erst äußern, wenn es einen verhandelbaren Plan gebe. Der liegt nun definitiv noch nicht vor. Das Beharren auf einem umfassenden Plan ist freilich auch eine Methode, um Zeit zu gewinnen.

Zum konkreten weiteren Vorgehen oder einem Zeitplan für weitere Schritte machte der Vorstand der Stahlsparte am Donnerstagabend keine Angaben. In der Pressemitteilung heißt es lediglich, die „Pläne der Neuaufstellung“ würden nun „umgehend weiter konkretisiert und anschließend mit der „Mitbestimmung sowie den zuständigen Gremien des Stahlbereichs beraten. Eine Frist, die man reißen könnte, will man offenbar unbedingt vermeiden. Gleichzeitig erhöht dieses Vorgehen das Risiko, dass sich der Restrukturierungsprozess in die Länge zieht. Die nächsten Sitzungen der Aufsichtsräte von Sparte und Konzern sind für Ende Mai geplant.

Es tut sich etwas. Endlich.

Unterm Strich ist es aber so, dass sich etwas tut in Duisburg, endlich – und die Pressemitteilung ist ein Beleg dafür, dass der Vorstand das auch öffentlich dokumentieren will. Die Nennung eines konkreten Betriebspunkts von 9 bis 9,5 Millionen Tonnen Stahl im Jahr sowie die Ankündigung der groben Zielkorridore zeigen, unter welchem immensen Veränderungsdruck die Stahlsparte und vor allem Osburg stehen. Das Werk im Norden Duisburgs ist latent unterausgelastet, im vergangenen Geschäftsjahr musste die Sparte 2,1 Milliarden Euro abschreiben und drückte so den gesamten Konzern ins Minus.

Gleichzeitig kommt ein von Konzernchef Miguel López ausgerufener Verkauf der Sparte im Rahmen eines Joint Ventures mit dem tschechischen Investor Daniel Křetínský sowie seiner Energieholding EPH offenbar kaum voran. Deshalb hatten die Berater von Bain & Company eine Analyse für den Stahlvorstand erarbeitet, die nun die Grundlage der Skizze des Vorstands war.

Revirement im Revier: Thyssenkrupp will seine Stahlsparte trimmen. Das dürfte den Konzern dramatisch verändern – und die Stadt, in der heute noch das Herz der Branche schlägt.
von Florian Güßgen

Diese Analyse sollte zeigen, bei welchem Punkt sich so etwas wie eine dauerhafte Profitabilität der Sparte realistisch anstreben lässt. Der Betriebspunkt von 9 Millionen Tonnen gilt dabei unter Stahlexperten tatsächlich als sinnvolle Größe – anders als etwa jene 6,5 Millionen Tonnen, die López im vergangenen Herbst angeblich gefordert haben soll, was seine Leute vehement bestreiten. Osburg heißt es, dringe schon länger auf den nun avisierten Korridor.

„Das prägt das Selbstverständnis der Stadt“

Offenbar plant der Stahlvorstand nun, den Restrukturierungsprozess in einem Projekt zusammenzuführen, auch Gespräche mit den anderen Anteilseignern bei der HKM sowie der Politik dürften bald folgen. Bund und Land Nordrhein-Westfalen stützen den Bau einer so genannten Direktreduktionsanlage im Thyssenkrupp-Werk in Duisburg-Nord mit insgesamt zwei Milliarden Euro. Damit verbunden ist de facto auch der parteiübergreifende Anspruch der Politik auf einen Erhalt von Arbeitsplätzen. „Wir sind nach wie vor Europas größter Stahlstandort“, hatte Duisburgs Oberbürgermeister Sören Link (SPD) der WirtschaftsWoche vor wenigen Tagen gesagt. „Das prägt die Stadt. Das prägt das Selbstverständnis der Stadt. Und das soll nach meiner Überzeugung auch so bleiben.“

Er hatte die Fördermilliarden auch mit klaren Grenzen für die Konzernführung in Essen unter López verbunden. „Ich kann mir schlecht vorstellen, dass die Bundesregierung und das Land Nordrhein-Westfalen zwei Milliarden Euro in eine Direktreduktionsanlage bei Thyssenkrupp investieren und dann hinnehmen, dass die Produktionskerne zerschlagen werden“, sagte Link – allerdings vor der Sitzung am Donnerstagabend.



