Psychologische Studien Ja, Arbeit lohnt sich noch!

Jeden Tag zur Arbeit schleppen? Zahlt sich auch fernab des Gehalts aus! Quelle: Getty Images

Es war eine der Fragen des Jahres: Soll ich mich noch jeden Morgen zur Arbeit schleppen – oder reicht das Bürgergeld nicht auch aus? Fernab aller finanzieller Vorzüge kennen Forscher viele positive Effekte der Arbeit.

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Als Bundesarbeitsminister Hubertus Heil im November in der Talkshow „Hart aber fair“ zu Gast war, wählte der SPD-Politiker überraschend deutliche Worte. „Jemand, der wirklich – ich sage das mal ganz offen – so bescheuert ist, wegen des Bürgergeldes zu kündigen, der bekommt erst mal kein Bürgergeld, der kriegt erst mal eine Sperre beim Arbeitslosengeld.“ Das Bürgergeld sei schließlich kein bedingungsloses Grundeinkommen. Rumms.

Und doch gelang es dem Minister mit seinen markigen Worten nicht, einen Schlussstrich unter einer der größten Debatten des Jahre 2023 zu ziehen. Zum 1. Januar steigen die Regelsätze des Bürgergelds um zwölf Prozent. Mitte Oktober hatte der Bundesrat einer entsprechenden Verordnung aus Heils Ministerium zugestimmt. Und viele Arbeitnehmer fragen sich nun, ob sich Arbeit denn überhaupt noch lohnt. Ob das Bürgergeld nicht ausreicht und obendrein einen stressfreieren Tagesablauf ermöglicht. Zwar geht aus einem neuen Entwurf aus Heils Ministerium nun hervor, dass Bürgergeld-Empfängern, die sich konsequent weigern, Jobangebote anzunehmen, die Regelleistung für bis zu zwei Monate gestrichen werden soll. Doch der Entwurf, über den die „Bild-Zeitung“ zuerst berichtet hatte, befindet sich noch in der Ressortabstimmung und dürfte die Debatte vorerst auch nicht beenden.

Also was denn nun? Lohnt sich Arbeit noch? Einen Teil der Antwort liefern Forschungsarbeiten von Wirtschaftspsychologen, die nahelegen, dass es neben dem Gehalt zahlreiche positive Auswirkungen der Erwerbstätigkeit gibt. In Zeiten, in denen sich Menschen ernsthaft fragen, ob sie ihren Lebensunterhalt nun vom eigenen Lohn oder lieber von staatlicher Hilfe bestreiten sollen, lohnt es sich, diese Forschungsarbeiten genauer zu betrachten.

Geld ist nicht alles

Müsste Karsten Paul bei gleichem Einkommen zwischen Erwerbstätigkeit oder Arbeitslosigkeit wählen, würde er sich stets für die Arbeit entscheiden. „Während sich die Arbeitslosigkeit über das Monetäre hinaus negativ auswirkt, tut uns die Arbeit gut, indem sie verschiedene psychische Bedürfnisse erfüllt“, sagt Paul, der an der Johannes Kepler Universität (JKU) in Linz zu den psychologischen Auswirkungen von Arbeitslosigkeit forscht.

Eine grundlegende Theorie zu dieser Thematik stammt von der österreichischen Sozialpsychologin Marie Jahoda. Anfang der 1980er-Jahre veröffentlichte Jahoda ihr „Modell der manifesten und latenten Funktionen der Erwerbsarbeit“. Die manifeste Funktion von Arbeit ist das Gehalt. Die fünf latenten – also die eher versteckten – Funktionen von Arbeit sind laut Jahoda: ein strukturierter Tagesablauf, soziale Kontakte, Status und Identität, Teilhabe an kollektiven Zielen und dadurch ein Sinnerleben sowie eine regelmäßige Tätigkeit. Diese Faktoren seien psychische Bedürfnisse. Und werden sie nicht erfüllt, hat das laut Jahoda Auswirkungen auf die mentale Gesundheit.

