So denkt der Mittelstand über das WEF Wolfgang Grupp: „Ich habe in Davos nichts zu suchen“

Er meidet das World Economic Forum: „Ich kümmere mich lieber um meine Probleme vor Ort“, sagt Wolfgang Grupp. Der Eigentürmer und Geschäftsführer des Textilunternehmens Trigema spricht damit vielen Mittelständlern aus der Seele. Quelle: dpa

Nach zwei Jahren Corona-Abstinenz trifft sich die globale Polit- und Wirtschaftselite mal wieder im Schweizer Davos. Deutsche Familienunternehmen bekämen Zugang, aber sie meiden das Event. Warum nur?

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Das Örtchen Grüsch in der Region Prättigau ist seit 1963 der Schweizer Standort des deutschen Maschinenbauers Trumpf – und liegt nur rund 30 Kilometer von Davos entfernt. Was läge da näher für einen Weltmarktführer, als einfach mal vorbei zu fahren, wenn die globale Politik- und Wirtschaftselite ihr Stelldichein gibt. Es habe in der Vergangenheit sogar Einladungen gegeben, lässt Trumpf ausrichten.

Doch Nicola Leibinger-Kammüller, die Chefin von Trumpf, und Berthold Leibinger, der bis 2005 die Geschicke des Unternehmens leitete, hätten nie an dem Davoser Format teilgenommen. „Wir sehen solche Großveranstaltungen nicht als den geeigneten Ort an, um uns als Unternehmen des Mittelstands in unseren spezifischen Positionen zu präsentieren, die uns und anderen Firmen der Branche unter den Nägeln brennen“, sagt ein Trumpf-Sprecher.

Der Mittelstand und Davos – es ist eine besondere Beziehung. Deutsche Familienunternehmen wertschätzen zwar das World Economic Forum (WEF) als einen Ort, wo sich die politische und wirtschaftliche Elite zum Austausch trifft und wichtige globale Themen diskutiert. Aber selbst meiden sie den Glamour vor dem Hintergrund der Schweizer Alpen. Familienkonzernen und Weltmarktführern ist ihr Business schlicht wichtiger. Wenngleich der eine oder andere die Bedeutung des Mittelstands gerne thematisiert hätte.

Trumpf ist da eines von vielen Familienunternehmen, die sich lieber auf ihr Geschäft konzentrieren. Dass Davos ähnlich wie die Veranstaltungen rund um die Münchner Sicherheitskonferenz eine Relevanz besitze, um als Wirtschaft grundsätzlich über Fragen der Sicherheits-, Energie- und Handelspolitik zu sprechen, „steht für uns nicht zur Disposition“, heißt es bei Trumpf. Aber man prüfe „neben einem gewissen 'mittelständischen Understatement'“ bei öffentlichen Auftritten im Vorfeld vielmehr, „wo wir unsere Botschaften setzen können, damit sie auch gehört werden“. Für den Ausbau bestehender Kundenbeziehungen „ist Davos wie erwähnt nicht relevant für uns.“

Davos hat sich inzwischen zu einem Mythos aufgebaut. Auf der Webseite des Forums heißt es dazu: „Davos 2022: Who's coming and everything else you need to know.“ Auf der Teilnehmerliste stehen mehr als 50 Regierungschefs und mehr als 1250 Entscheider aus der Wirtschaft, insbesondere auch fast 100 Technikpioniere, die an disruptiven Innovationen forschen. Hinzu kommen Medien, NGOs und Jungunternehmer. Aus Deutschland nehmen Bundeskanzler Olaf Scholz und Vize-Kanzler Robert Habeck teil. Die Schwerpunktthemen: der Ukrainekrieg, die Weltwirtschaft – und Klimaschutz.

Die meisten deutschen Weltmarktführer könnten teilnehmen, eine Eintrittskarte wäre ihn vom deutschen Ausrichter Klaus Schwab wohl garantiert. Unternehmen wie der Tunnelbohrmaschinenhersteller Herrenknecht, Gartengeräteproduzent Stihl oder Reinigungsspezialist Kärcher wollten sich auf Anfrage nicht äußern.

Die Sinnhaftigkeit der Veranstaltung stellt auch Wolfgang Grupp nicht in Frage. „Das Format ist sicher gut“, sagt er. Dort treffe sich die globale Politik- und Wirtschaftselite zu wichtigen Themen wie den Ukrainekrieg oder die steigenden Energiepreise. „Politik kann nur funktionieren, wenn die Wirtschaft läuft. Es ist gut, wenn sich Konzerne und Regierungsvertreter auf Augenhöhe treffen.“

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Dennoch will auch er nicht hin. „Ich habe da nichts zu suchen.“ Trigema sei ein mittelständisches Unternehmen, kein Weltmarktführer. „Ich kümmere mich lieber um meine Probleme vor Ort. Da gibt es zurzeit genug Themen.“ Das Unternehmen zahle jeden Monat „sechs Mal so hohe Energiekosten wie vor zwei Jahren“. Das Garn und vieles andere seien auch teurer geworden. „Ich kann die gestiegenen Produktionskosten nicht zu hundert Prozent weitergeben.“

Grupp hofft auf Botschaften der Verständigung, die aus Davos an die Welt gehen sollten. Die Abhängigkeit von einem Russland unter Putin beim Thema Energie sei aus heutiger Sicht „ein Desaster“, sagt Grupp. Die Frage sei doch: Wie konnte es dazu kommen? „Wir dürfen uns als Staat und Gesellschaft nur dann abhängig von einzelnen Ländern machen, wenn wir ihnen voll vertrauen können. Als Unternehmer achte ich auch darauf, nur dann von einem einzelnen Kunden oder Lieferanten abhängig zu sein, wenn ich mich zu 300 Prozent auf ihn verlassen kann.

Mit Blick auf die Zukunft sagt der Trigema-Chef: „Wir müssen dialogbereit bleiben. Irgendwann wird die Ära Putin vorbei sein. Wir dürfen nicht alle Russen unter Generalverdacht stellen.“

Während die Unternehmer ihre Anwesenheit bei ihren Unternehmen priorisieren, wünschen sich ihre Lobby-Vertreter in Berlin durchaus mehr Einflussnahme. „Der Mittelstand muss endlich von der Ersatzbank aufs Spielfeld“, sagt Markus Jerger, Chef des Mittelstand-Bundesverbandes BVMW. „Der Mittelstand - nicht nur aus Deutschland - findet in Davos nicht statt.“ Das World Economic Forum scheine sich auch bei seinem fünfzigsten Treffen und nach zweijähriger Corona-Pause selbst genug zu sein. „Dabei ist es gerade jetzt von größter Bedeutung, das für Arbeitsplätze, Wachstum und Wohlstand stehende Rückgrat der dort anwesenden Staaten in die Entwicklung der Post-Corona-Strategien von Anfang an einzubinden.“ Hierzu könnten „die den Mittelstand repräsentierenden unabhängigen Verbände, wie wir es in Deutschland sind, entscheidende Beiträge liefern“.

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Jerger sei sich sicher, wenn klein- und mittelständische Betriebe eine Stimme bei diesem zweifelsfrei wichtigen Zusammentreffen in den Schweizer Bergen erhalten würden, „wären die Vorbehalte gegen das WEF in der Öffentlichkeit wesentlich geringer“.

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