Eine fast vollständige adventliche Verdunklung der deutschen Städte fordert Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, um angesichts der Energiekrise Strom zu sparen und das Klima zu schützen. Der vertraute Lichterglanz soll der Vergangenheit angehören: „Vielleicht lässt sich dies ja auf jeweils einen beleuchteten Baum pro Gemeinde reduzieren.“ Ein Baum pro Stadt? An spartanische Appelle wie diesem scheiden sich die Geister. Bürger und Kommunen sind hin- und hergerissen.
Mainz will ein Zeichen setzen und die Stadt in der Adventszeit unbedingt beleuchten. In Berlin ist das gewohnte Lichtermeer auf der Prachtstraße „Unter den Linden“ fraglich. Der Bürgermeister von Peiting bei München hingegen hat schon Verzicht verkündet: Der Weihnachtsbaum frisst zu viel Strom, Peiting lässt ihn dieses Jahr aus.
In einer der schlimmsten Energiekrisen seit Anbeginn der Bundesrepublik gibt es beim Strom keine kulturellen Tabus mehr. In der Debatte über traditionell und kommerziell illuminierte Fußgängerzonen sind viele Verantwortliche in Städten und Gemeinden noch unentschieden, geraten aber unter Zeitdruck. Denn wer für eine helle Innenstadt vor Weihnachten frisches Beleuchtungsmaterial braucht, muss es spätestens jetzt bestellen – doch die Gemeinden zögern.
Klaus Mark schüttelt nur den Kopf über die Diskussionen. Er ist Gründer, Chef und Aushängeschild für MK Illumination, dem Weltmarktführer für Festtagsbeleuchtung. Weihnachten, Ramadan oder einfach die Fußball-WM in Katar: Wenn irgendwo große Lichtmotive auftauchen und die Straßen in Licht tauchen, ist Mark mit seiner österreichischen Firma eingespannt. Vor 25 Jahren hat er das Innsbrucker Unternehmen gegründet. Heute beschäftigt es über 1000 Mitarbeiter auf der ganzen Welt und sorgt unter anderem für die Beleuchtung von Wahrzeichen wie dem gigantischen Weihnachtsbaum im Rockefeller Center in New York.
Kampf mit Auftrags-Stornierungen
Als im Sommer die ersten Politiker kritisierten, lange Lichterketten und großen Motive wie Sterne oder Rehe würden im November und Dezember zu viel Strom fressen, die Städte sollten als Vorbild beim Strom sparen vorangehen, gingen bei Mark prompt die Stornierungen ein. Umsatz von rund einer Million Euro brach mit einem Mal weg.
Der Gründer ging in die Offensive. Presseaussendungen, Interviews und immer wieder der Dialog mit Politikern konnten bis heute das Gröbste auffangen. Von den Stornierungen sei heute nur noch ein kleiner Teil übrig, sagt Mark. Die meisten Kunden habe er überzeugen können. „Aber da sieht man mal, was so ein paar politische Aussagen für einen Effekt auf eine ganze Branche haben kann“, staunt der Firmenboss. Er bemüht sich weiterhin um Aufklärung, damit Deutschland nicht dunkel wird im Winter und das MK-Geschäft nicht ins Rote kippt.
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Mark findet viele Worte, um die Bedeutung von Licht und Hoffnung zu beschreiben, vom Lagerfeuer bis zum Weihnachtsbaum. Doch sein bestes Argument im Kampf für die Weihnachtsbeleuchtung sind Zahlen. Weihnachtsbeleuchtung von MK Illumination, die komplett auf LED setzt, mache in einer Stadt mit 200.000 bis 300.000 Einwohnern gerade einmal 20.000 bis 50.000 kWh und damit einen Anteil von 0,0007 bis 0,001 Prozent des jährlichen Gesamtstromverbrauchs aus, rechnet der Firmenchef vor. Ein Hallenbad hingegen schlucke etwa 750.000 kWh pro Jahr. Marks Fazit: „Weihnachtsbeleuchtung auszuschalten, ist reine Symbolpolitik, die keinem etwas nützt. Im Gegenteil: Sie schadet nur den Städten und den Menschen.“
Weihnachtsbeleuchtung kurbelt Wirtschaft an
Neben der geringen Bedeutung für den kommunalen Strombedarf stellt der Lobbyist in eigener Sache die große wirtschaftliche Bedeutung von Licht in Innenstädten in den Mittelpunkt. In ganz Deutschland und auch Europa gebe es Städte, die Millionen von Besucher nur wegen ihrer spektakulären Lichtinstallation anziehen würden. Viel mehr Menschen kämen in die Städte, wenn diese heimelig beleuchtet seien, was wiederum die lokale Wirtschaft ankurble. Die Ruhrpott-Metropole Essen zum Beispiel: „Die haben jedes Jahr fünf Millionen Besucher, was insgesamt mehr als 100 Millionen Euro Umsatz generiert“, sagt Mark: „Das muss man immer beachten, wenn man über die Ausschaltung von Weihnachtsbeleuchtung spricht.“
Die Energiespar-Vorgaben der Bundesregierung
- Durchgangsbereiche wie Flure, Foyers oder Technikräume werden nicht mehr geheizt – außer, es gibt dafür sicherheitstechnische Gründe.
