Für 2,5 Milliarden Euro übernahmen 2015 Audi, BMW und Mercedes-Benz den Kartendienst Here von Nokia, um sich bei Fahrassistenzsystemen und autonomem Fahren unabhängiger von Kartenanbietern wie Google zu machen. Seitdem sind neben asiatischen Investoren wie Mitsubishi auch Intel, Bosch und Continental eingestiegen. Doch das Geschäft mit der Navigation erweist sich wegen des hohen Aufwands beim Erheben und Speichern der Daten als zäh. Seit Jahren schreibt das in den Niederlanden ansässige Unternehmen Verluste, die Gesellschafter mussten Hunderte Millionen Dollar nachschießen.
WirtschaftsWoche: Mr. Nefkens, wie kam es zu Ihrem neuen Job als CEO von Here?
Mike Nefkens: Ich habe nach einer langen Karriere in der Hightech-Branche die vergangenen drei Jahre für die Boston Consulting Group als Coach für CEOs gearbeitet. Was ungeheuer spannend war. Dann bekam ich einen Anruf von einem Aufsichtsratsmitglied von Here, das meinte, dass ich ideal für den Job wäre.
Was hat Sie an Here gereizt?
Ich mag nicht nur Autos, sondern bin auch professioneller Pilot. Deshalb habe ich eine Affinität zu präzisen Landkarten. Ohne die ist sicheres Fliegen undenkbar.
Zur Person
Mike Nefkens ist der neue Chef des Digitalkartenunternehmens Here Technologies. Er ist seit dreißig Jahren in der Hightechbranche tätig, darunter als Topmanager für Honeywell und für Hewlett Packard im Silicon Valley.
Here verliert seit vielen Jahren Geld, und die Verluste summieren sich inzwischen auf fast zwei Milliarden Dollar.
Meine größte Sorge war die finanzielle Lebensfähigkeit von Here. Unserem Team ist es allerdings im vergangenem Jahr gelungen, zum ersten Mal seit sieben Jahren einen positiven Cashflow zu erreichen. Die Rückzahlung von Krediten ist dabei eingerechnet. Wir haben zugleich unseren Umsatz im einstelligen Bereich auf rund 950 Millionen Euro gesteigert, es ging also nicht ums reine Senken von Kosten. Zudem haben wir immer noch sehr viele Aufträge, die wir abarbeiten müssen. Die finanzielle Basis ist an einem Punkt, ab dem man arbeiten kann.
Warum ist es so schwer, im Geschäft mit Karten Geld zu verdienen?
Die meisten Softwareunternehmen investieren 30 Prozent ihres Umsatzes für Forschung und Entwicklung. In unserem Sektor liegt er bei weit über 50 Prozent. Vielleicht muss das so sein, dass muss ich noch erkunden. Aber mich hat schon umgehauen, dass Here einer der größten Kunden von Amazon Web Services ist. Ich dachte schon bei meiner Zeit bei HP, dass wir einer der größten Abnehmer für Cloud-Dienste sind. Aber das hier ist wegen der massiven Daten noch weit mehr. Was auch daran liegt, dass wir sehr viel mehr Daten erheben, was wiederum ein Unterscheidungsmerkmal zum Wettbewerb ist. Außerdem gestehen wir unseren Kunden zu, dass ihnen die Daten auch gehören, im Gegensatz zur Konkurrenz. Das Geschäft ist sehr komplex.
Es sind also hauptsächlich die hohen Kosten für Rechenleistung und Speicher?
Nicht nur. Here ist in den vergangenen drei Jahren etwas vom Weg abgekommen. Es gab den Druck, zu wachsen. Es wurde jedem Deal hinterhergerannt. Wir haben so einige schlechte Geschäfte gemacht. Die möchte ich in Zukunft unseren Konkurrenten überlassen.
Sie werden also bestimmte Aufträge ablehnen. Was, wenn dahinter einer ihrer Aktionäre, beispielsweise ein Autohersteller, steht?
