Standortverlagerung „In Polen gibt es eine andere Art zu denken“

Warum lässt sich Software in Polen leichter entwickeln als in Deutschland? Quelle: imago images

Polen ist ein attraktiver Standort für deutsche Unternehmen. Doch woran liegt das? Sebastian Seitz, Leiter eines Softwareunternehmens für die Friedhelm-Loh-Gruppe mit Sitz in Polen, erklärt die Gründe.

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Immer häufiger kommen Meldungen, dass deutsche Unternehmen vermehrt in Osteuropa produzieren. Besonders der Standort Polen – mit seiner Nähe zu Deutschland und gut ausgebildeten Fachkräften – profitiert von der Abwanderung. Hier befindet sich auch der Hauptsitz der Digital Technology Poland (DTP), ein Tochterunternehmen der Friedhelm-Loh-Gruppe. Geschäftsführer Sebastian Seitz erklärt, warum Polen im Trend liegt und die deutsche Industrie zunehmend das Interesse am Heimatland verliert.

WirtschaftsWoche: Die Friedhelm Loh Group hat DTP 2021 übernommen. Wieso haben Sie sich für ein polnisches Unternehmen entschieden und kein entsprechendes in Deutschland?
Sebastian Seitz: In Polen gibt es eine andere Art zu denken. Gerade in der Softwareentwicklung ist die Herangehensweise für ein Projekt ausschlaggebend.

Was genau meinen Sie mit dieser „anderen Art zu denken“?
Das DTP-Team hat einen engen Bezug zur naheliegenden Universität Zielona Góra, die in Computer Science ausbilden. Sie sind bereit, sich intensiv mit den Abläufen unserer Kunden zu befassen – davon profitieren wir. Das ist besser als der in Deutschland oftmals unternommene Versuch, „fertige“ Mitarbeiter zu rekrutieren.

Sebastian Seitz leitet unter anderem das Softwareunternehmen DTP. Quelle: PR

Finden Sie dadurch einfacher Fachkräfte?
Es war mal einfacher, Mitarbeiter in Polen zu finden. Mittlerweile ist die Situation aber ähnlich schwierig wie in Deutschland.

Ist es günstiger, in Polen Software zu entwickeln als in Deutschland?
Im Moment schon, mit Blick auf die Gehaltsstrukturen und Lebenshaltungskosten, aber es gleicht sich an das deutsche Level an. Vor allem die Inflation hat die Preise in Polen maßgeblich nach oben getrieben. Und die Fachkräfte wissen auch, was ihr Beitrag wert ist und welche Gehälter ein paar Kilometer weiter jenseits der Grenze gezahlt werden.

Können Sie einschätzen wie viel günstiger das Wirtschaften in Polen ist?
Es hängt sehr stark vom Berufsprofil ab, in manchen Feldern kann der Unterschied noch bis zu 20 Prozent betragen. Aber wenn Sie in Polen einen KI-Spezialisten suchen, werden sie den auch nur zu internationalen Marktpreisen finden. Denn kluge Köpfe in diesem Bereich sind weltweit gefragt und können remote arbeiten. Google, Amazon, Microsoft suchen auch weltweit.

Sind Kosten der Grund, warum Sie auch in Polen entwickeln?
Natürlich sind geringere Kosten immer hilfreich, sie sollten aber nicht die Triebfeder sein. Jeder ausländische Unternehmensteil ist dann ein Gewinn, wenn er richtig eingesetzt wird. Insbesondere bei der Software-Entwicklung sind Ideen, Kompetenzen und Arbeitsweise erheblich relevant.

Könnte man nicht auch polnische Fachkräfte nach Deutschland locken?
Wir haben in Deutschland hoch interessante Unternehmen mit attraktiven Aufgaben, gerade in der Automatisierungsbranche. Aber wer qualifizierte Fachkräfte nach Deutschland locken will, muss es mit den Themen Willkommenskultur und Integration ernst meinen. Manche aktuellen Diskurse machen mich wütend. Menschen sollten sich bei uns willkommen fühlen. Wir brauchen sie als Bereicherung. Wenn wir zulassen, dass eine Bewegung unser Land prägt, die für Abschottung und Ausgrenzung steht, schadet das nicht nur unserer Gesellschaft, sondern auch der Industrie.

Wie ist denn die Entscheidung der Friedhelm Loh Group zustande gekommen, DTP zu akquirieren?
Wir waren nicht auf der Suche nach einer verlängerten Werkbank, sondern wollten unsere Unternehmensfamilie mit weiterem Know-how bereichern.
DTP hat ein eigenes Team mit eigenem Management, das Verantwortung für die Projekte und Ziele übernimmt – nicht nur Aufträge abarbeitet. Das hat so gut funktioniert, dass wir 2021 den nächsten Schritt gegangen sind und DTP Teil der Gruppe wurde.

von Max Haerder, Henryk Hielscher, Cordula Tutt

Wie sind die deutschen Anforderungen in der Bürokratie im Vergleich zu Polen?
Bürokratie ist ein Hindernis, aber nur einer von mehreren Aspekten. Deutschland verlangt zwar mehr, aber Regeln gibt es auch in Polen – ich würde da für uns nicht den Riesenunterschied machen. In Polen gibt es vor allem aktive und motivierte Menschen, die wollen, dass Unternehmen kommen und Arbeitsplätze schaffen – und Wollen kommt vor Können. In Deutschland machen wir es manchmal unnötig kompliziert.

Was genau macht die DTP für die Friedhelm Loh Group?
Sie arbeiten mittlerweile an nahezu allen Softwareentwicklungen im Hause mit. Begonnen hat es mit einer Software namens „Smart Wiring“. Die Software unterstützt die Kunden von Eplan und Rittal in ihren Arbeitsprozessen beim Schaltschrankbau. Früher mussten Fachkräfte eine dicke Papier-Dokumentation wälzen, um die vielen Komponenten mit den entsprechenden Drähten zu verbinden.

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Glauben Sie, dass Polen in Zukunft ein attraktiver Standort bleibt, oder sich Unternehmen woandershin orientieren?
Ich glaube, es bleibt attraktiv. Aber es gibt Industriezweige, die sehr stark von Lohn- und Energiekosten abhängen. Für diese wird Polen seltener die erste Wahl sein.

Lesen Sie auch: Ist die Jobwanderung nach Osten noch zu stoppen?

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