Investieren in China „Es reicht nicht mehr, dass China billige T-Shirts für den Weltmarkt fertigt“

Werden keine Freunde mehr: US-Präsident Joe Biden und Chinas Präsident Xi Jinping Quelle: dpa

Chinas Aktienmarkt scheint sich wieder zu fangen. Baijing Yu, Leiterin der China-Strategie beim Fondsanbieter Comgest, erklärt, wie sich die Immobilienkrise auf den Markt auswirkt und welche größeren Risiken lauern.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

WirtschaftsWoche: Aus China kommen seit einiger Zeit vor allem Hiobsbotschaften. Auch Ihr Fonds, der Comgest Growth China, lief zuletzt nicht gut. Wie stark schlägt die Immobilienkrise im Land auf den chinesischen Aktienmarkt durch?
Baijing Yu: Unser Fonds hat den MSCI China per Ende Februar seit Jahresanfang sowie auf Drei- und Fünfjahressicht geschlagen, über ein Jahr liegen wir jedoch zurück. Hier haben sich einige Abschläge bei unseren Investitionen im Gesundheitswesen bemerkbar gemacht. Was Ihre Frage zum Immobiliensektor betrifft, so ist dieser in der Tat ein wichtiger Teil der Wirtschaft. Die Immobilienflaute hat sich in vielen Sektoren stark bemerkbar gemacht, etwa im Baugewerbe, der in Projektentwicklung, der Haushaltsgeräteindustrie und der Möbelindustrie. Darüber hinaus hat sie den allgemeinen Wohlstand negativ beeinflusst. Die Risiken haben zugenommen und die Gewinnaussichten des Sektors sind deutlich gesunken.

Peking hat das Problem, das mit der Hebelwirkung des Immobilienbereichs einhergeht, erkannt. Es war auch nicht das erste Mal, dass die Regierung als Teil ihres politischen Instrumentariums gegen übermäßige Immobilieninvestitionen vorgegangen ist. Dies ist einer der Gründe, warum wir in den vergangenen zehn Jahren keine Investitionen im Immobiliensektor getätigt haben. Hinzu kommt die schwierige geopolitische Situation. Covid hat auch nicht gerade geholfen. Vergessen Sie nicht, dass sich China nach den Covid-Lockdowns 18 Monate später als andere Länder wieder geöffnet hat. Alle hatten damals mit einer sprunghaften Erholung der chinesischen Wirtschaft gerechnet. Aber die Regierung tat nichts, um eine solche Entwicklung zu unterstützen. Rückblickend waren die Erwartungen der Investoren überzogen.

Baijing Yu, Leiterin der China-Strategie beim Fondsanbieter Comgest. Quelle: Presse

Zur Person

Seit einigen Wochen sieht man bei Aktienindizes wie dem CSI 300 eine leichte Erholung. Geht es allmählich wieder aufwärts in China?
Die jüngste Erholung am Aktienmarkt ist ein Rebound nach der Kapitulation des Marktes im vierten Quartal des vergangenen Jahres. Für die Regierung steht jetzt die Transformation zu einer Wirtschaft im Fokus, die stärker auf hohe Qualität und Produktivität setzt. Dafür nimmt sie niedrigere Wachstumsraten in Kauf. Die wirtschaftliche Erholung im Jahr 2023 blieb hinter den Erwartungen zurück, dennoch war die Gesamtwirtschaft mit einem BIP-Wachstum von fünf Prozent stabil. Der Konsum  ist im Jahr 2023 im mittleren bis hohen einstelligen Bereich gewachsen. Seit Ende 2023 gibt es mehr reaktive Unterstützungsmaßnahmen und wir sehen einen allmählichen Aufschwung, wenn auch auf einer niedrigeren Basis.

