Blinkist-Chef im Interview „Ich bin nicht naiv, da kommt eine riesengroße Disruption auf uns zu“

„Beider Produktion unserer Inhaltekönnen wir mit GPT bereitsjetzt deutlich mehr automatisiertmachen“, sagt Blinkist-Chef Holger Seim. Quelle: Blinkist

Blinkist bietet kurze Zusammenfassungen von Sachbüchern an. Nun hat Holger Seim sein Start-up an ein australisches Unternehmen verkauft. Gerade noch rechtzeitig, bevor KI den Dienst obsolet macht?

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Die australische E-Learning-Firma Go1 übernimmt das 2012 gegründete Berliner Start-up Blinkist. Rund 200 Millionen Euro schwer soll der Deal Medienberichten zufolge sein. Dabei besteht die App in erster Linie aus kurzen Zusammenfassungen von Sachbüchern. Ein Geschäftsmodell, das der rasante Fortschritt im Bereich der künstlichen Intelligenz mindestens teilweise in Frage stellt.

Hat Holger Seim sein Start-up also jetzt noch schnell verkauft, bevor die große Disruption dessen Wert mindern konnte? Warum er in dem Deal alles andere als einen Notverkauf sieht und wie er die Zukunft seines Unternehmens im Zeitalter von ChatGPT und Co. einschätzt, erklärt der Blinkist-Co-Gründer im Interview.

WirtschaftsWoche: Herr Seim, Ende 2021 waren Sie noch der Meinung, Ihre Aufgabe mit Blinkist sei „zu spannend“, um das Unternehmen zu verkaufen. Was hat sich geändert?
Holger Seim: Vielleicht war damals meine Überlegung: Wenn wir Blinkist verkaufen, ist es vorbei. Stattdessen haben wir nun aber einen Partner gefunden, mit dem wir unsere Aufgabe noch besser weiterführen können. Es bleibt also genauso spannend. Aber die Chance, dass wir gemeinsam eine sehr, sehr große Firma bauen, ist größer.

Blinkist bietet in erster Linie kurze Zusammenfassungen von Sachbüchern an. Auf den ersten Blick drängt sich da der Gedanke auf, Sie hätten das Unternehmen vielleicht einfach noch schnell verkauft, bevor es die große KI-Revolution womöglich obsolet macht.
Diese Vermutung habe ich in dieser Woche tatsächlich schon häufiger zu hören bekommen, ja.

Blinkst-Co-Gründer und CEO Holger Seim Quelle: Blinkist

Und was haben Sie da erwidert?
Es kann in beide Richtungen gehen. Wir sehen die KI-Welle auch als Chance. Wir können unsere Content-Produktion deutlich beschleunigen, indem wir KI in den Prozess integrieren. Wir haben dadurch neue Hebel, um das Produkt besser zu machen, um unsere Bibliothek zu vergrößern – bei gleichbleibenden Kosten. Bevor wir den Deal unterschrieben haben, haben wir uns mit Go1 in die Augen gesehen, und waren uns einig: KI macht unser Geschäft sogar eher noch spannender.

Die Kompetenz, eine gute Zusammenfassung eines Buches zu liefern, wird durch ChatGPT und Co. doch nun sehr leicht kopierbar. Sehen Sie darin nicht eher ein großes Geschäftsrisiko?
Wir werden natürlich auch mehr Wettbewerb haben durch künstliche Intelligenz, das stimmt. Aber: Der Kern unseres Geschäftsmodells ist es nicht, gute Zusammenfassungen von Büchern und Podcasts zu liefern. Uns geht es vielmehr darum, Menschen zu ermutigen, sich häufiger mit Lerninhalten auseinanderzusetzen. Unser großer Mehrwert ist die Gesamterfahrung. Die Inhalte sind ein wesentlicher Teil davon, aber eben nicht alles.

Sie machen sich also gar keine Sorgen?
Natürlich hat jede Veränderung Risiken. Und KI bringt tiefgreifende Veränderungen mit sich. Wenn man sich da nicht schnell genug bewegt, wird man zurückgelassen.

Für uns ist es in diesem Kontext wichtig, die anderen Dinge, die über die Inhalte hinaus gehen, künftig umso stärker zu betonen. Ich sehe eine große Chance, Blinkist von einer Bibliothek von Zusammenfassungen zu einem „Smart Companion“ weiterzuentwickeln. Blinkist soll der Service werden, zu dem ich gehe, wenn ich in ein bestimmtes Thema einsteigen will. Eine App, die mich an der Hand nimmt und mir die richtigen Inhalte zusammenstellt für mein aktuelles Lernziel, meine aktuelle Herausforderung.

