Mangelnder Wohnungsbau „Wir haben eine Vertrauenskrise auf dem Wohnungsmarkt“

Bauministerin Klara Geywitz Quelle: imago images

Während die erfolglose Verteidigungsministerin gehen muss, sitzt die weitgehend erfolglose Bauministerin Klara Geywitz fest im Sattel. Warum, erklärt Tim-Oliver Müller vom Hauptverband der Deutschen Bauindustrie.

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WirtschaftsWoche: Herr Müller, die erfolglose Verteidigungsministerin Christine Lambrecht musste gerade ihr Amt aufgeben – warum fordert niemand aus Bau- und Immobilienwirtschaft den Rücktritt der Bundesbauministerin Klara Geywitz? Sie hat ihr politisch prägnantestes Ziel – den Bau von 400.000 neuen Wohnungen im Jahr 2022 klar verfehlt. Die Tendenz im Wohnungsbau und insbesondere beim Bau von Sozialwohnungen zeigt für 2023 weiter abwärts.   
Tim-Oliver Müller: Die Frage nach Geywitz‘ Rücktritt stellt sich an keiner Stelle, zumal sie viele Themen richtig erkannt hat und nun auch inhaltlich besetzt. Fairnesshalber muss gesagt werden, dass die Bauministerin viele Fehlentwicklungen der vergangenen Jahre „erbt“.

Der dramatische Appell der Bauindustrie zusammen mit insgesamt 17 Verbänden von der Bundesarchitektenkammer über Haus & Grund bis zu den Pfandbriefbanken stellte der Politik Anfang Dezember ein denkbar schlechtes Zwischenzeugnis aus: Die Maßnahmen der Bundesregierung, um der Abwärtsspirale im Wohnungsbau mit ihren gravierenden Folgen gegenzusteuern, seien „bislang unzureichend“. Das klingt wie eine Schulnote zwischen fünf und sechs. 
Unser Appell mit den zwölf Forderungen und die damit verbundene Kritik richtet sich nicht nur an die Bauministerin, sondern an mehrere zuständige Minister in Berlin: an Finanzminister Lindner, weil er für die Bereitstellung der Mittel zuständig ist. An den Bundeskanzler, weil er über seine Richtlinienkompetenz den Wohnungsbau zur Chefsache machen muss. Das Bundeswirtschaftsministerium hat auch erklärt, dass der plötzliche Förderstopp nicht optimal gelaufen ist.

Dann fehlt es Frau Geywitz innerhalb der Bundesregierung an Durchsetzungskraft? 
Nein, so kann man das nicht sagen. Frau Geywitz hat mehrfach betont, dass sie gern mehr tun würde. Und einige konkrete Dinge, die uns als Bau- und Immobilienwirtschaft helfen, hat sie realisiert. So wurde die lineare Afa-Abschreibung für den Bau neuer Mietwohnungen nicht nur von zwei auf drei Prozent erhöht, sondern auch von 2024 auf Anfang 2023 vorgezogen. Und mit der zeitlich befristeten Sonder-Afa in Höhe von fünf Prozent für vier Jahre hat Frau Geywitz eine wesentliche Forderung umgesetzt, auch wenn die Kopplung an den Energieeffizienz-Standard EH40 hinterfragt werden sollte. Dass serielle und modulare Fertigung im Wohnungsbau zu mehr Effizienz führen würde, hat Frau Geywitz verstanden und oben auf die Agenda gesetzt. Jetzt muss sie es schaffen, die Bundesländer zur Harmonisierung der 16 Landesbauordnungen zu bewegen. Denn heute haben wir noch das sinnlose Hemmnis, dass ein beispielsweise in Hamburg nach allen behördlichen Anforderungen geprüftes und genehmigtes Gebäude in jedem anderen Bundesland noch einmal komplett geprüft und genehmigt werden muss, auch wenn Bauweise und Maße identisch sind.

Zur Person

Ziemlich spontan hat die Bauministerin die 17 Verbände und auch Sie nach dem Appell vom Dezember zu einem Austausch am vergangenen Freitag eingeladen. Was ist dabei heraus gekommen? Wird der Bund die geforderten 15 Milliarden Euro für den Wohnungsbau und die 25 Milliarden für die Sanierung der Verkehrswege bereit stellen? 
Für die Neubauförderung im Wohnungsbau bin ich nicht allzu optimistisch. Im Gegenteil: Frau Geywitz betont neuerdings, dass mehr Geld nicht zu mehr Bau führt. Für die Verkehrswege hoffen wir noch auf ein Gespräch mit Bundesverkehrsminister Wissing, hier müssen wir einen Mobilitätskollaps dringend abwenden.

