Quelle: REUTERS

WiWo History Durchbruch Wie Aspirin sich gegen Heroin-Hustensaft durchsetzte

Einst hätte Heroin fast das Rennen als Bayers Top-Medikament gemacht. Doch dann setzte sich Aspirin doch noch durch. Vor 125 Jahren begann die Geschichte des Medikamenten-Klassikers.

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Das 100-jährige Aspirin-Jubiläum hat Bayer noch groß gefeiert. Der Höhepunkt: Das damalige Bayer-Hochhaus verwandelte sich in eine riesengroße Aspirin-Schachtel. Von solchen Aktionen ist der Leverkusener Traditionskonzern zum 125. Geburtstag weit entfernt. Womöglich ist niemandem nach Feiern zumute; Bayer steckt nach der Monsanto-Übernahme noch immer in einer schweren Krise.

Der Anlass für den Ehrentag: Am 6. März 1899 wird Aspirin unter der Nummer 36433 in die Warenzeichenrolle des Kaiserlichen Patentamtes aufgenommen. Tatsächlich beginnt die Geschichte von Aspirin sogar schon zwei Jahre früher – 1897 im Pharmazeutischen Laboratorium in Elberfeld. Die Zentrale von Bayer liegt damals noch in Wuppertal, nicht in Leverkusen.

Dem jungen Chemiker Felix Hoffmann gelingt es laut Laborbericht vom 10. Oktober, die fiebersenkende und schmerzstillende Salicylsäure so umzuwandeln, dass sie keinen Brechreiz verursacht. Acetylsalicylsäure, kurz ASS, heißt Hoffmanns Entdeckung.



Einige Zeit bleibt das Mittel unbeachtet. Denn Bayer hat ein anderes Top-Produkt auf dem Markt – einen ebenfalls von Hoffmann entwickelten, angeblich besonders wirksamen Hustensaft namens Heroin, dessen suchtgefährdende Wirkung sich erst später herausstellen soll.

Erst auf Fürsprache einiger Ärzte schafft es auch das neu gefundene Fiebermittel in die Apotheken.



Nach der Anmeldung beim Kaiserlichen Patentamt beginnt ein globaler Siegeszug. Großliteraten wie Thomas Mann oder Franz Kafka preisen das Mittel. Aspirin lindere den unerträglichen Schmerz des Daseins, so Kafka. 1918, nach dem Ersten Weltkrieg, verliert Bayer die US-Rechte. Erst 1994 gelingt dem damaligen CEO Manfred Schneider der Rückkauf.

Das Geheimnis des Aspirin-Erfolgs bleibt allerdings lange unklar. Erst 1971 weist der britische Pharmakologe John Vane nach, warum Aspirin wirkt. Er findet heraus, dass bestimmte entzündungsfördernde Gewebehormone (Prostaglandine) durch das Mittel gehemmt werden. Für Patienten, die Blutgerinnungshemmer nehmen, besteht jedoch ein erhöhtes Blutungsrisiko.

Längst stellen auch andere Hersteller wie Stada oder Ratiopharm ASS-Präparate her. Doch viele Kunden bevorzugen noch das Original. Laut dem Marktforschungsinstitut Insight Health hat die Marke Aspirin im Markt für ASS-Präparate bezogen auf die Substanzsumme einen Marktanteil von 60 Prozent. „Aspirin zählt noch immer zu den Top-10 im deutschen Markt für rezeptfreie Medikamente. Das ist eine wirklich starke Marken-Performance“ sagt Ulrich Zander, Mitinhaber der Managementberatung Sempora Consulting.



Es gibt Aspirin als Brause-, Kautablette oder Granulat, das sich ohne Wasser im Mund auflöst.

Den Großteil produziert Bayer im Werk Bitterfeld (Sachsen-Anhalt) Zur Produktfamilie zählt auch das allerdings verschreibungspflichtige Aspirin Cardio zur Verhütung von Thrombosen oder Schlaganfällen. Der jährliche Gesamtumsatz aller Aspirin-Produkte liegt immer noch bei über eine Milliarde Euro. Eine sichere und gute Einnahmequelle – seit 125 Jahren.




Dieser Artikel erscheint in unserer Reihe WiWo History.

Hinweis: Dieser Artikel erschien erstmals am 20. Januar 2024 bei der WirtschaftsWoche. Wir zeigen ihn aufgrund des hohen Leserinteresses erneut.

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