In einer Meta-Analyse in der Fachzeitschrift „Journal of Vocational Behavior“ aus dem Jahr 2009 untersuchte Karsten Paul gemeinsam mit seinem Kollegen Klaus Moser mehr als 300 Studien und fand heraus, dass Arbeitslose mehr Symptome psychischer Belastungen aufwiesen als Erwerbstätige. Also etwa Depressionssymptome, eine geringere Lebenszufriedenheit und ein schwaches Selbstwertgefühl. Durchschnittlich berichteten 34 Prozent der Arbeitslosen über psychische Probleme. Bei den Erwerbstätigen waren es dagegen nur 16 Prozent.

Wer Bürgergeld bezieht, kann seit Juli mehr Geld hinzuverdienen. Das soll den Anreiz zur Arbeit steigern – doch der gewünschte Effekt dürfte gering bleiben.
von Florian Kistler

Im gleichen Jahr sammelte Paul mit einem Kollegen Antworten von fast 1000 Menschen in Deutschland, um die Theorie von Jahoda zu prüfen. Beschäftigte berichteten dabei über ein hohes Maß an Zeitstruktur, sozialen Kontakten, kollektiven Zielen sowie Sinnerleben und Aktivität. Und das nicht nur im Vergleich zu Arbeitslosen, sondern auch im Vergleich zu anderen Personen, die nicht erwerbstätig sind. Also etwa Studenten, Hausfrauen und Rentner. Nur für den Status, den Arbeit laut Jahoda verleiht, konnten die Forscher „keine signifikanten Unterschiede zwischen Erwerbstätigen und Nichterwerbspersonen feststellen“, wie sie schreiben. In einer aktuellen Meta-Analyse, die im März in der Fachzeitschrift „Frontiers in Psychology“ erschien, fand Paul dann mit Forscherkollegen in einer Meta-Analyse heraus, dass Arbeitnehmer in allen fünf Kategorien signifikant höhere Werte berichteten – auch beim Status.

Kein Sinn und keine Zeitstruktur

„Unsere Untersuchungen zeigen, dass die Sinngebung durch die Erwerbstätigkeit am bedeutsamsten für das Wohlbefinden ist.“, sagt Paul. Aber auch der finanzielle Mangel spiele bei Arbeitslosigkeit eine wichtige Rolle: Arbeitslose könnten sich selbst viele Freizeitaktivitäten und den „kleinen Luxus“ häufig nicht mehr leisten, wie Paul sagt: ein Abend im Kino oder im Restaurant etwa. Bei vielen komme es auch zu gravierenderen Einschränkungen des Lebensstandards, wenn ausreichend Winterkleidung oder rezeptfreie Medikamente nicht finanziert werden können. „Müssen Arbeitslose Auto und Haus abbezahlen, plagen sie zudem häufig existenzielle Sorgen.“ Zudem fehle häufig die Perspektive, wie es im Leben weitergehen soll.

Hinzu kommt: „Wir sind seit dem Kindergarten und Schule darauf getrimmt, dass uns Institutionen unseren Tages- und Wochenablauf vorgeben. Diese lebenslange Gewöhnung und der plötzliche Wegfall des äußeren Drucks führt bei vielen Arbeitslosen dazu, dass es ihnen schwerfällt, sich eigenständig eine funktionierende Zeitstruktur zu schaffen“, sagt Paul. Und diese Zeit zerrinne dann häufig – ohne dass etwas dabei „herauskommt“. Das drückt auf die Stimmung. „Marie Jahoda bezeichnete die freie Zeit, um die viele Erwerbstätige Menschen ohne Arbeit sicher beneiden, als ‚tragisches Geschenk‘“, weiß Paul.