Konkret provoziert sie im TV und auf Twitter sogar mit der Feststellung: „Mehr Geld allein bringt gar nichts. Wir müssen die Kapazitäten auf dem Bau ausweiten.“ Sie haben auf Twitter gekontert: „Bei sinkendem Auftragseingang liegt es nicht an einem Kapazitätsmangel auf unserer Seite.“ 
Richtig. An Kapazitätsengpässen scheitert in Deutschland heute kein Bauprojekt. Das Problem ist, dass bei den Bauunternehmen weniger Wohnungen bestellt werden, weil nicht in genügend bezahlbaren Wohnraum investiert wird. Rentabel zu bauen, ist heute nur möglich bei Mietpreisen von 15 bis 16 Euro pro Quadratmeter. Die Lücke zu Mietpreisen, die sozial verträglich sind, muss die Politik schließen. Außerdem brauchen wir schnellere und digitale Planungs- und Genehmigungsverfahren. Da kann Frau Geywitz bei den Vorgaben für die Auftragsvergabe bei Bund, Ländern und Kommunen viel bewegen. Auch ob es besser und schneller gelingt, klimagerecht zu bauen, hängt von zielgenauen Ausschreibungen ab.

Weniger gebaut wurde im vergangenen Jahr vor allem, weil Material fehlte und weil Baupreise und Zinsen enorm gestiegen sind.  
Das ist das Ausgangsproblem. Wenn die Politik darauf nicht entschlossen reagiert, sagt auch der ZIA als Dachverband der Immobilienwirtschaft, „laufen wir sehenden Auges in einen Wohnungsnotstand“. Das kann keine Bundesregierung wollen und politisch vermutlich auch kaum aushalten.

Ist es denn eine gute Nachricht, dass als Alternative zum früheren Baukindergeld ab 1. Juni 350 Millionen Euro an zinsgünstigen KfW-Krediten an bauwillige Familien vergeben werden? 
Das würde ich mir wünschen, gerade für junge Familien. Förderberechtigt sollen allerdings Familien sein, deren Einkommen 60.000 Euro pro Jahr nicht übersteigt plus 10.000 Euro für jedes Kind. Das schließt nicht nur viele aus. Man muss sich auch die Frage stellen, ob dieses Instrument den Bedarf deckt, wenn förderberechtigte Familien in der jetzigen Marktlage rund 50, 60 Prozent ihres Einkommens für den Traum vom Eigentum ausgeben müssten. Zudem sind die 350 Millionen Euro Teil der avisierten Neubau-Fördermilliarde, anstatt on-top zu kommen. Deshalb nochmal: Ohne Neubauförderung wird das nix. Das können wir drehen und wenden, wie wir wollen.



Ihr Verbandspräsident Peter Hübner sagt: „Realistisch ist, dass wir 2023 nur rund 250.000 Wohnungen fertigstellen.“ Ändert das KfW-Förderprogramm oder irgendein anderes bisher bekanntes Vorhaben etwas an dieser Prognose? 
Wir haben auf dem Wohnungsmarkt eine Vertrauenskrise. Viele private und öffentliche Wohnungsbaugesellschaften halten sich mit dem Neubau zurück. Im Grunde muss fast jedes Wohnungsbauprojekt neu bewertet werden, die Stornierungen sind auf einem Höchststand. Das Wegbrechen der KfW-Förderungen hat 2022 einen erheblichen Teil dazu beigetragen. Dieses Vertrauen gilt es, wiederherzustellen. Für 2023 müssen wir aber sagen, dass das Jahr baulich fast schon „durch“ ist. Was heute nicht beauftragt ist, wird aller Voraussicht in diesem Jahr nicht mehr fertiggestellt. Einfach, weil Planung, Genehmigung und Bau eine gewisse Vorlaufzeit brauchen.  

Wie groß ist die Krise aus Sicht der Bauwirtschaft wirklich? Sie zitieren Umfragen, wonach 16 Prozent der Unternehmen berichten, sie seien von Auftragsstornierungen betroffen. Aber heißt das nicht im Umkehrschluss: 84 Prozent der Unternehmen arbeiten in aller Ruhe ihre vollen Auftragsbücher ab? Und auch die 16 Prozent haben womöglich nur einen Auftrag verloren und nicht alle. 
Von Krise möchte ich ausdrücklich nicht sprechen. Wir werden zwar einen realen Rückgang beim Umsatz haben. Für 2022 rechnen wir mit einem Minus von 5 Prozent. Und etwas ähnliches erwarten wir auch für 2023, wahrscheinlich 6 Prozent realer Rückgang. Das hat allerdings bei Weitem nichts mit dem zu tun, was wir schon hinter uns haben – beispielsweise in den 90er Jahren, als die Branche nach der Wiedervereinigung im wahrsten Sinne halbiert worden ist. Das wird jetzt nicht passieren, etwa, weil wir einen sehr hohen Auftragsbestand haben. Aber sicherlich ist die Stimmung mit Blick auf die Zukunft getrübt. 

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Vor allem im Wohnungsbau?
Ja, die Zahl der Stornierungen bildet da nicht die gesamte Realität ab, diese Zahl nennt Projekte, die während der Planung storniert werden – wir blicken eher mit Sorge auf Projekte, die gar nicht erst angegangen werden. Einfach, weil das Vertrauen nicht da ist. Die gestiegenen Zinsen, die hohen Preise und die Inflation kommen hinzu und sind nicht gerade hilfreich, das kann man so sagen. Aber: die Bauindustrie ist eine Zukunftsbranche. Die großen politischen, gesellschaftlichen Aufgaben gehen nicht ohne, sondern nur mit und durch uns – Mobilitätswende, Energiewende, Klimaschutz, bezahlbarer Wohnraum. Deshalb bleiben wir optimistisch und motiviert.

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