Von dieser Transformation der Wirtschaft hört man schon seit ungefähr 15 Jahren.
Ein solcher Prozess dauert. Hier spielen mehrere sehr langfristige Entwicklungen hinein, etwa der demografische Wandel, der Aufstieg der Mittelschicht, auch der ökologische Wandel, den Peking mit großem Ehrgeiz angeht. Es reicht heute nicht mehr, dass China billige T-Shirts für den Weltmarkt fertigt. Die Produktion hochwertiger Güter wird wichtiger, etwa in fortgeschrittenen Industriebereichen und im Technologiesektor.

Washington hat seine Beschränkungen für den Export bestimmter Chips nach China verschärft. Wie hart trifft das die chinesische Technologiebranche?
Das derzeitige Ausfuhrverbot für Chips und Halbleiterausrüstungen hat längerfristig direkte Auswirkungen auf die Entwicklung fortgeschrittener Technologien in China, wie Künstliche Intelligenz und vollautonomes Fahren. Die Exportbeschränkungen könnten aber auch eine Chance für chinesische Unternehmen sein. Die Handelsbeschränkungen üben Druck auf die Unternehmen aus, ihre eigene Forschung und Entwicklung zu beschleunigen, um eine bessere Versorgung im Inland zu erreichen. Es gibt bereits einige gut positionierte Unternehmen in China, die durch die US-Beschränkungen Rückenwind erhalten.

Generalsekretär Xi Jinping verfolgt einen klaren Plan: China soll die Wirtschaft dominieren, die Welt sich um Peking und Shanghai drehen. Satellitenbilder zeigen, für welche deutschen Branchen und Firmen es eng wird.
von Thomas Stölzel, Jannik Deters, Nele Antonia Höfler, Andreas Menn

Werden chinesische Unternehmen zu groß oder ihre Chefs zu unbequem, hat in der Vergangenheit immer wieder die Regierung eingegriffen. Vor vier Jahren stoppte Peking etwa den damals geplanten Börsengang der Alibaba-Tochter Ant nach einer kritischen Rede von Alibaba-Chef Jack Ma. Wie sollen Anleger unter solchen Umständen investieren?
Es gibt einige Bereiche, über die Peking eine stärkere Kontrolle ausüben möchte, wie das Bankwesen. Der Anteil von Ant in den Bereichen Zahlungsverkehr, Vermögensverwaltung und Privatkredite war beträchtlich und wuchs rasant – er erreichte ein Ausmaß, bei dem Peking befürchtete, eines Tages die Kontrolle zu verlieren. Auch die Persönlichkeit von Jack Ma hat bei der Regierung nicht gerade Vertrauen erweckt. Peking möchte nicht so werden wie Washington, wo man sich inzwischen Sorgen um die Größe und den Einfluss einiger weniger Technologieunternehmen macht. Washington kann seine Drachen nicht mehr kontrollieren. Peking hat sich entschieden, früher zu handeln. Sicher: Die Undurchsichtigkeit der Politik kann eine Herausforderung für Investoren sein, aber wir sind vor Ort und beobachten ständig die Signale aus Peking. Wir sind sehr wachsam, wenn die Regierung beginnt, eine bestimmte Branche oder ein bestimmtes Thema näher zu betrachten. Darüber hinaus sind wir indexunabhängig und können daher Anlagen auswählen, die nur in begrenztem Maße von politischen Risiken betroffen sind.

Zu den größten Positionen in Ihrem Fonds gehören Tencent und Alibaba. Schaut die Regierung also inzwischen gelassener auf das Wachstum der chinesischen Techbranche?
Wir glauben, dass der politische Gegenwind für den Internetsektor nun größtenteils vorbei ist, nachdem einige Vorschriften eingeführt wurden und die großen Unternehmen ihre Geldstrafen erhalten haben. Das Ziel der Regierung ist nach wie vor Hochtechnologie und Industrieentwicklung als langfristige Richtung. Wir sehen, dass Tencent und Alibaba immer noch eine wichtige Rolle in dieser Entwicklung spielen können. Außerdem fördert Peking Branchen wie Technologie, Elektromobilität oder Solarenergie. Dieses Interesse der Regierung an weiterem Wachstum kann man auch als eine Art Sicherheitsnetz für Investoren betrachten. Generell versuchen wir, langfristige Gewinner zu identifizieren. Das sind gut geführte Unternehmen mit einem starken Cashflow, die in ihrer Branche eine führende Position innehaben.

