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WiWo History Tatort Ford-Werke Köln: Wo Gastarbeiter zum „Wilden Streik“ aufriefen – und bitter enttäuscht wurden

Arbeiter aus der Türkei machten 1973 ein Drittel der Belegschaft bei Ford aus. Sie erledigten die härtesten Jobs im Werk in Köln. Doch als sie streikten, erfuhren sie kaum Solidarität.

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Baha Targün steht auf einem Metalltor in Köln-Niehl. Er nimmt ein Megafon zur Hand und ruft den Menschen vor dem Ford-Werk zu: „Wir verlassen den Betrieb nicht. Wir bleiben hier.“

Tausende weitere überwiegend türkische Gastarbeiter streiken an diesem Freitag im August 1973. Normalerweise stehen sie stundenlang in der berüchtigten Y-Halle des Automobilherstellers. Sie verrichten dort knochenharte Fließbandarbeit, die viele Deutsche (die besser bezahlt werden) nicht erledigen möchten.



Doch heute denken die Männer nicht daran. 300 ihrer Landsleute sind zu spät aus dem Sommerurlaub in der Heimat zurückgekehrt. Zuvor wurde das immer gebilligt, da die Reise in und durch die Türkei von vielen Unwägbarkeiten begleitet ist. Doch diesmal hat Ford ihnen gekündigt. Also streiken sie und besetzen das Werk – sodass auch sonst dort niemand arbeiten kann. Sie fordern nicht nur die Rücknahme der Entlassungen, sondern auch „1 DM mehr für alle“, so steht es auf ihren Plakaten. Außerdem wollen sie sechs Wochen Jahresurlaub durchsetzen, eine langsamere Bandgeschwindigkeit und eine bezahlte Waschpause.

Bei dem Arbeitskampf handelt es sich um einen „wilden“ Streik, weil er nicht angekündigt ist und weder Gewerkschaft noch Betriebsrat ihn unterstützen. Er fällt in eine Zeit der Wirtschaftskrise, ausgelöst von Inflation und hohem Ölpreis. Eine Zeit, in der die Lage auf dem Arbeitsmarkt angespannter wird – und damit auch das Verhältnis deutscher Arbeitnehmer zu den sogenannten Gastarbeitern. Am Ende des Jahres wird ein Anwerbestopp in Kraft treten. Sechs Tage lang legen Targün und seine Kollegen das Werk lahm. Ein Kompromissangebot von Ford lehnen sie ab. „Kehrt in die Arme der Gewerkschaften zurück“, appelliert Bundeskanzler Willy Brandt.

Boulevardmedien schüren Ressentiments bis hin zu blanker Ausländerfeindlichkeit: „Ein Gast, der sich schlecht beträgt, gehört vor die Tür gesetzt“, schreibt die „BILD“-Zeitung. Tatsächlich werden am Ende des Streiks Arbeiter verhaftet und anschließend abgeschoben. Die Situation eskaliert, als Gegendemonstranten die Streikenden angreifen und die Polizei die Versammlung gewaltsam auflöst. Später entlässt Ford 100 der am Streik Beteiligten. 600 kündigen unter dem Druck des Arbeitgebers, der die Belegschaft ohnehin verkleinern wollte.



Der wilde Streik bei Ford war nicht der einzige im Jahr 1973. Auch bei Hella in Lippstadt und Pierburg in Neuss legten Gastarbeiterinnen spontan ihre Arbeit nieder. Sie erhielten danach tatsächlich mehr Lohn – anders als die Männer in Köln. Und doch ging vor allem dieser Streik als eine Art Kulturkampf in die Geschichte der Bundesrepublik ein.

Dieser Artikel erscheint in unserer Reihe WiWo History.

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