Felix Banaszak, Grünen-Bundestagsabgeordneter aus Duisburg, und Mitglied im Haushaltsausschuss des Parlaments, warnte am Donnerstag davor, die Stahlsparte zu sehr zu beschneiden. „Der Mutterkonzern muss aufpassen, dass bei einem Restrukturierungsplan sinnvolle und notwendige Kapazitätsanpassungen der Sparte nicht mit einem sinnlosen Kleinhacken verwechselt werden, nur um das Geschäft leichter verkaufen zu können“, sagte Banaszak der WirtschaftsWoche. „Das Ziel ist die nachhaltige Aufstellung, nicht die Abwicklung des Stahls.“

Auch Banaszak verknüpfte die Gewährung der Milliardenhilfen mit den unternehmerischen Entscheidungen in der Konzernzentrale in Essen. „Wenn sich die öffentliche Hand entscheidet, ein privatwirtschaftliches Vorhaben wie die DRI-Anlage von Thyssenkrupp Steel Europe mit einer Summe von zwei Milliarden Euro zu unterstützen, dann muss sie diese Ausgabe gegenüber allen rechtfertigen, die mit ihren Steuern zu dieser Investition beitragen. Deshalb ist die Erwartung der Politik an den Konzern eindeutig, dass er den Standort Duisburg zukunftsfähig erhalten muss.“

Banaszak appellierte an die drei Gesellschafter der HKM, eine Lösung für das Unternehmen zu entwickeln. Dabei seien etwa Hilfen für einer Transformation hin zu einer klimaneutralen Produktion auch für dieses Werk nicht von vorneherein undenkbar. „Ich halte eine Unterstützung der öffentlichen Hand für eine Transformation auch bei der HKM überhaupt nicht für ausgeschlossen“, konstatierte Banaszak. „Die Gesellschafter sollten dafür einen überzeugenden Plan entwickeln – und zwar gemeinsam.“

López verhält sich ungewohnt ruhig

Auffällig ruhig verhielt sich am Donnerstag Thyssenkrupp-Chef Miguel López. Seit seinem Amtsantritt im Juni des vergangenen Jahres war er vor allem durch breitbeinige Ankündigungen aufgefallen, die er dann nicht einlösen konnte – und eine demonstrative Rauflust im Umgang mit den Gewerkschaften.

Goldhandel Bekommt das Finanzamt vom Goldverkauf etwas mit?

Können Privatanleger ihr Gold auch steuerfrei verkaufen, wenn es keinen Nachweis zum Kauf gibt? Würde das Finanzamt überhaupt etwas mitbekommen? Das rät ein Experte.

Klage gegen Erwin Müller Ein Drogerie-Milliardär, seine Jagdfreunde und der große Streit ums Millionen-Erbe

Vor fast zehn Jahren hat der Ulmer Unternehmer Erwin Müller drei Jagdfreunde adoptiert. Sie hatten ursprünglich auf ihren Pflichtteil beim Erbe verzichtet – jetzt ziehen sie dagegen vor Gericht. 

Jobwechsel Wenn das hohe Gehalt zum Fluch wird

In seinem aktuellen Job verdient unser Leser zwar gut, ist aber unglücklich. Vergleichbare Stellen sind deutlich schlechter bezahlt. Wie kann er dieser Zwickmühle entkommen?

 Weitere Plus-Artikel lesen Sie hier

Aus der scharfen Kritik daran hat López offenbar gelernt. López ist zwar im Thyssenkrupp-Vorstand auch für den Stahl zuständig, obendrein Mitglied des Stahl-Aufsichtsrats, überlässt es aber zumindest nach Außen demonstrativ Bernhard Osburg, die Sparte zu stutzen. Von ihm war Donnerstagabend jedenfalls nichts zu hören. Wenn Osburg – auch ohne Zeitplan – nicht zügig liefert, dürfte auch er zur Disposition stehen.

Lesen Sie auch: Das steht bei Thyssenkrupp auf dem Spiel

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%