Streit um chinesischen Anbieter Telekom-Chef: „EU-Empfehlung zu Huawei ist nicht klug“

Telekom-Chef Tim Höttges Quelle: Bloomberg

Die EU empfiehlt, den chinesischen Anbieter Huawei aus dem Antennenzugangsnetz zu entfernen. Tim Höttges, der Chef der Deutschen Telekom, ist dagegen – und zieht Risiken für die kritische Infrastruktur ins Lächerliche.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

„Ist eine Antenne ein systemkritisches Element des Funknetzes?“, fragte Tim Höttges auf dem Podium des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI). „Man kann das diskutieren, aber im deutschen Recht wird sie nicht als systemkritisch definiert – schließlich gibt es auch in jedem Handy eine Antenne und einen Sender“, so Höttges. Damit verharmloste der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Telekom die Gefahr, die die EU-Kommission dem Antennenzugangsnetz, kurz RAN, beimisst.

Dabei wandert bei 5G immer mehr der Intelligenz des Telekommunikationsnetzes aus dem Kernnetz in die Peripherie zu den Antennen. Das macht die Rechenleistung an den Basisstationen immer wichtiger. Gleichzeitig lösen sich die klaren Grenzen zwischen Kernnetz und Antennenzugangsnetz auf.  Manche Funktionen, die zur Software gehören, mit der Antennen betrieben werden, werden zunehmend zentral in der Cloud gesteuert.

Recycling alter Argumente

Schon zuvor hatte die Telekom gegenüber dem Branchenmedium Golem.de die alten Argumente für einen Verbleib von Huawei, die bei der politischen Debatte vor drei Jahren den Ausschlag gaben, recycelt: „Es hat nie die geringsten Sicherheitsprobleme mit Huawei gegeben. Ein Fernzugriff für Herstellerfirmen auf die Systeme für das Netzwerkmanagement ist nicht möglich.“ Softwarekomponenten, so die Telekom-PR, würden redundant an mehreren Standorten vorgehalten und vor einem Einsatz umfangreichen Sicherheitstest unterzogen.

Seitdem aber hat sich die Situation mit dem Ausbruch des Ukrainekriegs verschärft. Schließlich ist nicht nur ein Spionage- oder Sabotage-Szenario möglich, sondern auch ein Boykott. Würden chinesische Ersatzteile und Software-Updates ausbleiben, wäre es eine Frage von Wochen oder Monaten, bis das in den Netzen spürbar wäre. Das Kooperative Cyberdefense Zentrum der Nato, kurz CCDCOE, warnt zusätzlich vor Risiken, die ein mit chinesischen Bauteilen ausgerüstetes 5G-Kommunikationsnetz bei militärischen Truppen- oder Matrialtransporten an Häfen und auf Straßen darstellen würde.

So hatte ein Gremium der EU seine Enttäuschung darüber ausgedrückt, dass erst zehn Mitgliedsländer strategische Maßnahmen gegen den Einbau von chinesischen Bauteilen in europäischen Kommunikationsnetzen ergriffen haben. 

Deutschland wurde vor dem Besuch der chinesischen Delegation in Berlin nicht beim Namen genannt, ist aber mit Abstand die größte europäische Volkswirtschaft, die das sogenannte 5G-Toolkit nicht umgesetzt und damit den Netzausbau mit Hochrisko-Anbietern nicht begrenzt hat. Die EU-Kommission hat zeitgleich erstmals konkret die Unternehmen Huawei und ZTE als Hochrisiko-Anbieter beim Namen genannt. Und sie ging mit gutem Beispiel voran: Sie kündigte den kompletten Ausschluss von Huawei-Komponenten aus ihren Kommunikationsnetzen an. 

Telekom-Chef Tim Höttges hat alle Warnungen in den Wind geschlagen und konsequent auf Huawei gesetzt. Nun erhält er die Rechnung für seine chinafreundliche Strategie – und muss die Technik wohl ersetzen.
von Nele Husmann

Diese Symbolkraft blieb Telekom-Chef Höttges offenbar verborgen. Für ihn hatten chinesische Warnungen wohl mehr Gewicht, als die Worte von Margrethe Vestager, dass Europa sich nicht einschüchtern lasse: Chinesisches Equipment aus den Netzen zu verbannen sei „keine kluge Empfehlung“, sagte Höttges. „Antennen zu verbannen hätte Konsequenzen für andere Industrien, die ihre Produkte nach China verkaufen“, warnte er. Christian Sewing, der Vorstandschef der Deutschen Bank, der ebenfalls auf dem BDI-Podium saß, sekundierte, dass von möglichen Vergeltungsmaßnahmen auch viele mittelständische Familienbetriebe betroffen sein könnten.

An der Telekom wird es nicht liegen: Der Ausrüster, der 95 Prozent von Deutschland mit Mobilfunk versorgt, kaufte noch Ende vergangenen Jahres weiter Equipment bei Huawei ein. Strand Consult, ein dänisches Beratungsunternehmen, schätzt, dass Huawei 59 Prozent des installierten 5G-Equipments ausmacht. Höttges betonte aber, dass er sich gesetzkonform verhalten will: „Wenn Deutschland beschließt, dass wir jede chinesische Ausrüstung verbieten, ist das in Ordnung, wir werden sofort alles tun, um diese Anforderungen zu erfüllen.“

Der Druck, mehr gegen Huawei in den Mobilfunknetzen zu unternehmen, soll laut EU-Kreisen von der Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, persönlich ausgehen.

