Widerworte
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Vertrauen? Verträge!

Vertrauen ist gut, Verträge sind besser. Wer seine Verhältnisse nicht klar regeln will, hat selten gute Absichten. Eine Kolumne.

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Ohne Vertrauen geht nichts. Das hört man seit langem, mit zunehmender Tendenz und immer größerem Selbstbewusstsein. Selbst Banken und Kreditanstalten, die in der Wirtschafts- und Sozialgeschichte vielleicht nicht unter den Top-Ten der menschenfreundlichsten Institutionen stehen, finden, dass Vertrauen der Anfang von allem sei. Und was, wenn nicht Menschenfreundlichkeit, könnte denn sonst so der Grund sein, jemandem Vertrauen zu schenken.

Bei Start-ups und hippen Arbeitsgemeinschaften gehört es mittlerweile zum guten Ton, neue Vereinbarungen mit der berühmten Vertrauensformel „Hand drauf“ – der guten alten Handschlagqualität – zu besiegeln. Wer da nicht mittut, macht sich verdächtig, so wie die Leute, die dann eben doch nicht zum Gruppenyoga, das der Geschäftsführer mwd organisiert, mitgehen. Was, du willst mir nicht dein Vertrauen schenken? Nein, lautet die richtige Antwort, am besten garniert mit einem großen Satz des Ökonomen Milton Friedman: „Theres no such thing as a free lunch“. Nichts gibt's geschenkt. Vertrauen ist gut, klare Verhältnisse sind besser. Warum?

Vertrauen ist gut, solange alles so läuft, wie man sich das am Anfang so vorstellt – und das ist so gut wie immer das Ergebnis zweckoptimistischer Irritationen. Das Leben und die Arbeit sind unberechenbar, und Menschen sind das auch. Was in guten Zeiten kein Problem ist, wird unter Druck plötzlich ganz anders. Da stehen sie dann da, die Handschlagqualitätsbeauftragten aller Lager, und sagen Sachen wie „Das habe ich nie so gesagt“ – „Das habe ich nie so gemeint“ – „Daran kann ich mich nicht erinnern“ oder, immerhin fast schon wieder ehrlich, „Ich muss das leider machen“ – mit gesenktem Blick, versteht sich. Da ist sie, die alte Schlange Kaa aus dem Dschungelbuch, die hypnotisiert und ständig säuselt: „Vertraue mir...“ Mach das nicht. Würgeschlangen sind nicht dein Freund.

Oft erfahren Chefinnen und Chefs erst in Mitarbeiterbefragungen, wie miserabel die Stimmung im Unternehmen wirklich ist. Das können können Führungskräfte tun, wenn sie in der Kritik stehen.
von Dominik Reintjes

Der Vertrag, eingebettet in einen funktionierenden Rechtsstaat mit einem funktionierenden Rechtssystem, ist eine herrliche Erfindung der Menschheit, viel, viel besser als das sehr flüchtige Wörtchen Vertrauen. Der Vertrag regelt nüchtern unsere Angelegenheit, come rain or shine, und selbst wenn er von einer Seite nicht einzuhalten ist, dann ist darüber zu reden, unter welchen Bedingungen, klar und deutlich, etwas stattfindet oder aber auch nicht.

Klare Vereinbarungen, aufgezeichnet und damit konserviert für den Fall der Fälle, sind eine Errungenschaft der Aufklärung. Zuvor musste man auf Gott vertrauen, denn alle anderen Rechtsmittel waren von vornherein erschöpft. Wer die Macht hatte, diktierte die Bedingungen, die Starken hatten das Recht, den anderen blieb die Pflicht. Wo das kritisiert wurde, da verwandelten sich die Handschlagqualitätsbeauftragten in Handgreifliche, in Handschläger. Verträge können Ungleichgewichte bis heute nicht auflösen. Aber sie mildern die Folgen dieser fehlenden Machtbalance deutlich ab.

Warum viele trotzdem auf das Handschlaggerede reinfallen? Weil sie die Schwächeren sind, nicht anecken wollen, oder aber angesichts komplexer Rechtsvorschriften so verzagt und ohnmächtig sind, dass ihnen die grobe Vereinfachung des Handschlags wichtiger ist als die Mühen der Vertragsgestaltung. Die Historikerin Ute Frevert hat in ihrem Buch „Vertrauen – eine Obsession der Moderne“ darauf hingewiesen, dass der Begriff mit der immer komplexer werdenden Welt der Industrialisierung aufstieg. Je weniger wir die Welt noch verstehen können, desto mehr wollen wir vertrauen. Eine Beruhigungspille, die zu nichts führt, aber gern genommen wird, weil sie einfach ist.

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Hört mir auf mit eurem Vertrauen, hört mir auf mit eurem Handschlag. Macht Verträge, macht euch glaubwürdig. Blindes Vertrauen ist in Zeiten wie diesen Gift für die Beziehungen – es ist Tatbeihilfe zum kommenden Wortbruch. Regelt eure Verhältnisse klar. Dann nämlich wird Vertrauen durch etwas viel besseres ersetzt, durch Zutrauen, dass man begründetes, faktisch nachvollziehbares Vertrauen nennen könnte, ein Vertrauen, das auf klaren Fähigkeiten, auf Wissen, auf Vereinbarungen baut. Auf den guten alten Regeln, die Menschen haben, weil ihnen, in jeder Hinsicht, im Guten wie im Schlechten, sonst halt alles zuzutrauen ist.

Hand drauf. Mit Brief und Siegel.

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