Weltmarktführer: Future Champions Diese drei Unternehmen sind auf dem Sprung an die Spitze

Unternehmer Frank Niemann: Maschinen für die globale Farbindustrie. Quelle: Mario Wezel für WirtschaftsWoche

Rein in die Nische, ab in die Expansion: Wie drei Unternehmen akribisch daran arbeiten, zu Weltmarktführern werden.

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Ein hellblauer Elektro-Porsche und einige Tesla stehen auf dem Parkplatz des Dortmunder IT-Unternehmens Tegos. Der Porsche gehört Andreas Kullmann, dem Chef; die Tesla sind die Dienstwagen seiner Mitarbeiter: „Als ich zehn war, wollte ich schon Chef werden. Ich habe mir ein Haus aus Legosteinen gebaut und 20 Matchbox-Autos davorgestellt“, sagt Kullmann und lacht über seinen offensichtlich aufgegangenen Plan: Tegos ist heute der Softwarespezialist für die Recyclingbranche schlechthin – seit nunmehr 27 Jahren wachsen Unternehmen und Fuhrpark.

Unbekümmert, selbstbewusst und christlich sozial: Tegos-Gründer Kullmann steht für einen Unternehmergeist, der traditionell der sozialen Marktwirtschaft anhängt, aber auch an das große Geschäft denkt. Dessen Fehlen wurde hierzulande in den vergangenen Jahren häufig als Mangel beschrieben, als einer der Gründe dafür, dass in Deutschland viele gute Ideen entstehen – die dann auf der anderen Seite des Atlantiks richtig groß werden.

Doch Kullmann ist nicht so allein, wie es scheinen mag. Das ist eine der Lehren, die sich beim Blick auf Deutschlands Future Champions offenbart, jene Unternehmen, die noch nicht ganz den legendären Status des Weltmarktführers haben, aber in unserem Ranking auf dem Sprung in die erste Liga sind (Methodik siehe nachfolgendes Kästchen).

Zur Methode

Von all den Selbstzweifeln, die die deutsche Wirtschaft derzeit fest im Griff zu haben scheinen, ist da wenig zu spüren. Das zeigt sich auch bei Frank Niemann, der in Melle in Niedersachsen für die weltweite Farb- und Lackindustrie Produktionsmaschinen fertig. „Wir agieren in einer Nische“, sagt der sportlich-schlanke Unternehmenserbe, „aber was wir machen, das kann keiner besser als wir.“ Sein Unternehmen sei „nicht der Mercedes in der Farbenproduktion, sondern der Rolls-Royce“.

Doch so ungewöhnlich manche der neuen Mittelstandsbosse agieren mögen: Auch das klassische Understatement stirbt dabei offenbar nicht aus. Etwa bei Christian Rödl, CEO von Rödl & Partner. Mit einem Jahresumsatz von mehr als einer halben Milliarde Euro zählt die Beratung zu den bedeutendsten deutschen Beratungsunternehmen. Rödl selbst nennt sie den „Kümmerer für mittelständisch geprägte Weltmarktführer“.

Wilhelm Niemann, Maschinenausstatter der Farbindustrie: „Wenn wir Aufträge verlieren, dann wegen des Preises“

Innovativ sein, sich aber nicht in riskante Experimente stürzen – das ist für Frank Niemann kein Widerspruch: Gerahmte Patenturkunden schmücken eine Wand, zu der der Chef des Maschinenbauers Wilhelm Niemann beim Rundgang Besucher wie zufällig navigiert. Von jungen Ideen à la Viertagewoche oder Homeoffice nach Wunsch hält der 61-Jährige allerdings wenig. Das wird schnell klar bei paniertem Rotbarsch und Bratkartoffeln in der cool designten Kantine. Zum einen könnten ortsgebundene Konstruktions- und Produktionsteams solche Privilegien kritisch sehen: „Eine Ungleichbehandlung birgt Stresspotential.“ Zum anderen fragten „indische Kunden, wenn ich in Mumbai verhandele, ob sie über unsere Preise die Annehmlichkeiten des deutschen Wirtschaftslebens finanzieren“.

