Der Pharma- und Agrarchemiekonzern Bayer arbeitet an einer Alternative zum umstrittenen Unkrautvernichter Glyphosat. „Wir testen diese neue Substanz schon an echten Pflanzen“, sagte der Vorstandsvorsitzende Bill Anderson der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ (F.A.S.) laut Vorabbericht.
„Unser Ziel ist, das neue Produkt 2028, also bereits in vier Jahren, auf den Markt zu bringen.“ Es handele sich um die erste bahnbrechende Innovation auf diesem Gebiet seit 30 Jahren, verkündete Anderson.
Zehntausende Schadenersatzklagen in den USA
Glyphosat wurde vom amerikanischen Agrarchemieunternehmen Monsanto entwickelt, das von Bayer 2018 für mehr als 60 Milliarden Dollar übernommen wurde. Seither belasten teure Rechtsstreitigkeiten den Konzern aus Leverkusen. In den USA sieht sich Bayer Zehntausenden Schadenersatzklagen wegen angeblicher Gesundheitsschäden nach dem Gebrauch von Glyphosat und der mutmaßlich krebserregenden Wirkung des Herbizids im Unkrautvernichtungsmittel Roundup gegenüber.
Schneller schlau: Glyphosat
Glyphosat ist ein sogenanntes Total-Herbizid, es wirkt auf sämtliche grüne Pflanzen und hat damit ein so breites Spektrum wie kaum ein anderer herbizider, also unkrautvernichtender, Wirkstoff. Wo Glyphosat auf Pflanzen gesprüht wird, wächst sprichwörtlich kein Gras mehr – und auch kein Kraut, Strauch oder Moos.
Der wasserlösliche Wirkstoff wird über die Blätter aufgenommen und geht in alle Pflanzenteile, auch die Wurzel – was etwa für die Verwendung an Bahngleisen wichtig ist. Glyphosat blockiert ein Enzym, das Pflanzen zur Herstellung lebenswichtiger Aminosäuren brauchen – das aber auch in Pilzen und Mikroorganismen vorkommt.
Mit der nahezu vollständigen Vernichtung aller Kräuter und Gräser auf dem Acker sinke nicht nur die Zahl der Pflanzen stark, heißt es vom Umweltbundesamt (UBA). Dies entziehe allen an Ackerlebensräume gebundenen Arten wie Insekten und Feldvögeln großflächig die Lebensgrundlage. Ganze Nahrungsnetze könnten zusammenbrechen.
Mit Blick auf die Rechtsstreitigkeiten in den USA sollen „neue Ansätze inner- und außerhalb der Gerichtssäle“ verfolgt werden, um rechtliche Risiken und die damit verbundenen Unsicherheiten zu reduzieren, hatte Bayer am vergangenen Dienstag mitgeteilt, nachdem der Konzern einen weiteren juristischen Erfolg verbuchen konnte. Ein Gericht im US-Bundesstaat Pennsylvania hatte die Klage eines pensionierten Postbeamten abgewiesen, der nach eigenen Angaben durch den Einsatz des Unkrautvernichters am Non-Hodgkin-Lymphom erkrankt war.
„Wir sind nach wie vor von der Sicherheit von Roundup überzeugt und werden die Sicherheit unserer Produkte und unser Handeln in gutem Glauben in allen zukünftigen Rechtsstreitigkeiten selbstbewusst verteidigen“, hieß es in der Stellungnahme von Bayer am Dienstag. Der Konzern hat 13 der jüngsten 20 Roundup-Klagen gewonnen.
Anleger kritisieren dennoch schon lange, dass es dem Konzern bisher nicht gelang, unter die Glyphosat-Problematik einen Schlussstrich zu ziehen. Per Ende Januar waren rund 54.000 Fälle offen, 2000 mehr als im Oktober. Die auch dafür gebildeten Rückstellungen beliefen sich per Ende 2023 auf 6,3 Milliarden US-Dollar (5,7 Milliarden Euro). Bayer hat gegen die verlorenen Verfahren Berufung eingelegt, darunter auch gegen die hohen Strafschadenersatzzahlungen.
Die Vorwürfe gegen Glyphosat hat Bayer stets zurückgewiesen. „Glyphosat ist sicher“, hatte Anderson am Dienstag betont. Behörden weltweit haben das Mittel als nicht krebserregend eingestuft. Die Krebsforschungsagentur IARC der Weltgesundheitsorganisation WHO bewertete den Wirkstoff 2015 als „wahrscheinlich krebserregend“.
Das Unternehmen hat den Verkauf von Glyphosat-Produkten für den Hausgebrauch im vergangenen Jahr eingestellt, verkauft aber weiterhin andere Formulierungen unter dem Namen Roundup.
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