Oliver Anthony Wie ein Landwirt Taylor Swift die Show stiehlt

Oliver Anthony steht auf Platz eins der Billboard Charts. Quelle: Pro Imago Life

Vor einigen Wochen kannte niemand seinen Namen. Inzwischen ist er Nummer eins in den US-Charts. Über den amerikanischen Traum des Oliver Anthony, der viel über die Lage in den USA aussagt.

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Da steht er mit seiner Gitarre, buschig-rotem Vollbart und verwaschenem T-Shirt. Mit rauer Stimme trällert er, nein, er schmettert seinen Herzschmerz in den tiefsten Wald der Appalachen. Dort fühlt er sich heimisch, in einer Region, in der einst der Bergbau Wohlstand brachte, aber die heute von Globalisierungsverlierern nur so wimmelt. Er singt über „beschissene Bezahlung“, über all die Menschen dort, die ihre Sorgen im Alkohol ertränken. Er klagt über den Dollar, der nichts mehr wert sei, die Inflation und zu hohe Steuern.

Er, das ist Oliver Anthony. Ein Künstler aus Farmsville, Virginia. Sein Country-Song „Rich Men North of Richmond“ ist in den USA vor gut einer Woche viral gegangen. Die Entfremdung der Arbeiterklasse von Washington, also den reichen Politikern, die nördlich von Richmond leben, das ist sein Thema und Titel. Und damit trifft er einen Nerv.

Auf Spotify wurde das Lied über 35 Millionen Mal gestreamt, auf YouTube haben knapp 50 Millionen Menschen das Video aufgerufen. In den Billboard Charts rangiert der bis dato unbekannte Künstler, der von sich selbst sagt, er sei ein Landwirt, auf Platz eins – noch vor Olivia Rodrigo, Selena Gomez und Taylor Swift.

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von Nell Rubröder

Im Camper an die Spitze

Dabei scheint die Welt der etablierten Pop-Stars Oliver Anthony so vertraut wie die abgewandte Seite des Mondes. „Ich will keine 6 Tourbusse, 15 Sattelschlepper und einen Jet. Ich will keine Stadion-Shows spielen, ich will nicht im Rampenlicht stehen“, schrieb der 31-Jährige vor Kurzem auf Facebook.

Im Gegenteil. Er beschreibt sich selbst als „einen Idioten mit Gitarre“, ein Schulabbrecher, der mit Depressionen und Alkoholmissbrauch zu kämpfen hat. Statt in einer Penthousewohnung, lebt der ehemalige Industriearbeiter in einem Camper, den er laut eigener Aussage für 750 Dollar im Internet gekauft hat.

Authentizität ist sein Erfolgsmodell, das weiß Anthony: Millionen Menschen hören seine Songs, weil er fühlt, wovon er singt. „Keine Bearbeitung, keine Agenten, kein Bullshit“, so funktioniere sein Stil. Einen Plattenvertrag in Höhe von acht Millionen Dollar, dem ihm „die Leute in der Musikindustrie“ inzwischen angeboten hätten, habe er abgelehnt.

Ein Musiker als Spielball der Politik

Dabei gäbe es genügend Menschen, die ihn gerne auf ihrer Seite wüssten. Konservative in den USA erklären Anthony zum Lobessänger für die hart arbeitende Mittelschicht, zur kulturellen Stimme gegen „Wokeness“ – ein politischer Kampfbegriff der Republikaner, mit dem sie den Demokraten vorwerfen, sie würden Rassismus, Trans- und Homophobie zu viel Bedeutung beimessen, und dabei die Interessen der Mehrheit übergehen.




Am Mittwoch vergangener Woche diente Anthonys Nummer-eins-Hit als Hymne für die Präsidentschaftsdebatte der Republikaner, die der Sender Fox News im Fernsehen übertrug. Im Rahmen der Diskussion antwortete Präsidentschaftskandidat Ron DeSantis auf die Frage, warum der Song so populär sei: „Unser Land befindet sich im Niedergang“, und fügte hinzu: „Diese reichen Männer nördlich von Richmond haben uns in diese Situation gebracht.“

Eine Erfolgsstory mit Makeln

Vereinnahmen lassen will sich Anthony allerdings nicht. In einem YouTube-Video sagte er: „Es war lustig, diese Präsidentschaftsdebatte zu sehen.“ Ausgerechnet die Elite, gegen die sein Song gerichtet sei, versuche jetzt, politisches Kapital aus seiner Person zu schlagen. Nichtsdestotrotz: Völlig frei von Instrumentalisierung ist er nicht. Am 10. August, also dem Tag, an dem die Klickzahlen von „Rich Men North of Richmond“ explodierten, war eine Sache auffällig: Geteilt wurde der Song vor allem in der konservativen Twitter-Bubble.

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„Ich will nicht sagen, dass es orchestriert wurde, aber es sieht orchestriert aus“, sagt der Journalist Joseph Hudak, der für das Musikmagazin „Rolling Stone“ den Aufstieg des Songs untersucht hat. Und auch die Geschichte des Oliver Anthony, der sich gegen die Macht der Plattenfirmen aufbäumte, ist noch nicht zu Ende erzählt. Ob das Acht-Millionen-Angebot überhaupt existiert hat, von dem Anthony redet, ob es als Kredit gedacht war, als Vorschuss für Produktions- und Marketingkosten, das alles ist unklar. Sicher ist: Die großen Labels fordern einen großen Teil vom Umsatzkuchen. Und rechnen kann Anthony ja auch.

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