Beim Umbau des Kurznachrichtendienstes X zu einer „Allzweck-App“ kommt Firmenchef Elon Musk offenbar voran. Die früher als Twitter bekannte Online-Plattform werde in den kommenden Monaten voraussichtlich in Kalifornien und New York als Zahlungsdienstleister zugelassen, sagte der Milliardär am Mittwoch (Ortszeit) auf einer Technologie-, Medien- und Telekommunikationskonferenz der Bank Morgan Stanley.
Seit der Übernahme von X im Jahr 2022 will der Tesla-Gründer die Plattform ähnlich wie die in China dominierende WeChat-App von Tencent um Funktionen erweitern, die über die Versendung von Nachrichten, Bildern oder Videos hinausgehen. Dazu gehört unter anderem, dass sich Nutzer untereinander Geld schicken können. Hier könnte X mit Binance zusammenarbeiten. Die weltgrößte Kryptobörse hatte sich finanziell an der Übernahme des Kurznachrichtendienstes beteiligt. Einem Medienbericht zufolge steht X auch mit anderen Börsen in Kontakt, um eine Kooperation für traditionelle Wertpapiergeschäfte auszuloten.
In Asien Hui, im Westen Pfui
Die Erweiterung des Funktionsumfangs der X-App ist der Eckpfeiler von Musks ehrgeizigen Wachstumszielen. Vor allem in Asien sind dieser auch „Super-Apps“ genannten Angebote beliebt. Ein Beispiel hierfür ist Grab aus Singapur, über die Nutzer nicht nur Lebensmittel bestellen, sondern auch ein Taxi rufen, ein Hotel buchen oder eine Versicherung abschließen können. Die Experten der Beratungsfirma Gartner gehen davon aus, dass 2027 die Hälfte der Menschheit mindestens eine „Allzweck-“ oder „Super-App“ nutzen wird.
Was macht eine App zur „Allzweck-“ oder „Super-App“?
Eine „Super-App“ gilt als Schweizer Taschenmesser unter den Apps. Sie vereint Messenger-Dienste, Direktzahlungen zwischen Nutzern oder Online-Shopping unter einem Dach. Bei einigen ist auch die Essensbestellung oder ein Taxi-Ruf integriert. Scott Galloway zufolge, einem Professor für Marketing an der New York University, sind diese Programme vor allem in Asien beliebt, weil für die Menschen dort das Smartphone der primäre Zugang zum Internet ist.
Ein Beispiel für eine „Super-App“ ist WeChat des Internet-Konzerns Tencent. Schätzungen zufolge nutzen in China eine Milliarde Menschen das Programm, das als Messaging-Dienst gestartet war. Inzwischen können Nutzer darüber Taxis rufen, Freunden Geld schicken oder in Geschäften bezahlen. In Südostasien ist Grab populär, die Essenslieferungen, Fahrdienst-Vermittlungen und Finanzdienstleistungen anbietet. In dem Markt ist außerdem der indische Mischkonzern Tata mit seiner Plattform „Tata Neu“ aktiv. Über diese App können Nutzer von Kleidung bis zu Flugtickets alle möglichen Waren und Dienstleistungen kaufen.
Der Snapchat-Betreiber Snap hatte bereits vor Jahren Direktzahlungen zwischen Nutzern eingeführt. Die Funktion wurde allerdings 2018 abgeschaltet. Die Integration von Handy-Spielen fiel unlängst Sparmaßnahmen zum Opfer. Facebook und Instagram, die beide zum Meta-Konzern gehören, bieten zusätzlich Funktionen für Online-Shopping an.
In Europa werde das Thema bislang stiefmütterlich behandelt, sagt Jeremy Baber, Chef des Online-Finanzdienstleisters Lanistar. „Einige bekannte Unternehmen wie Uber, Klarna und Lydia haben begonnen, die Möglichkeit einer Diversifizierung ihrer Apps zu prüfen, müssen aber noch viel weiter gehen, um den Status einer Super-App zu erreichen.“
Je mehr Funktionen eine einzige App anbietet, desto strenger sollten die Sicherheitsvorkehrungen sein. Denn wenn sich Hacker Zugang zu einer „Super-App“ verschaffen, können sie potenziell größeren Schaden anrichten als bei einem traditionellen Nutzer-Konto für eine einzelne Anwendung. Kritisch sehen Datenschützer und Regulierungsbehörden zudem den erweiterten Zugang von Firmen zu Nutzerdaten. Der Anbieter einer „Super-App“ kennt beispielsweise nicht nur das Kaufverhalten oder kulinarische Vorlieben seiner Kunden, sondern auch deren finanzielle Lage oder Aufenthaltsorte. „Trotzdem wird die Popularität von 'Super-Apps' weiter zunehmen“, prognostiziert Lanistar-Chef Baber. Europäische Firmen sollten sich daher beeilen, um den Zug nicht zu verpassen.
Stand: März 2024
Westliche App-Entwickler bauen jedoch bislang nur vereinzelt zusätzliche Funktionen ein. So können Nutzer von Facebook und Instagram, die beide zum Meta-Konzern gehören, dort beworbene Produkte mit wenigen Klicks kaufen. Der Snapchat-Betreiber Snap dagegen hatte Direktzahlungen zwischen Nutzern 2018 wieder eingestellt.
50 Zulassungsverfahren
Um in den USA Direktzahlungen zwischen Nutzern anbieten zu können, benötigt X in jedem Bundesstaat eine Lizenz für den Geldtransfer. Musk zufolge hätte eine Zulassung in New York und Kalifornien Signalwirkung. Diese bevölkerungsreichen Staaten sind für ihre relativ langwierigen Genehmigungsverfahren bekannt. Laut Musk könnte X die begehrte Lizenz in Kalifornien bereits im kommenden Monat erhalten, während die Genehmigung in New York „ein paar Monate entfernt“ sei. Einige andere Staaten, darunter Pennsylvania und Utah, haben X bereits grünes Licht gegeben.
X denke auch darüber nach, die Angaben zur Zahl der „Likes“ und „Reposts“ abzuschaffen, die derzeit für jeden Beitrag sichtbar sind, sagte Musk auf der Konferenz. Diese Informationen könnten die Inhalte auf der Plattform visuell unübersichtlich machen.
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