Stromsparen „Weihnachtsbeleuchtung auszuschalten, ist reine Symbolpolitik“

Ist das abschalten der Energiekrise wirklich ein Werkzeug gegen die Energiekrise? Quelle: imago images

Ein Weihnachtsbaum pro Stadt – mehr Festbeleuchtung soll es 2022 nicht geben, fordert die Deutsche Umwelthilfe. Der Beleuchtungs-Weltmarktführer MK Illumination aus Innsbruck hält tapfer dagegen.

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Eine fast vollständige adventliche Verdunklung der deutschen Städte fordert Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, um angesichts der Energiekrise Strom zu sparen und das Klima zu schützen. Der vertraute Lichterglanz soll der Vergangenheit angehören: „Vielleicht lässt sich dies ja auf jeweils einen beleuchteten Baum pro Gemeinde reduzieren.“ Ein Baum pro Stadt? An spartanische Appelle wie diesem scheiden sich die Geister. Bürger und Kommunen sind hin- und hergerissen.

Mainz will ein Zeichen setzen und die Stadt in der Adventszeit unbedingt beleuchten. In Berlin ist das gewohnte Lichtermeer auf der Prachtstraße „Unter den Linden“ fraglich. Der Bürgermeister von Peiting bei München hingegen hat schon Verzicht verkündet: Der Weihnachtsbaum frisst zu viel Strom, Peiting lässt ihn dieses Jahr aus.

In einer der schlimmsten Energiekrisen seit Anbeginn der Bundesrepublik gibt es beim Strom keine kulturellen Tabus mehr. In der Debatte über traditionell und kommerziell illuminierte Fußgängerzonen sind viele Verantwortliche in Städten und Gemeinden noch unentschieden, geraten aber unter Zeitdruck. Denn wer für eine helle Innenstadt vor Weihnachten frisches Beleuchtungsmaterial braucht, muss es spätestens jetzt bestellen – doch die Gemeinden zögern.

von Nele Antonia Höfler, Rüdiger Kiani-Kreß, Christian Schlesiger

Klaus Mark schüttelt nur den Kopf über die Diskussionen. Er ist Gründer, Chef und Aushängeschild für MK Illumination, dem Weltmarktführer für Festtagsbeleuchtung. Weihnachten, Ramadan oder einfach die Fußball-WM in Katar: Wenn irgendwo große Lichtmotive auftauchen und die Straßen in Licht tauchen, ist Mark mit seiner österreichischen Firma eingespannt. Vor 25 Jahren hat er das Innsbrucker Unternehmen gegründet. Heute beschäftigt es über 1000 Mitarbeiter auf der ganzen Welt und sorgt unter anderem für die Beleuchtung von Wahrzeichen wie dem gigantischen Weihnachtsbaum im Rockefeller Center in New York.

Kampf mit Auftrags-Stornierungen

Als im Sommer die ersten Politiker kritisierten, lange Lichterketten und großen Motive wie Sterne oder Rehe würden im November und Dezember zu viel Strom fressen, die Städte sollten als Vorbild beim Strom sparen vorangehen, gingen bei Mark prompt die Stornierungen ein. Umsatz von rund einer Million Euro brach mit einem Mal weg.

Der Gründer ging in die Offensive. Presseaussendungen, Interviews und immer wieder der Dialog mit Politikern konnten bis heute das Gröbste auffangen. Von den Stornierungen sei heute nur noch ein kleiner Teil übrig, sagt Mark. Die meisten Kunden habe er überzeugen können. „Aber da sieht man mal, was so ein paar politische Aussagen für einen Effekt auf eine ganze Branche haben kann“, staunt der Firmenboss. Er bemüht sich weiterhin um Aufklärung, damit Deutschland nicht dunkel wird im Winter und das MK-Geschäft nicht ins Rote kippt.

