Quelle: Getty Images

WiWo History Tatort Ivrea: Wo ein Industrieller eine Stadt für seine Mitarbeiter errichtete

Olivetti-Schreibmaschinen sind Kultobjekte und Kulturschätze. Aber Gründersohn Adriano schuf im norditalienischen Ivrea auch ein ganz besonderes architektonisches Ensemble.

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Auf einer Reise von Deutschland über die Schweiz nach Genua oder an die Küste Liguriens bietet sich eine Pause im norditalienischen Ivrea an. Hier, am Fuß der Alpen kurz vor Turin, gibt es eine Altstadt samt kleiner Burg und alter Brücke.

Wer auf ihr den Fluss überquert, landet in einem Teil der Stadt, den die Unesco wegen des geglückten Zusammenspiels von Architektur und Industrie 2018 zum Weltkulturerbe erklärte: Camillo Olivetti ließ 1908 eine von ihm selbst entworfene Montagehalle aus rotem Ziegelstein errichten.



Hier ertüftelte der Ingenieur die erste italienische Schreibmaschine, die sein Unternehmen bald zum Erfolg führte. Camillo schätzte und schützte seine Belegschaft, führte bereits 1909 eine Betriebskrankenkasse ein. Als sein Sohn Adriano 1932 das Zepter übernimmt, baut er die sozialen Selbstverpflichtungen aus: Es gibt bald Mutter-und-Kind-Hilfen, eine Krippe, eine Bibliothek und ein Gesundheitszentrum auf dem Firmengelände.

Die Gestaltung des Unternehmenssitzes soll der Produktion und den Bedürfnissen der Mitarbeiter dienen – in einer ästhetisch ansprechenden Umgebung.



Dafür sorgen vor allem Luigi Figini und Gino Pollini, zwei Vertreter der schlichten, rationalistischen Architektur. Sie erweitern das Olivetti-Werk aus Backstein bis 1958 vier Mal, etwa um eine Balkenbrücke aus Stahlbeton und mehrstöckige Anbauten mit verglasten Außenwänden. Sie sind auch Schöpfer des Kindergartens und eines Hauses mit 24 Wohneinheiten für Angestellte. Andere Architekten entwerfen die Kantine und das Forschungszentrum.

So entsteht über die Jahre ein Komplex aus 27 Gebäuden. Die Stadt in der Stadt korrespondiert mit der von Adriano Olivetti gegründeten Movimento Comunità (Gemeinschaftsbewegung), aus der später eine Partei wird. Zeitweilig ist er sogar Bürgermeister von Ivrea. Gleichzeitig bringt der Unternehmer die Firma Olivetti voran, legt auch dabei den Fokus auf die Verbindung von Funktionalität und Ästhetik.



Die Lettera 22 schafft es bis ins Museum of Modern Art in New York. Nach dem überraschenden Tod Adrianos 1960 im Alter von 59 Jahren wächst die Stadt in der Stadt nicht weiter. Olivettis neue Manager beweisen eine mal mehr, mal weniger glückliche Hand.

In den 1980er-Jahren ist das Unternehmen einer der größten PC-Hersteller mit mehreren Zehntausend Mitarbeitern, in den 1990er-Jahren stürzt die Weltfirma in eine Krise. Es folgt der Eintritt in den Mobilfunkmarkt, 2003 verschmelzen Olivetti und Telecom Italia. Heute sitzen vor allem Chefs und Mitarbeiter anderer Firmen, Studenten und Start-up-Gründer in den Olivetti-Gebäuden in Ivrea – in Denkmälern, die an die Herkunft und Bedeutung von Mitarbeiterführung und Arbeitsumgebung gemahnen.




Dieser Artikel erscheint in unserer Reihe WiWo History.

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