Das Gefühl, etwas Nützliches zu tun, sei eine Art „psychologisches Grundbedürfnis“, sagt Paul. Zwar gebe es auch andere Tätigkeiten, die Sinn stiften: ein Ehrenamt, ein Hobby, die Mitgliedschaft in Kirchengemeinde oder Kreistag. Und wer einer solchen Tätigkeit nachgeht, kommt meist auch besser mit dem Jobverlust klar. Doch Paul betont eben auch: Berufe ermöglichen in vielen Fällen den deutlich größeren Lebenssinn.

„Und was machst Du beruflich?“

Der Mensch, so Paul, baue seine Identität um den Beruf herum auf. Wer neue Menschen kennenlernt, fragt in der Regel relativ zu Beginn nach dem Job des Gegenübers. „Ich kann mir kaum einen Beruf vorstellen, der weniger Ansehen besitzt, als erst gar keinen Job zu haben“, sagt Paul. Zwar definieren sich auch Arbeitslose zu Beginn noch häufig über die letzte Tätigkeit. Doch die Identifikation schwinde mit der Zeit, sagt Paul. Erst recht bei Berufen, die anders als etwa der des Ingenieurs, keine aufwendige Ausbildung erfordern. Dann würden Arbeitslose häufig von einem Gefühl berichten, dass andere auf sie herabschauten. Neben den Faktoren, die schon Marie Jahoda angeführt hat, würde Paul noch einen ergänzen: das Kompetenzerleben. Das Gefühl, erfolgreich die eigenen Fähigkeiten ausleben zu können, etwas Produktives mit der eigenen Kompetenz zu gestalten.
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Aber – und das ist Paul wichtig – bei all den Ergebnissen handelt es sich um Durchschnittswerte. „Ich habe für meine Forschung auch mit Menschen gesprochen, die ihre Arbeitslosigkeit als eine positive Zeit empfunden haben. Ich erinnere mich an eine Altenpflegerin, die froh war, nicht mehr ihrem äußerst stressigen Job nachgehen zu müssen.“ Besonders interessant: Im Laufe des Gesprächs fiel Paul auf, dass die Frau ihre Arbeitslosigkeit doch nicht uneingeschränkt positiv bewertete und durchaus Faktoren aus Jahodas Modell – etwa die Zeitstruktur und den Status – ansprach: „Sie berichtete, dass sie nicht weiß, was sie mit ihrer Zeit machen soll und dass Freunde und Bekannte schon dauernd vorwurfsvoll fragen würden, welchen neuen Jobs sie denn nun suchen würde“, sagt Paul.

Im November erschien eine weitere Meta-Studie von vier Forschern aus den USA im „Journal of Business and Psychology“, die anhand von 90 Forschungsarbeiten genauer untersuchen wollten, warum Arbeit denn nun genau zu einem verbesserten Wohlbefinden führt. Dass dieser Zusammenhang besteht, konnten die Forscher abermals bestätigen. Und auch dass jeder Faktor eine Auswirkung auf psychische Verfassung und Lebenszufriedenheit besitzen. Doch gerade das Einkommen war besonders stark mit der Lebenszufriedenheit verknüpft.

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Es existieren auch noch andere Theorien, die zeigen wollen, warum sich Arbeit für die mentale Gesundheit lohnen kann. Etwa das Vitamin-Modell des Psychologen Peter Warr. So wie Vitamine die körperliche Gesundheit beeinflussen, machte Warr neun Faktoren aus, die sich auf die mentale Gesundheit auswirken. Bei der Bezahlung, der physischen Sicherheit und der Wertschätzung tritt zunächst eine Verbesserung der psychischen Gesundheit ein. Ab einem gewissen Punkt kommt es zu einer Sättigung. Bei Faktoren wie dem Ausmaß an Kontrolle, der Aufgabenvariabilität und der Möglichkeit, verschiedene Fähigkeiten einzusetzen, würde ein weiterer Anstieg nach der Sättigung sogar einen gesundheitsschädlichen Effekt haben, so Warrs Theorie.

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