Es gibt Videoaufnahmen von Ruben Rausing, in denen der bereits hochbetagte Gründer erklärt, wie wichtig konstante Innovationen für den Erfolg und das Überleben einer Firma sind. Heutzutage klingt das wie eine Floskel. Der 1895 geborene Entrepreneur aber war ein Zeitgenosse Joseph Schumpeters und richtete sein unternehmerisches Handeln jahrzehntelang am damals noch neuen Paradigma einer auf Dauer gestellten Erneuerungskraft aus.
Rausing studiert in Stockholm Wirtschaft und erwirbt im Anschluss – dank eines Stipendiums – seinen Master of Science in New York. Dort nimmt er erstmals vom Konzept des Supermarkts Notiz – in Europa bis dahin unbekannt. Rausing erkennt, dass die Industrialisierung und veränderte Konsumgewohnheiten den Lebensmittelhandel auf den Kopf stellen werden – und plant, davon zu profitieren. Er kehrt in seine Heimat Schweden zurück, gewinnt Erik Akerlund als Geldgeber und gründet mit dem Industriellen die erste Verpackungsfirma Skandinaviens. Rausing glaubt von Anfang an an die Idee, Flüssigkeiten in Papier zu verpacken, tütet zu Beginn aber vor allem Trockenprodukte ein. Große Profite bleiben zunächst aus. 1933 verkauft Akerlund seine Anteile. Rausing ist fortan alleiniger Inhaber der Firma.
Und er bleibt seiner Idee treu. In den 1940er-Jahren beauftragt der Gründer sein Forscherteam, eine Milchverpackung aus beschichtetem Papier zu entwerfen. Sie soll so wenig Material wie möglich benötigen, leicht und natürlich günstig sein, um mit den damals gängigen Glasflaschen konkurrieren zu können. Laborleiter Erik Wallenberg schlägt vor, ein Blatt Papier zu rollen und dreiecksförmig zu falten, sodass Verpackungen in Form eines Tetraeders entstehen. Rausing ist überzeugt. Er meldet 1944 ein Patent auf die Innovation an, investiert in die Entwicklung und Umsetzung von Wallenbergs Idee, gründet 1951 die Firma mit dem nahe liegenden Namen Tetra Pak und verkauft ein Jahr später eine Abfüllmaschine an eine lokale Molkerei: ein bescheidener erster Erfolg.
1961 gelingt der Lebensmittelindustrie mit der Methode des Ultrahocherhitzens erstmals das Abfüllen von bakterienfreier Milch. Es ist ein Coup, der die Branche nachhaltig verändert – und Rausing in die Hände spielt. Schon bald danach können unzählige weitere Lebensmittel sicher und ohne Kühlung weltweit verfügbar gemacht werden. Auch die neu entwickelte Verpackungsform der Rausings (mittlerweile sind die Söhne Gad und Hans mit an Bord) kommt gut an: ein rechteckiger Körper, deutlich besser zu transportieren und zu stapeln als die Urform. Die Nachfrage explodiert.
Und so zahlen sich Rausings Innovationswillen und Durchhaltevermögen schließlich aus. Er wird im fortgeschrittenen Alter reich – mit einem Produkt, das die Menschen nach der Nutzung gleich wieder wegwerfen. Sein Vermächtnis ist eines der größten Verpackungsunternehmen der Welt: Allein 2022 wurden 193 Milliarden Tetra Paks verkauft.
Dieser Artikel erscheint in unserer Reihe WiWo History.