Da setze ich auf die Unterstützung der unabhängigen Verwaltungsratsmitglieder. Wobei ich hoffe, dass der potenzielle Kunde uns zuhört und seine Ausschreibung anpasst. Wir müssen wie ein unabhängiges Unternehmen agieren. Das ist auch besser für die Aktionäre.
Here hat mit BMW, Audi und Mercedes gleich drei namhafte deutsche Autohersteller als Gesellschafter. Wie reagiert eigentlich deren US-Konkurrenz, wenn sie mit denen ins Geschäft kommen wollen?
Es ist ein Konflikt. Deshalb müssen wir als unabhängiges Unternehmen auftreten. Wir werden das lösen. Aber momentan ist mein Fokus darauf gerichtet, dass Here finanziell performt, unsere Gesellschafter zufriedenstellt.
Mercedes, einer Ihrer Aktionäre, hat vor einem Jahr Ihren Konkurrenten Google Maps an Bord geholt. Ist Google Ihr Angstgegner?
Nein. Ich finde es sogar gut, wenn Kunden einen anderen Anbieter ausprobieren. Dann sehen sie, wie gut wir sind. Tatsächlich sind einige wieder zurückgekommen. Wie ein Transportunternehmen, das feststellte, dass ihnen wegen des Wechsels plötzlich wichtige Daten fehlten. In diesem Fall die Höhe von Brücken und das maximal erlaubte Gewicht. Wir sind die einzigen Anbieter, die das haben. Klar, bei der Suche und bei weiterführenden Daten wie beispielsweise den Öffnungszeiten von Geschäften oder Museen ist Google hart zu schlagen. Da kann der Kunde wählen, was für ihn passt. Google ist ein großer Konkurrent. Aber sie haben auch ihre Schwächen. Der Markt ist groß genug für alle.
Schneller schlau: Die fünf Stufen des autonomen Fahrens
Das „assistierte Fahren“ ist bereits in unterschiedlicher Ausprägung bis in untere Fahrzeugsegmente verbreitet. Wie der Name schon sagt, helfen Assistenten beim Fahren. Sie warnen beispielsweise vor Fahrzeugen im toten Winkel, beim Verlassen der Fahrspur oder halten den eingestellten Abstand zum Vordermann. Die Helfer assistieren nur, fahren muss immer noch der Mensch hinter dem Steuer.
Beim „teilautomatisierten Fahren“ kann der Wagen bereits einzelne Fahraufgaben selbst übernehmen, muss dabei aber immer vom Fahrer überwacht werden. Dieses Stadium haben die meisten Autohersteller aktuell erreicht. Beispiel dafür ist ein Stau-Assistent, der im Stop-and-Go-Verkehr lenkt, abbremst und selbstständig wieder anfährt. Der Fahrer muss dabei zwar nicht aktiv lenken, darf die Hände aber nicht vom Steuer nehmen. Tut er das doch, wird er nach wenigen Sekunden vom Auto aufgefordert, das Lenkrad zu greifen. Zuletzt hat sich eine Ausbaustufe der Technik etabliert, die als „Level 2 Plus“ oder „Level 2 Hands Free“ bezeichnet wird und das Loslassen des Steuers explizit erlaubt und auch für längere Zeit toleriert.
Das Auto übernimmt beim „hochautomatisierten Fahren“ in bestimmten Verkehrssituationen diverse Funktionen, kann zum Beispiel längere Autobahnstrecken vollständig allein bewältigen. Der Fahrer muss aber das Steuer nach einer Aufforderung durch das Auto wieder übernehmen können. Theoretisch beherrschen bereits mehrere Pkw-Modelle diese Technik, legal nutzen dürfen sie aktuell aber nur wenige, darunter die Mercedes S-Klasse und der BMW 5er. Einschränkungen gibt es etwa bei Geschwindigkeit und Straßenart – so ist Level-3-Fahren in Deutschland nur auf geeigneten Autobahnabschnitten und mit maximal Tempo 130 erlaubt.
