Verteidigung Was Europas Rüstungsindustrie wirklich braucht

Die Fregatte Sachsen F 219 der Deutschen Marine auf der Kieler Förde in Schleswig-Holstein Quelle: imago images

Seit Beginn des Ukraine-Kriegs wird eine Frage stärker debattiert: Wie sollte die europäische Verteidigung aussehen? Eine Antwort könnte die Umgestaltung der industriepolitischen Landschaft Europas sein. Ein Gastbeitrag.

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Spätestens seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine hat die Debatte über europäische Zusammenarbeit im Bereich der Verteidigung neue Fahrt aufgenommen. Nun beansprucht auch die Europäische Kommission in Politikfeldern, die in erster Linie in der Verantwortung der EU-Mitgliedstaaten liegen, eine lenkende Rolle.

Es ist absolut richtig und notwendig, dass äußere Sicherheit nun die ihr zustehende politische Bedeutung erhält. Unsere gesellschaftliche Freiheit und unser wirtschaftlicher Wohlstand sind nur sicher im Schutze unserer demokratischen Wehrhaftigkeit – nach innen wie nach außen. Und es ist absolut zutreffend, dass wir auf nationaler und auf europäischer Ebene einen gewaltigen Aufholbedarf haben, um unsere Verteidigungsfähigkeit zu erhalten oder erst herzustellen.

Ich halte es grundsätzlich für richtig, wenn die EU-Kommission Impulse für den Verteidigungssektor zu setzen sucht. Mehr gemeinsame europäische Beschaffung, eine Vergrößerung des EU-internen Verteidigungshandels sowie neue finanzielle und regulatorische Anreize – wer wollte sich dem entgegensetzen? Europäische Zusammenarbeit klingt immer gut und das wollen erst einmal Alle. Doch welche Art der Zusammenarbeit bringt Europa, seine Mitgliedstaaten und Streitkräfte wirklich voran?

Quelle: Presse

Zur Person

Aus Sicht eines in der Sozialen Marktwirtschaft operierenden Unternehmens stechen jedoch einige Fragen ins Auge. Ist die Fixierung auf Quoten, so wie sie die EU-Kommission nun in ihren Papieren festlegt, sinnvoll und zielführend? Oder säen wir mit ihnen nicht eher den Samen zukünftiger Frustration und gegenseitiger Schuldzuweisung? Die Vergangenheit legt das nahe: So haben die EU-Staaten bereits 2007 das Ziel definiert, 35 Prozent aller Beschaffungen gemeinsam zu tätigen. Erreicht wurden bis Ende 2022 aber offenkundig lediglich acht Prozent.

Könnte es daher nicht zielführender sein, sich dem Ziel einer stärkeren europäischen Zusammenarbeit über eine genauere Betrachtung und Bewertung militärischer Bedarfe und industrieller Fähigkeiten zu nähern? Aus der Perspektive der deutschen Industrie sei zudem auch die Frage erlaubt, ob aktuell überhaupt die wettbewerblichen und politischen Voraussetzungen vorliegen, um eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe und zu ihrem Vorteil auch wirklich umzusetzen?

Blickt man auf den europäischen Marineschiffbau sind signifikante strukturelle Unterschiede erkennbar. Ausländische Unternehmen, in denen jeweils der Staat mehrheitlicher Shareholder ist, übertreffen die privatwirtschaftlich organisierten deutschen Player deutlich in ihrer Größe und der industriepolitischen Unterstützung. So unterscheidet sich der Grad politischer Unterstützung für die jeweils einheimische Industrie sowohl bei Exportkampagnen als auch bei (nationalen) Vergaben beträchtlich. Nachteilig wirkt sich zudem aus, dass der Staat bei Risikokapital und Investitionen nicht als Shareholder unterstützend tätig wird. Insgesamt müssen wir für Europa ein „unlevel playing field“ konstatieren, was zu Verzerrungen im Wettbewerb und in der Zusammenarbeit zu Lasten des deutschen Marinesektors führt.

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Schauen wir aus maritimer Sicht auf die europäischen Bedarfe und Fähigkeiten: Im Unterwasserschiffbau haben wir zum einen eine klare und sinnvolle industrielle Aufteilung zwischen Herstellern atomarer und Herstellern konventioneller U-Boote. Zum anderen gibt es hier erfolgreiche Beispiele enger Zusammenarbeit und gemeinsamer Beschaffungen, wie beispielsweise das deutsch-norwegische U-212-CD-Projekt. Beide Seiten bringen sich hier auf Grundlage abgestimmter Bedarfe und Anforderungen mit ihren spezifischen industriellen und technologischen Fähigkeiten ein. Eine Blaupause für Europa? Eigentlich schon. So kann über strategische multinationale Zusammenarbeit beides gelingen: Vereinheitlichung der Typen, Skalierung und industrielle Wertschöpfung auf Augenhöhe zwischen den Partnern.

Im Überwasserschiffbau ist das Bild dagegen unübersichtlicher: So werden in Europa 27 unterschiedliche Zerstörer- und Fregattentypen genutzt – in den USA dagegen nur vier. Allein die Zahlen machen deutlich, dass eine effiziente Zusammenarbeit so nicht funktionieren wird. Will man hier einen europäischen Ansatz fahren, müssen zunächst militärische Bedarfe und Führungskulturen harmonisiert und die Plattformvielzahl erheblich reduziert werden. Sind die europäischen Staaten dazu bereit? Mit Blick auf die sicherheitspolitischen Herausforderungen, den wir uns alle stellen müssen, sollten wir an diese Frage mit großem Pragmatismus und im europäischen Sicherheitsinteresse herangehen.

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Es wird deutlich: Quoten sind politisch gut gemeint, aber auf sich allein gestellt kein geeignetes Instrument zur Erreichung einer verbesserten europäischen Zusammenarbeit und Beschaffung. Stattdessen werden wir, auch unter Schmerzen, die industriepolitische Landschaft Europas im Verteidigungsbereich entlang bestehender Fähigkeiten umgestalten müssen. Dies erfordert die Bereitschaft, Partikularinteressen zur Seite zu legen und entlang bestehender und funktionierender Kooperationen Stück für Stück ein größeres europäisches Programm auf Augenhöhe zu entwickeln.

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