Innovationen „Oft ist wahrhaftig agiles Arbeiten karrieregefährdend“

Quelle: Getty Images

Deutschland fehlt es an Innovationskraft – auch weil sich viele Unternehmen ans etablierte Geschäft klammern. Transformationsexperte Christian Schwedler rät zu mehr Mut und erklärt, wie die 70/20/10-Formel helfen kann.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

WirtschaftsWoche: Herr Schwedler, Deutschland, lange Zeit für seine Ingenieurskunst und als Exportweltmeister quer über den Globus geschätzt, fällt im internationalen Vergleich zurück. Wie konnte das passieren?
Christian Schwedler: Wir haben uns zu sehr in der Komfortzone, der Effizienzfalle, eingerichtet. Wir beherrschen alle das Kerngeschäft, arbeiten optimal, stellen Kunden zufrieden. 

Aber das sind doch beste Voraussetzungen für wirtschaftlichen Erfolg. Woran fehlt es denn?
Am radikal Innovativen. Wir brauchen beide Welten: Kerngeschäft und Transformation. Die haben aber sehr unterschiedliche Eigenschaften und erfordern teils gegensätzliche Arbeitsweisen und Mindsets. Hier Routine, null Fehler, Effizienz – dort Fehlerkultur, experimentieren, unternehmerischer Mut. Wir müssen beides beherrschen.

Genau an diesem Spagat hapert es Ihrer Ansicht nach?
Wir wollen die Transformation vorantreiben, versuchen das aber immer wieder mit den etablierten Arbeitsweisen. Wir kommen gar nicht in den radikal innovativen Modus hinein. Deshalb verlieren wir als Wirtschaftsstandort den Anschluss und deshalb sind viele Manager verunsichert.

Quelle: Privat

Zur Person

Sie sagen, die europäische Wirtschaft sei in vielen Bereichen wie der Künstlichen Intelligenz nur noch eine Randerscheinung.  Warum kommen wir da nicht voran?
Zu viele Manager sind gefangen in dieser Kurzfristigkeit. Erfolg im Kerngeschäft ist eben sehr verlockend. Das ist die Komfortzone aus Quartalszahlen, Jahresberichten, Boni. Aber auch Investoren honorieren immer weniger aktuellen Erfolg, sondern schauen auf das Potenzial einer Firma. Das schlägt sich bereits in der vergleichsweise schwachen Marktkapitalisierung deutscher Konzerne nieder. Trotzdem trauen sich viele Chefs nicht an radikale Innovationen. 

Lesen Sie auch: Ist KI-Manager wirklich der „neue, heiße Job“?

Weshalb nicht?
Es fehlt schlicht der unternehmerische Mut. In vielen Fällen ist wahrhaftig agiles Arbeiten immer noch karrieregefährdend, weil Irrtümer sanktioniert werden. Und es gibt auch die Angst, mit echten Neuerungen das eigene Geschäftsmodell zu kannibalisieren. 

Schneller schlau: Fünf New-Work-Buzzwords

Wie beim E-Auto, das den Verbrennungsmotor verdrängt.
Genau. Aber nicht zu handeln, ist keine Lösung. Ein Erfolgs-Beispiel ist Peri. Der Mittelständler stellt Hohlformen für das Gießen von Betonwänden her. Ein internes Innovationsteam hat den 3D-Druck dafür eingeführt. Damit wurde das erste gedruckte Haus Deutschlands gefertigt. Das ist eigentlich die Kannibalisierung des bisherigen Kerngeschäfts. 

Sie schlagen eine Faustformel vor: 70 Prozent des Innovationsbudgets gehen ins Kerngeschäft, 20 Prozent in angrenzende Bereiche, zehn Prozent in echte Neuerungen mit disruptivem Potenzial. Wie unterscheidet man die letzten beiden Kategorien? 
Nehmen wir das autonome Fahren! Einerseits immer noch ein Auto, aber die Technologie ist so neuartig, dass experimentiert werden muss. Es ist daher eher im angrenzenden Bereich angesiedelt, also den 20 Prozent, im Übergang zwischen inkrementell und radikal. Aber: Es könnte das Geschäftsmodell der Autohersteller ändern, weil keiner mehr ein Auto kauft und nur wie bei Uber einen Fahrdienst ruft. Das wäre dann ein disruptiver Gamechanger, da liegen wir bei den zehn Prozent.

Konzerne könnten den Anschluss verlieren, wenn sie noch nicht einmal in den 20-Prozent-Sektor investieren.
Genau. Wichtig ist, überhaupt das Bewusstsein dafür zu schaffen, dass unterschiedliche Arten von Innovationen unterschiedliche Voraussetzungen brauchen. Dann kann ich auch sagen: Ich verzichte bewusst auf die zehn Prozent. Aber im Moment behandeln viele Unternehmen jede Art von Innovation gleich. Und wundern sich, wenn wenig dabei herauskommt.