Ist das Fahrzeug „voll automatisiert“, kann das Auto spezifische Anwendungsfälle komplett allein meistern – von der Autobahnfahrt bis zu hochkomplexen urbanen Verkehrssituationen. Der Fahrer kann derweil zum Beispiel schlafen und haftet bei Schäden oder Verkehrsverstößen nicht mehr. Hier verlassen wir den Bereich, den Privat-Pkw heute noch beherrschen. Vollautomatisiert fahren aktuell unter anderem die Robotaxis oder -Shuttle von Mobilitätsdienstleistern, die in lokal begrenzten Gebieten unterwegs sind. Ein weiteres Beispiel ist das auch in Deutschland angebotene „Automated Valet Parking“ von Bosch und Mercedes, bei dem sich Pkw in speziell ausgerüsteten Parkhäusern selbstständig ihren Stellplatz suchen.
Beim „autonomen Fahren“ werden die Insassen vollständig zu Passagieren, nicht mal mehr ein Lenkrad oder Pedale sind notwendig. Das Auto kann alle Fahraufgaben alleine bewältigen. Auf jeder Straße, bei jedem Wetter und in komplexesten Verkehrssituationen. Noch Anfang des Jahrzehnts hofften Ingenieure, die oberste Stufe noch Mitte der 2020er-Jahre erreichen zu können. Das wird nicht passieren. Einige Branchenvertreter zweifeln, ob es jemals so weit kommt. Nicht zuletzt, weil die Kosten wohl so hoch wären, dass sich der Einsatz kaum lohnen würde. Bosch-Experte Lanwer kennt ein weiteres Problem: „So ist es beispielsweise sehr schwierig ein autonomes Fahrzeug auf eine Hebebühne zu bekommen, wenn man es nicht steuern kann.“ Es sieht Level 5 erst mal nicht im Markt, weil es im Vergleich zu Level 4 derzeit keinen Vorteil bringt.
Lyft ist bereits seit 2021 Ihr Kunde. Nun haben Sie eine langfristige Zusammenarbeit mit Uber vereinbart. Haben Sie dort einen Wettbewerber ersetzt?
Wir sind der präferierte Lokationsanbieter von Uber. Wir werden einige coole Dinge mit ihnen machen, die Uber helfen werden, effizienter zu sein und viel Geld zu sparen. Es ist ein bahnbrechendes Geschäft für uns, einer der größten Deals, die Here im vergangenen Jahr abschließen konnte. Dass wir nun zwei der größten Ridesharing-Anbieter unter Vertrag haben, sollte für unser Produkt sprechen.
Wie stark treibt das autonome Fahren Ihr Geschäft?
BMW und Mercedes bieten auf der Grundlage unserer hochauflösenden Karten das sogenannte Level 3 an, also autonomes Fahren, wo der Computer streckenweise unter bestimmten Bedingungen übernimmt. Das sind nur zwei Vereinbarungen, die publik sind. Wir haben viele weitere. Ist das autonome Fahren ein großer Umsatztreiber? Nein. Ist es unsere größte Innovation und unsere Zukunft? Definitiv ja.
Elon Musk meint, dass hochauflösende Karten fürs autonome Fahren überflüssig sind. Das normale Kartenmaterial reiche völlig aus, plus das Auswerten von Kamerabildern. Schließlich orientiere sich auch der menschliche Fahrer mit seinen Augen. Weshalb auch Sensoren wie Lidar nicht nötig seien.
Das ist fast eine religiöse Diskussion, die da geführt wird. Die einen behaupten, dass Chips ausreichen. Wir sagen, dass die hochauflösende Karte das Herzstück ist. Es ist das Zentrum, in dem viele andere Daten zusammenfließen, die autonomes Fahren ermöglichen und sicher machen. Ich würde mich nie als Pilot in ein Flugzeug setzen, den Zielort wählen und dann einfach den Autopiloten auf Los setzen. Nein, ich will wissen, wie die Wetterdaten sind, wo die Turbulenzen sind, um den Flug entsprechend anzupassen.
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