Huawei spähte dänischen Betreiber TDC aus

Der Wunsch nach sicheren Telekommunikationsnetzen ist nicht nur politische Willkür – sie ist auch die Priorität von Unternehmen, die bereits gehackt oder ausspioniert wurden, oder dies künftig befürchten. Zum Beispiel hatte der niederländische Telekommunikationskonzern KPN im April 2021 laut Medienberichten bemerkt, dass Huawei die Möglichkeit hatte, die Gespräche ihrer 6,5 Millionen Kunden zu belauschen, ohne das KPN sich dieses Risikos bewusst war. Darunter wären auch Telefonate zwischen dem holländischen Premierminister und chinesischen Dissidenten gefallen. Huawei hatte daraufhin geantwortet: „Wir sind noch nie von staatlichen Stellen beschuldigt worden, auf eine unauthorisierte Art und Weise gehandelt zu haben.“

Die Abhängigkeit von China ist die neue Schicksalsfrage der deutschen Wirtschaft. Wie wir die Risiken minimieren – ohne den Handel infrage zu stellen.
von Max Haerder, Sonja Álvarez, Stefan Hajek, Nele Antonia Höfler, Jörn Petring, Jürgen Salz, Dieter Schnaas

Erst vor wenigen Tagen berichtete das amerikanische Magazin Bloomberg Business Week, dass Huawei den dänischen Telekommunikationskonzern TDC 2019 mit Maulwürfen, Abhörequipment und Drohnen ausspioniert habe, um im Wettbewerb mit dem schwedischen Konkurrenten Ericsson einen Vertrag zu gewinnen, das dänische Mobilfunknetz auf 5G hochzurüsten. TDC bestätigte gegenüber der WirtschaftsWoche, dass „Teile dessen, was Bloomberg beschreibt, mit unserer Dokumentation übereinstimmen“. Huawei erwidert darauf: „Wir halten alle Gesetze und Regularien ein und bemühen uns um die höchsten Standards für unser Geschäftsgebaren. Wir streiten jegliches Fehlverhalten ab.“

Die EU hatte vor der Einführung der 5G-Toolbox zum Umgang mit Hochrisiko-Anbietern umfangreiche eigene Untersuchungen und Studien angestellt, die teilweise sogar über die der amerikanischen Regierung hinausgingen. Bemühungen gegen nicht vertrauenswürdige Anbieter gehen in Dänemark bis ins Jahr 2012 zurück, in Großbritannien wird die Präsenz von Huawei in den Kommunikationsnetzen bereits seit 16 Jahren reguliert. 

Die 5G-Toolbox wurde als starke Empfehlung konzipiert, die von den EU-Mitgliedstaaten mit der Unterstützung von der Europäischen Behörde für Cybersicherheit, Enisa und der Gemeinschaft der Europäischen Regulierungsbehörden für Elektronische Kommunikation, BEREC, schon 2019 ausgesprochen wurden. 

Auf dem Podium des BDI musste sich Tim Höttges am Montag sogar die Frage gefallen lassen, warum er überhaupt noch in Europa lebe. Eine schnelle Antwort hatte er nicht parat. 

Immobilien So kassiert der Staat Hausbesitzer ab

Hohe Nebenkosten, explodierende Unterhaltskosten: Immobilieneigentümer werden immer stärker zur Kasse gebeten. Für einige ist die Grenze überschritten – sie wollen ihr Haus sogar verkaufen.

Autozulieferer Wer mutig aufs E-Auto umstieg, ist jetzt der Dumme

Die schlechten Absatzzahlen von E-Autos haben Folgen für Zulieferer: Die Autobauer rufen weniger Bauteile bei ihnen ab, als gedacht. Zulieferer bleiben auf hohen Kosten sitzen. Nun gibt es Krach um Schadensersatz.

Frauenförderung à la Siemens Siemens-Managerin klagt an: Nutzt der Konzern Compliance als „Mitarbeiter-Entsorgungstool“?

Der Fall einer Siemens-Managerin, die schwanger wurde und nun um ihren Job kämpfen muss, erschüttert den Dax-Konzern. Nun wurde der mit ihr verheiratete Personalchef in Mitleidenschaft gezogen.

 Weitere Plus-Artikel lesen Sie hier

Zuvor hatte er sich über wettbewerbsfördernde Regulierungen der EU beschwert, die dazu führten, dass er in Europa nur halb so profitabel operieren könne wie in den USA. Dadurch fehle es an Geld für die Entwicklung von Innovationen. Die Deutsche Telekom erwirtschaftet inzwischen 70 Prozent ihres Umsatzes in den USA. Dort aber ist Huawei längst aus den Netzen der drei großen Mobilfunkbetreiber ausgeschlossen. Höttges nannte auch die Datenschutz-Grundverordnung und geplante Regulierungen von künstlicher Intelligenz als Beispiele für innovationshemmende Politik aus Brüssel – ein Technologie-Start-up würde er anderswo aufmachen, nicht in Europa.

Lesen Sie auch: Wie Deutsche-Telekom-Chef Tim Höttges in die Huawei-Falle tappte

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%