Gegründet wurde das Familienunternehmen aus dem niedersächsischen Melle 1889 als Tischlerei. 135 Jahre später kennen es Produzenten von Farben, Lacken und anderen zähflüssigen Produkten der chemischen Industrie als Weltmarktführer für Dissolver: Maschinen, die bei der Farbherstellung die Bestandteile von Pigmenten zerschlagen, mischen und rühren – im Fachjargon: dispergieren – und feine, beständige Konsistenzen erzeugen.

Das Unternehmerevent über die Erfolgsgeschichten der deutschen Wirtschaft läuft am 31. Januar und 1. Februar in Schwäbisch Hall.

Niemann-Technik ist im Markt die ausgefeilteste, aber auch die teuerste, sagt der Firmenchef: „Wenn sich indische Käufer für uns entscheiden, geben sie fünfmal so viel aus wie für das Produkt eines heimischen Herstellers. Und wenn wir Aufträge verlieren, dann wegen des Preises.“

Dennoch gehen fast drei Viertel der Maschinen ins Ausland. Und dennoch kamen von 32 Millionen Euro Umsatz 2023 neun Millionen aus Indien. 160 Dissolver und Hochleistungsmühlen für die Farb- und Lackproduktion hat Niemann 2023 gefertigt, manche kaum größer als ein Thermomix, andere 15 Tonnen schwer. Rund 90 Prozent Fertigungstiefe bedeuten, dass nicht nur das Innenleben hausgemacht ist, sondern dass die 170 Mitarbeiter auch alle Verkleidungs- und Bauteile aus Blech und Stahl eigenhändig biegen, schneiden, fräsen, lackieren und montieren. Und das ausschließlich in Melle östlich von Osnabrück. Dabei wird es bleiben, sagt Niemann: „Unser Ruf lebt vom Made by Niemann und Made in Germany.“

Tegos, Digitalisierer der Kreislaufwirtschaft: „Wenn unsere Partner es nicht schaffen, gehen wir selbst in die USA“

Wer Tegos-Chef Kullmann vom Parkplatz in seine Büros folgt, der erlebt einen harten Kontrast. Draußen blitzen die Karossen im Sonnenlicht, drinnen herrscht eine Atmosphäre wie auf einer LAN-Party: Die Jalousien im Entwicklerbüro sind heruntergelassen, bis auf regelmäßiges Klicken ist es still hier. Kullmann, selbst gelernter Programmierer, schätzt die Büroatmosphäre. „Du bist nicht oft im Homeoffice, oder?“, spricht Kullmann einen Mitarbeiter an. „Nie“, antwortet der und grinst.

Andreas Kullmann leitet seit 27 Jahren das von ihm gegründete Unternehmen Tegos. Quelle: Maximilian Mann

Tegos gehört unter den Nischenstars des Landes zu den besonders nischigen. Der Umsatz lag zuletzt bei 11,2 Millionen Euro, der ausgewiesene Gewinn bei 100.000 Euro. Für den Spezialbereich ist das trotzdem viel: Das Unternehmen bietet in einer Cloud Apps und Module an, die auf die Digitalisierung der Recycling- und Entsorgungsbranche zugeschnitten sind. Die besten Verkaufsargumente? „Unser Know-how in der Kreislaufwirtschaft“, sagt Kullmann, der darauf setzt, dass nicht für immer Nische bleiben muss, was heute eine ist. Tegos will vom wachsenden Recyclingmarkt profitieren, eine Analyse des Marktforschungsinstituts Spherical Insights zeigt, dass der globale Markt für Abfallrecyclingdienste bis 2032 rund 107 Milliarden US-Dollar groß sein wird, die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate von Einnahmen, Verkäufen und Investitionen wird mit 5,7 Prozent beziffert.

Kullmann verkauft seine Software über Partnerunternehmen in Asien, Südafrika, Nordamerika und Europa. Zu den größten Kunden gehören die Nehlsen-Gruppe aus Bremen und das finnische Unternehmen Fortum. 2015 hat Tegos einen ehemaligen Partnerbetrieb in England gekauft. Von Manchester aus verkauft Tegos seine Software heute in Großbritannien und Irland. Beim Exportanteil liegt Tegos mit 46,4 Prozent bereits kurz vor der 50 Prozent-Marke, die für den Weltmarktführerstatus bedeutend ist. Um diesen zu erlangen, braucht Tegos aber mehr Wachstum. Der Umsatz des Unternehmens müsste um rund 300 Prozent auf 50 Millionen Euro steigen.

