Bewerbungsgespräch Wie die politische Einstellung die Jobchancen beeinflusst

Am Wochenende ziehen wieder Menschen gegen Rechtsextremisten auf die Straßen. Auch im Job spielt die Haltung eine Rolle: Forscher haben untersucht, wie Personaler mit der politischen Einstellung von Bewerbern umgehen.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Christian Kullmann ist ein Manager mit Haltung. Schon bevor zehntausende Menschen in München, Berlin, Köln und anderen Städten gegen die AfD auf die Straße zogen, gab Kullmann, Chef des Essener Chemiekonzerns Evonik, der „Süddeutschen Zeitung“ ein Interview. Die AfD bezeichnete Kullmann darin als „braun durchwirkte Partei“, Björn Höcke, den Vorsitzenden der AfD-Fraktion im Thüringer Landtag, als „Nazi“. Wer die AfD wähle, gefährde Jobs – „seine eigenen und die anderer Leute“.

Mindestens ebenso bemerkenswert wie Kullmanns Klarheit ist eine Anekdote, die der Firmenlenker ausbreitet: Er berichtet von einem Auszubildenden, der bekennender Nazi gewesen sei. Kullmann habe davon gehört und bei der nächsten Vorstandssitzung gesagt: „Adolf Hitler hätte bei uns Karriere machen können.“ Die Ansage vom Chef: „Der Knabe muss weg. Es ist auch egal, ob diese Trennung ein bisschen Geld kostet.“ Einen Vertrag habe der Auszubildende nicht bekommen, berichtet Kullmann.

Bemerkenswert ist die Erzählung deshalb, weil sie eine grundlegende Frage aufwirft, die heute und in Zukunft immer mehr Manager und Personaler im Land umtreiben wird: Wie umgehen mit den politischen Einstellungen von Bewerbern und Mitarbeitern? Gerade jetzt, da Beschäftigte auf den Bürofluren und in den Fertigungshallen hitzig diskutieren: über Migration und AfD-Verbot. Über Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten. Über die Bauernproteste und die Performance der Ampel. Über Heizungsgesetz und Bürgergeld.

Es lohnt sich, auf Erkenntnisse von Wirtschaftspsychologinnen und Organisationsforschern zu blicken. Sie haben vor allem zu der Frage Untersuchungen angestellt, wie politische Einstellungen die Aussichten im Bewerbungsprozess beeinflussen. In einer Arbeit in der Fachzeitschrift „Political Behavior“ untersuchten zwei Wissenschaftler aus den USA im Jahr 2014, ob es die Chancen von Bewerbern schmälert oder steigert, wenn sie im Lebenslauf deutlich machen, ob sie den Demokraten oder Republikanern nahestehen. Sie verschickten 1200 Lebensläufe von sechs fiktiven Bewerbern an Unternehmen in zwei US-Staaten: ins Collin County im besonders konservativen Bundesstaat Texas. Und ins Alameda County im liberalen Kalifornien.

Gleich und Gleich gesellt sich gern

Ein Drittel der vorgeblichen Bewerber wirkte 2012 als Praktikant an der Kampagne für den republikanischen Präsidentschaftskandidaten Mitt Romney mit und war den Bewerbungsunterlagen zufolge bei den „College Republicans“ tätig, einer Jugendorganisation, die der republikanischen Partei nahesteht. Ein anderes Drittel der fiktiven Bewerber engagierte sich bei den „College Democrats“ und arbeitete an der Kampagne von Barack Obama mit. Bei dem übrigen Drittel der Lebensläufe verzichteten die Forscher auf die Angabe eines politischen Engagements.



Wie die Wissenschaftler erwartet hatten, erhielten die republikanischen Kandidaten und die Bewerber ohne politisches Engagement in Texas mehr Rückmeldungen als die Demokraten. In Kalifornien erhielten die Republikaner weniger Rückmeldungen als die Demokraten und die fiktiven Bewerber, die in ihrem Lebenslauf nichts zur politischen Einstellung preisgegeben hatten. Die Bewerber der jeweils „richtigen“ Partei hatten in den Staaten allerdings keine wesentlich höhere Wahrscheinlichkeit, eine Rückmeldung zu erhalten als die Bewerber ohne Parteipräferenz. Arbeitgeber seien Bewerbern mit gegenteiliger politischer Ausrichtung gegenüber also eher abgeneigt, „als dass sie gleichgesinnte Kandidaten bevorzugen“, schlussfolgerten die Forscher. Ihre Ergebnisse deuteten darauf hin, „dass Personen sich manchmal selbst benachteiligen können, wenn sie in ihren Lebensläufen Hinweise auf ihre Parteizugehörigkeit geben“.

Eine aktuelle Arbeit von Forschern der Universität Gent hat erst kürzlich ein ähnliches Experiment in Belgien durchgeführt, wo die Parteienlandschaft deutlich vielfältiger ist als in den USA. Die Arbeit ist zwar erst als Diskussionspapier beim Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) erschienen – und doch liefert sie spannende Einsichten. Im Mai 2023 verschickten die Forscher jeweils fünf fiktive Lebensläufe an 250 Recruiter belgischer Unternehmen. Die Personaler sollten bewerten, ob die Bewerber zu einem ersten Interview eingeladen werden sollten oder nicht. Untersucht wurde auch, welche Persönlichkeitseigenschaften sie ihnen nach dem schriftlichen Eindruck zuschreiben würden.

In einem Viertel der Lebensläufe erwähnten die Forscher ein politisches Engagement der Bewerber einer der flämischen Parteien: linke Sozialisten, Grüne, Sozialdemokraten, Christdemokraten, Liberale, Nationalisten oder rechte Nationalisten. Als Vorstandsmitglied, Schatzmeister oder Generalsekretär im lokalen Parteibüro. In einem anderen Viertel der Lebensläufe engagierten sich die Bewerber außerhalb der Politik: im Karnevalsverein oder im Kulturrat. In der Hälfte der Bewerbungen fand sich keine Information zu einem Engagement.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%