Hidden Champions Olpe Valley: Droht das Weltmarktführer-Idyll zu bröckeln?

Die Sanitär- und Heizungstechnikfirma Viega zählt zu den Weltmarktführern im Bereich der Trinkwassertechnologie, veranschaulicht etwa im sogenannten Aqua-Lab am Viega-Hauptsitz in Attendorn. Quelle: PR

In keinem Kreis in Nordrhein-Westfalen gibt es gemessen an der Einwohnerzahl mehr Weltmarktführer als in Olpe. Doch die Wirtschaftskraft ist bedroht – von fehlenden Fachkräften und einer maroden Brücke.

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Ohrenbetäubendes Zischen schallt aus den Maschinen, Roboterarme drehen sich zackig von links nach rechts und heben kleine metallene Teile um. Aufs Band, dann in den Ofen, hunderte Grad heiß. Es rattert, dampft und knallt, wenn die gewaltige Presse nach unten saust und aus dem Stück Metall eine Pressverbindung macht. Millionen Stück gehen hier jedes Jahr übers Band der Firma Viega, die führend im Bereich Trinkwassertechnologie ist. In Attendorn, im südlichen Sauerland gelegen, stellen sie zumeist Rohrverbindungen her, laden sie auf LKW und verschiffen sie von da aus in die ganze Welt. Von der Freiheitsstatue bis zur Allianz Arena, die Technik des Unternehmens ist weltweit verbreitet.

Viega ist Weltmarktführer par excellence: 1,7 Milliarden Euro Umsatz, ein Kerngeschäft, das kaum einer kennt und Jobmotor für die Region noch dazu. Wären viele Städte schon froh, auch nur eine solche Firma anlocken zu können, haben sie im 25.000-Einwohner-Städtchen Attendorn gleich ein ganzes Spalier davon. Neben Viega gibt es dort den Leichtbauspezialisten Muhr und Bender (Mubea) und auch den Rohrleitungssystem-Experten Aquatherm.

Weitet sich der Blick auf den nur leicht größeren Kreis Olpe, haben sich zwischen dem Kükelheimer Fledermaustunnel und dem Flughafen Hünsborn mehr als 20 Weltmarktführer niedergelassen. Laut einer Studie der Universität Trier kommen hier auf 100.000 Einwohner genau 18,66 Hidden Champions. Das ist ein Rekord in NRW, der zwei Frage aufwirft: Was macht der Kreis Olpe anders als die anderen? Und schafft man es, diesen Vorteil auch in Zukunft zu halten?




Wie der Kreis Olpe zur Erfolgsgeschichte wurde

Auf der Suche nach geeigneten Erklärungen und Zahlen, landet ein jeder schnell bei Jens Becker, Volkswirt bei der NRW-Bank mit Sitz in Düsseldorf. Er kennt die Analysen, die Zahlen, und er sagt: „Die meisten Hidden Champions entstehen in ländlichen Gebieten, weil dort der Zwang zur Größe nicht so gegeben ist wie in Metropolen wie Köln.“ Und noch wichtiger: „Die meist familiengeführten Unternehmen wachsen oft im Verborgenen und fokussieren sich stark auf eine Nische, die sie perfektionieren und sich so über Jahrzehnte hinweg zum Weltmarktführer mausern. Genau das sehen wir in Olpe exemplarisch.“

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Einst gab es in der Region Hütten, um die sich der Metallbau ansiedelte. Hinzu kamen Schwerpunkte im Maschinenbau und im Bereich Automotive. Die meisten Firmen sind anders als im Ruhrgebiet keine börsennotierten Konglomerate mit irren Übernahmeschlachten geworden, sondern bis heute familiengeführt geblieben. Das führt laut Becker zu einer gewissen Verbundenheit mit der Region: „Gerade die Familienbetriebe investieren, wenn möglich, lieber in Attendorn als in Philadelphia oder Shenzhen“, erklärt der Volkswirt der NRW-Bank das Wachstum von so vielen Weltmarktführern in Olpe.

Viega, die Brücke und der Minister

Einer dieser Weltmarktführer ist Viega. Dessen Personalchef Peter Schöler schreitet gerade durch das große Foyer der Viega-World, ein interaktives Schulungs- und Fortbildungszentrum, das futuristisch vor der mehr als 100.000 Quadratmeter großen Produktionsanlage thront. Das hochmoderne Gebäude, mit viel Glas und bronzefarbenen Außenwänden, haben sie für einen hohen zweistelligen Millionenbetrag bauen lassen und Ende Januar eröffnet. Schöler gefällt's. Den dunklen Anzug trägt er ohne Krawatte, die angegrauten Haare hat er nach hinten gelegt. In der Kantine lässt er sich sanft auf einen Stuhl gleiten, lächelt. Wie Olpe zum Idyll für Weltmarktführer wurde, erklärt er ähnlich wie Jens Becker: viele Familien, Traditionen, keine Expansion um jeden Preis.

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Doch anders als Becker sieht Schöler auch die Probleme, die das Idyll in Olpe zunehmend plagen. Das sind die großen Herausforderungen wie Dekarbonisierung, der Fachkräftemangel und ein Netzausbau, der nicht voranschreitet. Noch immer gibt es in Olpe Abschnitte, in denen das Mobilfunknetz versagt. Und dann ist da noch diese vermaledeite Brücke, die Schöler und seinen Kollegen zu schaffen macht. Seit 2021 ist die Rahmedetalbrücke aufgrund von Einsturzgefahr gesperrt. Ein Neubau verzögert sich, und sogar NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst, bis Oktober 2021 selbst Verkehrsminister im Land, musste sich wegen des Chaos Mitte Februar vor dem Verkehrsausschuss verantworten.

Weil die A45 eine der wichtigsten Routen vor Ort ist, ist der Abbruch dieser Lebensader ein mittelschweres Desaster, auch für Viega. „Wir mussten auch unseren gesamten Schwerlastverkehr umstellen“, sagt Schöler. Um weiterhin Speditionen zu finden, die die Strecke fahren, bauen sie gerade Übernachtungsmöglichkeiten aus, sanitäre Anlage, hübschen die gesamte Logistik auf. Mehr ausrichten können sie nicht. Abriss, Neubau und alles weitere bei der Brücke ist Sache des Bundes und des Landes. Mit Blick auf diese Problematik sagt Schöler: „Da würden wir uns deutlich mehr Unterstützung noch aus der Politik wünschen.“

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