Wir müssen dafür Sorge tragen, dass wir – nicht zuletzt mit Hilfe von KI – immer auf dem aktuellen technologischen Stand sind. Dass wir es eben immer so gut machen, wie es die Technologie gerade zulässt, um einen Vorsprung zu haben. Und ich glaube dann ist künstliche Intelligenz eine Chance.

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Sind Sie da nicht ein wenig zu optimistisch?
Ich bin nicht naiv. Da kommt eine riesengroße Disruptionswelle auf uns alle zu. Und da muss man wach bleiben, schnell und agil. Genau das sind wir aber. Hier im Team herrscht gerade große Aufbruchstimmung. Man sollte denken, dass unsere Content-Mitarbeiter gerade Angst um ihren Job hätten. Stattdessen nehmen sie KI dankend an, wollen damit arbeiten, haben eine Idee nach der anderen. Und das macht mir Hoffnung. Da kommen schon gute Sachen raus und ich bin gespannt, was da jetzt im Laufe der nächsten ein, zwei Jahre noch alles so möglich sein wird.

Wie genau setzen Sie KI denn bei Blinkist ein?
Wir haben zum Beispiel im vergangenen Sommer unser erstes wirklich KI-gebundenes Feature veröffentlicht – Blinkist Signal. Dabei ermitteln wir basierend auf dem Wohnort unserer Nutzer, welche Themen dort gerade diskutiert werden mit Hilfe von Twitter und anderen Quellen. Auf Basis dieser Informationen wählt künstliche Intelligenz eine Buchempfehlung aus und verfasst einen personalisierten Text dazu. All das eben nicht redaktionell, sondern nur durch künstliche Intelligenz.

Was wir dabei allerdings gemerkt haben: Dass dann oft einfach Dinge empfohlen wurden, die nicht passen. Ein Beispiel: Seit mehreren Monaten sind alle Nachrichtenfeeds voll von Kriegsinhalten. Die KI würde also jeden Tag ein Buch zu diesem Thema empfehlen – und es ist häufig auch nicht gerade empathisch, was da eine KI ausspuckt. Wenn wir das skalieren wollen, müssen wir es also moderieren, verschiedene Leitplanken einbauen. Das ist auch ein Grund, warum ich nicht glaube, dass KI auf absehbare Zeit wirklich die Menschen komplett aus der Formel nimmt.

Die Fortschritte, die in diesem Bereich gerade passieren, sind allerdings rasant. Was also heißt „absehbar“?
Klar, gerade in den letzten zwölf Monaten hat sich viel getan. Der Schritt von GPT 3.5 auf GPT4 etwa war riesig. Wir sehen schon einen exponentiellen Anstieg der Nutzungsszenarien. Bei der Produktion unserer Inhalte können wir mit GPT bereits jetzt deutlich mehr automatisiert machen. Bei weitem noch nicht alles, aber wir können beispielsweise Vorprodukte unserer Inhalte schon bald mit GPT erstellen und damit den Prozess beschleunigen.

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Da sind wir gerade am explorieren, was geht. Wenn wir etwa den Schritt des Lesens verkürzen können, indem eine KI ein Vorprodukt erstellt, sparen wir natürlich Zeit und können mit gleichen Kosten deutlich mehr Buchzusammenfassungen produzieren. Da müssen wir gerade noch herausfinden: Inwiefern brauchen wir Mitarbeiter, die das ganze Buch lesen? Inwieweit kann das die KI bereits selbst? Die Frage ist hier nicht, ob das möglich ist, sondern ab wann es möglich ist: Ist GPT4 jetzt schon gut genug oder müssen wir auf die nächste Version warten?

Und auch bei GPT 5 wird es noch Menschen bei Blinkist brauchen?
Ich denke schon. All dem KI-Fortschritt zum Trotz müssen Menschen an diesem Prozess beteiligt sein. Um sicherzustellen, dass das, was am Ende rauskommt, Sinn macht. Dass es Spaß macht, das zu lesen und zu hören. Dass es das wiedergibt, was es wiedergeben soll.

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In Zeiten von KI wird Vertrauen immer wichtiger. Und Menschen vertrauen Menschen. Menschen vertrauen keinen Maschinen. Wir haben hier Fachexperten, die die richtigen Inhalte kuratieren. Und wollen das auch beibehalten. Weil wir glauben, dass das einen Wert hat für Kunden. Und dass Kunden auch bereit sind, dafür zu bezahlen und sich künftig nicht einfach alles nur noch aus ChatGPT ziehen und für bare Münze nehmen.

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