Deutschland in der Winterdepression? Eine exklusive Analyse der Boston Consulting Group zeigt, wie groß die Krisensorgen derzeit sind und welche Schlüsselindustrie vor einem „fast schon tektonischen Umbruch“ steht.
von Henryk Hielscher

Der Anspruch, jetzt sein Unternehmen radikal voranbringen zu müssen, kann einem durchaus Angst machen.
Für radikale Innovationen muss ich kein Weltkonzern sein. Ich muss auch nicht den Quantencomputer erfinden. Besonders bei kleineren Firmen sage ich: Macht es nicht so komplex! Stellt naive Fragen! Zieht scheinbar unverrückbare Annahmen eurer Branche in Zweifel! Bei Ikea war das der Glaube, dass Menschen nur montierte Möbel kaufen wollen.

Wie findet ein Chef die passenden Leute, die solche Fragen stellen – und auch noch Antworten darauf haben?
Schätzungsweise 15 Prozent einer jeden Belegschaft sind Menschen, die Lust auf Neues haben, mit Unsicherheit leben können, die sogenannten Inventors und Early Adopters. Wer bei der Teilnahme in Innovationsteams auf Freiwilligkeit setzt, zieht diese Leute an. Es mangelt Beschäftigten nicht an Ideen. Frust kommt auf, wenn der Gestaltungswille ständig gebremst wird.

Sie plädieren für ein Start-up im Unternehmen. Wie kann das gelingen?
Bei radikalen Innovationen gilt: Je mehr Separation vom Kerngeschäft, desto besser. Da kann auch ein anderer Standort von Vorteil sein. Dieses Innovationsteam ist aber kein losgelöstes Spin-off, sondern im Unternehmen verankert – etwa, indem bei bestimmten Fragen passende Kollegen aus dem Einkauf, der Rechtsabteilung oder dem Vertrieb konsultiert werden. Der Zugriff auf Expertise und Ressourcen des Stammgeschäfts ist essentiell. Das sorgt auch für Akzeptanz in der Belegschaft, weil alle ein Stück weit beteiligt waren und nicht das Gefühl haben, fremde Ideen übergestülpt zu bekommen.

Nicht jede Firma kann sich aber ein eigenes Innovationsteam leisten. Geht es auch eine Nummer kleiner?
Vielleicht reicht am Anfang sogar eine One-Man-Show. Oder einige Beschäftigte können sich für das Projekt mal loseisen, zum Beispiel zu einem „Explore“-Freitag einmal pro Woche oder Monat. Was nicht funktioniert: von 8 bis 10 Uhr das Kerngeschäft zu bedienen und von 10 bis 12 Uhr die Welt neu erfinden zu wollen.

Altersvorsorge Drohender Renten-Schock: Die hochriskanten Investments der Versorgungswerke

Berufsständische Versorgungswerke erwirtschaften Renten für Ärzte, Anwälte und Mediziner. Doch sie haben Geld überaus riskant angelegt – mit potenziell dramatischen Folgen.

Beitragsfremde Leistungen Wie der Staat die Rentenversicherung ausplündert

Ein Haufen Geld weckt Begehrlichkeiten, auch wenn er der Rentenversicherung gehört. Der deutsche Staat hat diesem Drang in den vergangenen Jahren immer wieder nachgegeben – in Milliardenhöhe.

Selbstversuch Der Weg zum eigenen Wald – für kleines Geld

Unser Autor träumt von einem Wald. Er bekommt ihn bei einer Zwangsversteigerung – für 1550 Euro.

 Weitere Plus-Artikel lesen Sie hier

Oder vielleicht eine Runde am Freitag, bei der jeder eine noch so scheinbar dumme Idee vortragen kann?
Klar, warum nicht, wenn das Unternehmen in dieser Phase ist? Auch Amazon Prime hat als vermeintlich spinnerte Idee eines Junior-Produktmanagers angefangen. Für die Controller hat sich kostenloser Versand gegen eine monatliche Gebühr überhaupt nicht gerechnet. In vielen Firmen wäre so eine „blöde“ Idee gar nicht erst der Geschäftsführung vorgeschlagen worden – schon, um den eigenen Job nicht zu gefährden. Wichtig ist die psychologische Sicherheit, der geschützte Raum, in dem ich nicht für Ideen verspottet werde. Dafür müssen Führungskräfte sorgen.

Lesen Sie auch: In den USA gilt der Chief AI Officer als Managementjob der Zukunft. Auch deutsche Firmen suchen Chefs, die Datenwissenschaftler und Ingenieure führen und die KI-Strategie formen. Das können sie – und so ticken sie.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%