- Öffentliche Gebäude werden nur noch bis höchstens 19 Grad geheizt - bei körperlich leichter und überwiegend sitzender Tätigkeit. Bisher lag die empfohlene Mindesttemperatur laut Ministerium bei 20 Grad. Für Arbeitsräume, in denen Menschen leichte Tätigkeiten „überwiegend im Stehen oder Gehen” oder mittelschwere und überwiegend sitzende Tätigkeiten verrichten, gilt eine Obergrenze von 18 Grad. Für mittelschwere Tätigkeiten überwiegend im Stehen oder Gehen sind es 16 Grad und für körperlich schwere Tätigkeiten 12 Grad. Für Kliniken, Pflegeeinrichtungen oder andere soziale Einrichtungen gilt die neue Regelung nicht.
- Boiler und Durchlauferhitzer dürfen nicht mehr für die Warmwasserbereitung am Waschbecken genutzt werden – es sei denn, das ist aus hygienischen Gründen vorgeschrieben.
- Die Beleuchtung von Gebäuden und Denkmälern aus rein ästhetischen oder repräsentativen Gründen wird ausgeschaltet. Ausgenommen sind kurzzeitige Beleuchtungen bei Kulturveranstaltungen und Volksfesten.
- Die Verordnung schreibt nicht vor, dass zum Beispiel in Büros die Raumtemperaturen verringert werden müssen – es werde aber ermöglicht, dass Arbeitgeber auch im gewerblichen Bereich rechtssicher weniger heizen dürfen und Gelegenheit haben, dem Beispiel der öffentlichen Hand zu folgen. Dies sei Grundlage für Selbstverpflichtungen von Betrieben und betrieblichen Vereinbarungen zur Energieeinsparung.
- Klauseln in Mietverträgen, die eine bestimmte Mindesttemperatur vorsehen, werden vorübergehend ausgesetzt.
- Private Pools, ob drinnen oder draußen, dürfen nicht mehr mit Gas und Strom geheizt werden.
- Gasversorger und Besitzer größerer Wohngebäude müssen ihre Kunden beziehungsweise Mieter frühzeitig informieren – über den erwarteten Energieverbrauch, dessen Kosten und Einsparmöglichkeiten. Das soll spätestens zum Beginn der Heizsaison passieren.
- Leuchtreklame und Werbetafeln werden von 22.00 Uhr abends bis 16.00 Uhr am Folgetag ausgeschaltet – wenn dies nicht zur Verkehrssicherheit nötig ist wie etwa an Bahnunterführungen. Der Gedanke dahinter: Weil es tagsüber ohnehin hell ist, soll die Beleuchtung erst am Nachmittag wieder für sechs Stunden eingeschaltet werden dürfen.
- Ladentüren oder sonstige „Eingangssysteme” zu beheizten Geschäftsräumen im Einzelhandel dürfen nicht mehr dauerhaft offen stehen – außer das ist für das Offenhalten eines Fluchtwegs erforderlich.
Dem Sparen abgeneigt ist der Unternehmer mit dem braven Mittelscheitel und der grünen Sportbrille keineswegs. „Wir müssen als Gesellschaft über unseren Energiebedarf nachdenken“, gesteht er zu. Den meisten seiner Kunden rate er aktuell dazu, das Licht zu dimmen oder zumindest in den Randstunden auszuschalten. „Brauchen wir Weihnachtsbeleuchtung um drei Uhr nachts? Natürlich nicht. Aber sie ganz auszuschalten, das wäre das falsche Signal. Wir brauchen Licht in dunklen Zeiten“, sagt Mark und schlägt damit in eine ähnliche Kerbe wie viele Befürworter der Beleuchtung. Es geht eben auch um Emotion und Befindlichkeit. So sagte der Berliner CDU-Vorsitzende Kai Wegner zuletzt gegenüber dpa: „Licht bedeutet auch Hoffnung. Und Weihnachten ist das Fest der Hoffnung. Gerade in dieser Zeit brauchen ganz viele Menschen in unserer Stadt Hoffnung.“
Nach dem anfänglichen Stornierungsschock schaut Mark mittlerweile wesentlich gelassener auf das aktuelle Jahr. 2021 hatte der Weltmarktführer einen Rekordumsatz von 145 Millionen Euro eingefahren. 2022 gedenkt er nun trotz des Gegenwinds den Bestwert zu toppen und 165 Millionen Euro umzusetzen.
Denn während Deutschland noch über Lichterketten in Fußgängerzonen diskutiert, sind sie anderswo auf der Welt nicht so verhalten. So viele Aufträge aus dem Mittleren Osten etwa „hatten wir noch nie“, sagt Mark, der sein Geschäft seit jeher sehr international aufgestellt hat. Das zeigte sich auch Mitte September bei der hell beleuchteten 25-Jahr-Feier des Unternehmens mit 400 Gästen aus 60 Nationen. Ein strahlendes Event – trotz der Lichtverzichts-Diskussion im Dach-Raum drei Monate vor Weihnachten.
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