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Mark findet viele Worte, um die Bedeutung von Licht und Hoffnung zu beschreiben, vom Lagerfeuer bis zum Weihnachtsbaum. Doch sein bestes Argument im Kampf für die Weihnachtsbeleuchtung sind Zahlen. Weihnachtsbeleuchtung von MK Illumination, die komplett auf LED setzt, mache in einer Stadt mit 200.000 bis 300.000 Einwohnern gerade einmal 20.000 bis 50.000 kWh und damit einen Anteil von 0,0007 bis 0,001 Prozent des jährlichen Gesamtstromverbrauchs aus, rechnet der Firmenchef vor. Ein Hallenbad hingegen schlucke etwa 750.000 kWh pro Jahr. Marks Fazit: „Weihnachtsbeleuchtung auszuschalten, ist reine Symbolpolitik, die keinem etwas nützt. Im Gegenteil: Sie schadet nur den Städten und den Menschen.“

Weihnachtsbeleuchtung kurbelt Wirtschaft an

Neben der geringen Bedeutung für den kommunalen Strombedarf stellt der Lobbyist in eigener Sache die große wirtschaftliche Bedeutung von Licht in Innenstädten in den Mittelpunkt. In ganz Deutschland und auch Europa gebe es Städte, die Millionen von Besucher nur wegen ihrer spektakulären Lichtinstallation anziehen würden. Viel mehr Menschen kämen in die Städte, wenn diese heimelig beleuchtet seien, was wiederum die lokale Wirtschaft ankurble. Die Ruhrpott-Metropole Essen zum Beispiel: „Die haben jedes Jahr fünf Millionen Besucher, was insgesamt mehr als 100 Millionen Euro Umsatz generiert“, sagt Mark: „Das muss man immer beachten, wenn man über die Ausschaltung von Weihnachtsbeleuchtung spricht.“

Die Energiespar-Vorgaben der Bundesregierung

Dem Sparen abgeneigt ist der Unternehmer mit dem braven Mittelscheitel und der grünen Sportbrille keineswegs. „Wir müssen als Gesellschaft über unseren Energiebedarf nachdenken“, gesteht er zu. Den meisten seiner Kunden rate er aktuell dazu, das Licht zu dimmen oder zumindest in den Randstunden auszuschalten. „Brauchen wir Weihnachtsbeleuchtung um drei Uhr nachts? Natürlich nicht. Aber sie ganz auszuschalten, das wäre das falsche Signal. Wir brauchen Licht in dunklen Zeiten“, sagt Mark und schlägt damit in eine ähnliche Kerbe wie viele Befürworter der Beleuchtung. Es geht eben auch um Emotion und Befindlichkeit. So sagte der Berliner CDU-Vorsitzende Kai Wegner zuletzt gegenüber dpa: „Licht bedeutet auch Hoffnung. Und Weihnachten ist das Fest der Hoffnung. Gerade in dieser Zeit brauchen ganz viele Menschen in unserer Stadt Hoffnung.“

Nach dem anfänglichen Stornierungsschock schaut Mark mittlerweile wesentlich gelassener auf das aktuelle Jahr. 2021 hatte der Weltmarktführer einen Rekordumsatz von 145 Millionen Euro eingefahren. 2022 gedenkt er nun trotz des Gegenwinds den Bestwert zu toppen und 165 Millionen Euro umzusetzen.

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Denn während Deutschland noch über Lichterketten in Fußgängerzonen diskutiert, sind sie anderswo auf der Welt nicht so verhalten. So viele Aufträge aus dem Mittleren Osten etwa „hatten wir noch nie“, sagt Mark, der sein Geschäft seit jeher sehr international aufgestellt hat. Das zeigte sich auch Mitte September bei der hell beleuchteten 25-Jahr-Feier des Unternehmens mit 400 Gästen aus 60 Nationen. Ein strahlendes Event – trotz der Lichtverzichts-Diskussion im Dach-Raum drei Monate vor Weihnachten.

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