Wie will Kullmann dieses Ziel erreichen? „Bisher sind wir besonders in Europa stark vertreten. Wir wollen nun unser Geschäft in Amerika ausbauen.“ Dazu hat Tegos seinem Partnerunternehmen dort für 2024 ein Wachstumsziel von 15 Prozent gesetzt. „Wenn sie das nicht erreichen, erwägen wir selbst in den USA eine Zweigstelle aufzumachen.“

Es wäre ein großer Schritt. Denn dann bräuchte Tegos in den USA neben einem Vertriebsbüro und digitaler Infrastruktur auch spezialisierte neue Mitarbeiter. Zweifel an einem Erfolg hat Kullmann dennoch nicht. Dass in den USA niemand Tegos kenne, habe nichts zu bedeuten. „Wir wollen ja nicht zum Kunden gehen und fragen, was die Probleme sind. Wir wollen die Probleme schon kennen und Lösungen anbieten.“

Rödl & Partner, globale Beratung mit deutscher Mittelstandsphilosophie: „Wir wollen kein Netzwerk sein“

Der Konferenzraum mit dem Namen Moskau musste weg, das ahnte Christian Rödl in seinem Nürnberger Büro gleich, als vor knapp zwei Jahren Russland die Ukraine angriff. Kiew und Moskau, so hießen zwei der Räume, die im Hauptsitz des Beratungskonzerns Rödl & Partner nach Orten benannt sind, in denen das Unternehmen tätig ist. Und die Räume waren etwas Besonderes, symbolisierten sozusagen die enge Verbindung zwischen den beiden Hauptstädten: Zwischen ihnen lag nur eine dünne Wand, die sich aufschieben ließ ... Also musste „Moskau“ weg.

Der CEO von Rödl & Partner, Christian Rödl, in seinem Nürnberger Büro. Quelle: Maria Bayer für WirtschaftsWoche

Rödl & Partner ist „die“ Beratung des deutschen Mittelstands. Sie hat sich internationalisiert, als die deutschen Maschinenhersteller, Autozulieferer und Anlagenbauer in den vergangenen Jahrzehnten zu globalen Gesellschaften reiften – und natürlich haben damit auch die Probleme ein höheres Niveau erreicht. Dass es den Raum Moskau inzwischen nicht mehr gibt, ist ein kleiner Beleg dafür. Das Unternehmen gab sein Russlandgeschäft mit seinen 200 Mitarbeitern in Moskau und Sankt Petersburg im Februar 2023 ab.

Insgesamt aber lohnt sich die Weltläufigkeit für Rödl. Das Haus setzte zuletzt 588 Millionen Euro um. Zu seinen Wettbewerbern gehören die Big Four der Wirtschaftsprüfer, Deloitte, EY, KPMG und PwC, zu denen CEO Christian Rödl allerdings kulturell auf Abstand geht: „Wir wollen unseren eigenen Weg weitergehen, mit unserer mittelständisch geprägten internationalen Unternehmenskultur, mit unseren eigenen Büros im Ausland“ – und „nicht als Netzwerk“ punkten.

Das Erfolgsrezept von Rödl ist die aus seiner Sicht „branchenuntypische Freiheit“ in seinem Unternehmen: „Wenn von unseren großen Wettbewerbern Kolleginnen und Kollegen neu zu uns kommen, sind sie überrascht, wie viel sie hier entscheiden können, zum Beispiel welche Unternehmen sie als Mandanten gewinnen wollen“, sagt Rödl: „Wir wollen, dass unsere Partner selbst als Unternehmer tätig sind.“

Platz dafür finden Rödl und seine Partner immer wieder dort, wo die Großen nicht genau genug hinschauen: „Wir sind stark ausgelastet im Transaktionsbereich. Das liegt daran, dass wir eher in den mittleren Volumen beraten, statt uns auf Milliardendeals zu konzentrieren.“

Auf der nächsten Seite finden Sie unsere Tabelle mit den Future Champions des deutschen Mittelstands.

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