Mit einem Unternehmensbesuch beginnt Olaf Scholz seine dreitägige China-Reise. Das Programm des Bundeskanzlers wirkt nicht nur am ersten Tag wie eine große Charmeoffensive: Wirtschaft first, Bedenken second.
von Sonja Álvarez, Max Haerder

Wegen der Restriktionen für ausländische Investoren haben viele Anleger keine chinesischen Originalaktien im Depot, sondern Hinterlegungsscheine, sogenannte American Depositary Receipts (ADRs), die an US-Börsen gehandelt werden. Washington droht immer wieder damit, chinesischen Unternehmen das Listing in den USA zu entziehen. Könnte es so weit kommen, etwa wenn Donald Trump die Präsidentschaftswahl im November gewinnt?
Die geopolitische Lage wird mit dem Wahljahr in den USA noch komplexer. Sowohl die Republikaner als auch die Demokraten werden mit einer chinakritischen Politik in den Wahlkampf ziehen. Diese Haltung gegenüber China dürfte sich kaum ändern, unabhängig davon, welche Seite die Wahl gewinnt. Mit dieser vorsichtigen Einschätzung haben wir daher das schon begrenzte US-Umsatz-Exposure in unserem Fonds weiter reduziert. Das Delisting-Risiko würde ich aber nicht überbewerten. Die Diskussion über ein US-Delisting chinesischer Unternehmen ist vor jeder US-Wahl in den letzten zehn Jahren hochgekocht. Viele chinesische Unternehmen wie Alibaba sind mittlerweile in Hongkong zweitnotiert. Wir haben in den vergangenen Jahren ADRs in Hongkong-Aktien getauscht. Das Delisting-Risiko ist unserer Meinung nach damit unter Kontrolle.

Altersvorsorge Drohender Renten-Schock: Die hochriskanten Investments der Versorgungswerke

Berufsständische Versorgungswerke erwirtschaften Renten für Ärzte, Anwälte und Mediziner. Doch sie haben Geld überaus riskant angelegt – mit potenziell dramatischen Folgen.

Frauenförderung à la Siemens Siemens-Managerin klagt an: Nutzt der Konzern Compliance als „Mitarbeiter-Entsorgungstool“?

Der Fall einer Siemens-Managerin, die schwanger wurde und nun um ihren Job kämpfen muss, erschüttert den Dax-Konzern. Nun droht der mit ihr verheiratete Personalchef in Mitleidenschaft gezogen zu werden.

Selbstversuch Der Weg zum eigenen Wald – für kleines Geld

Unser Autor träumt von einem Wald. Er bekommt ihn bei einer Zwangsversteigerung – für 1550 Euro.

 Weitere Plus-Artikel lesen Sie hier

Ein spannendes chinesisches Unternehmen, das bisher noch gar nicht börsennotiert ist, ist die TikTok-Mutter Bytedance. Gerüchte über einen Börsengang gibt es immer wieder. Könnte es dieses Jahr so weit sein – und würden Sie dann einsteigen?
Ohne eine allumfängliche Recherche und Bewertungsanalyse kann ich nicht sagen, ob wir Bytedance kaufen würden. Das Unternehmen wäre aber auf jeden Fall ein interessanter Kandidat. Bytedance verfügt über ausgezeichnete Datentechnologie und hat den mit Abstand besten Algorithmus. Ein Risiko wäre auch hier die Geopolitik. Washington will TikTok entweder unter amerikanische Kontrolle bringen oder aus App-Stores verbannen. Eine Frage, die sich Investoren stellen sollten, ist, ob Bytedance als Mutter von TikTok dann in den USA auf die schwarze Liste oder die „Entity-List“ für Handelsbeschränkungen käme.

Lesen Sie auch: „Weder die USA noch die EU sind bereit für den Wettbewerb mit China“

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%