E-Rezept „Das grenzt an Zweiklassenmedizin“

Das E-Rezept sorgt noch immer für Probleme. Quelle: imago images

Überlastete Server, schlechte Software, wütende Patienten: Das E-Rezept sorgt zwei Monate nach seiner Einführung für reichlich Frust. Der Apotheker Thomas Preis erklärt, woran es hakt – und wie es besser gehen könnte.

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WirtschaftsWoche: Herr Preis, seit mehr als zwei Monaten gibt es das E-Rezept. Wie sind die Erfahrungen in ihrer Apotheke?
Thomas Preis: Wir müssen oft Kundinnen und Kunden wegschicken, die sich über ein E-Rezept ihre Medikamente abholen wollen. Die Server fallen oft aus, insbesondere morgens, dann geht über Stunden auch in den Arztpraxen gar nichts mehr. Es gibt schon Ärzte, die ihren Patienten raten, nicht zu schnell in die Apotheke zu gehen, um ihr Rezept einzulösen. Das ist ein unhaltbarer Zustand.

Wie häufig kommt es denn vor, dass es bei den E-Rezepten nichts mehr geht?
Insgesamt gibt es bei jedem fünften E-Rezept Probleme. Manche Ärzte steigen deswegen schon wieder auf das alte Papierrezept um. Seit Januar wurden bislang rund hundert Millionen E-Rezepte eingelöst. Doch die Verordnungszahlen gehen schon wieder zurück – aufgrund der schlechten Erfahrungen. 

Zur Person

Was sind die Gründe für das Desaster?
Die IT ist schlichtweg schlecht konzipiert. Verantwortlich dafür ist die Gematik, die bundeseigene Agentur für die digitale Infrastruktur im Gesundheitswesen. Die haben ein völlig unfertiges Produkt entwickelt. Die Fehler im System traten bereits während der Testphase auf, wurden aber geflissentlich ignoriert. Apotheken und Arztpraxen sollen das nun ausbaden. Mal ehrlich: Wenn Sie eine solche IT privat nutzen würden, dann würden Sie diese vermutlich gleich an den Hersteller zurückschicken.

Was nervt noch – außer, dass die Server ausfallen?
Manche Softwarelösungen, die in Arztpraxen verwendet werden, produzieren zu oft fehlerhafte Rezepte. Da werden dann schon mal Großpackungen mit 1000 Bluthochdruck-Tabletten verordnet, die eigentlich für Kliniken gedacht sind. Ein weiteres Problem ist, dass die Ärzte die E-Rezepte oft nur einmal am Tag elektronisch signieren. Da können Sie dann in der Apotheke lange warten, bis ihr E-Rezept da ist.

An jeder Ecke eine Apotheke – heißt es oft. Doch auf dem Land gilt die Redewendung schon lang nicht mehr. Während in den Städten ein Überangebot herrscht, steht auf dem Land die Versorgung der Bevölkerung auf dem Spiel.
von Alexander Voß

Was heißt das alles für die Patientinnen und Patienten?
Die Versorgung verzögert sich und wird gefährdet. Das gilt zumindest für die gesetzlich Versicherten. Die Privatversicherten sind derzeit besser versorgt, weil es dort noch das Papierrezept gibt. Und noch etwas macht mir Sorge: Ältere Patienten, die gesetzlich versichert sind, bekommen in der Arztpraxis oft gar nicht mehr mit, dass ihnen etwas verordnet wurde, weil sie eben kein Papierrezept mehr in den Händen halten. Die holen sich dann auch keine Medikamente ab, die Therapie läuft ins Leere. Das grenzt an Zweiklassenmedizin.

Die Ärzte könnten ihren Patienten einen Papierausdruck mit QR-Code aushändigen...
Ja, aber das ist vielen zu aufwändig. Dafür müssten sie Papier und Druckerkartuschen kaufen und vorrätig halten.



Was muss denn jetzt passieren? Wieder zurück zum Papierrezept? 
Das jetzige System muss abgeschaltet werden. Es kostet Arztpraxen und Apotheken nur Zeit und läuft völlig instabil zum Nachteil der Patienten.

Der Deutsche Apothekerverband hat der Gematik bereits ein Ultimatum gesetzt: Bis Ostern sollten die Probleme gelöst sein. Andernfalls wollen sich die Apotheker für ein Ersatzverfahren stark machen. Glauben Sie, dass das funktioniert?
So wie bislang kann es jedenfalls nicht weitergehen. Daher haben wir mit unserem Aktionsbündnis Patientenversorgung hier im Rheinland, einem Bündnis von Apothekerverband Nordrhein, Hausärzteverband Nordrhein, dem Verband medizinischer Fachberufe und dem Freien Verband Deutscher Zahnärzte die Initiative ergriffen: Hausärztinnen und Hausärzten werden ab sofort täglich am Morgen bis zehn Uhr nur noch Papierrezepte ausstellen. Schon letzte Woche hatte das Bündnis angesichts der fortlaufenden Ausfälle der Telematikinfrastruktur bei der Umsetzung des E-Rezeptes gewarnt, dass die Versorgungssicherheit der Patienten gefährdet sei.

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Weitere Eskalationsschritte bis zur kompletten Umstellung auf das Papierrezept schließen Ärzte und Apotheker nicht aus, um die Versorgungssicherheit für die Patienten wiederherzustellen, wenn das unstabile und unfertige E-Rezept-Projekt des Bundesministeriums für Gesundheit nicht zeitnah stabil und sicher läuft.

Lesen Sie auch, was mit den alten Papierrezepten passiert


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