Olaf Scholz trifft Xi Jinping Eine Reise ganz nach Pekings Geschmack 

Abflug: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ist am Samstag auf dem Weg zu seinem Flugzeug, um nach China zu reisen. Es ist die zweite China-Reise des Kanzlers seit seinem Amtsantritt. Quelle: Michael Kappeler/dpa

Mit einem Unternehmensbesuch beginnt Olaf Scholz seine dreitägige China-Reise. Das Programm des Bundeskanzlers wirkt nicht nur am ersten Tag wie eine große Charmeoffensive: Wirtschaft first, Bedenken second.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Der Kanzler startet mit einem Superlativ. Die erste Station seiner China-Reise heißt Chongqing. Die Stadt ist flächenmäßig etwa so groß wie Österreich, doch zählt sie mehr als drei Mal so viele Einwohner: Rund 32 Millionen Menschen leben auf 82.000 Quadratkilometern – die Stadt, rund 2000 Kilometer westlich von Shanghai im Landesinneren gelegen, gilt damit einwohnermäßig als die größte der Welt.

Rund 80 Flüsse fließen durch das Verwaltungsgebiet, darunter der Jangtse, Chinas längster Fluss. Die Gegend ist reich an Bodenschätzen, die Landschaft hügelig, daher auch der Name: „Stadt der Berge“. 

Erster Termin: Besuch bei Bosch

Bosch hat in Chongqing Ende 2023 ein neues Forschungs- und Entwicklungszentrum für Brennstoffzellen eröffnet. 70 Wasserstoff-LKW sind laut Unternehmensangaben bereits mit dem Brennstoffzellenantrieb auf den teils sehr steilen Straßen der Stadt und ins gut 300 Kilometer entfernte Chengdu unterwegs. Mehr als 1000 Fahrzeuge sollen an Großkunden wie Cosco Shipping, China Postal Express & Logistic und Kohleproduzent Shanxi Meijin Energy ausgeliefert werden.

Ortsbesuch: Olaf Scholz ist zu Gast in der Bosch-Fabrik in Chongqing. Quelle: REUTERS

„China ist der weltweit größte Markt für New-Energy-Fahrzeuge und steht an der Spitze der technologischen Innovation und Industrialisierung“, frohlockte Bosch-Chef Stefan Hartung zur Eröffnung des Zentrums.

Drei Tage ist der Kanzler in China unterwegs, es ist eine seiner bisher längsten Auslandsreisen – dass er sie ausgerechnet mit diesem Termin beginnt, ist bemerkenswert. Gilt etwa weiterhin: Wirtschaft first, Bedenken second?

Chinas Staatschef Xi Jinping droht immer unverhohlener mit einem Angriffskrieg gegen Taiwan und hält seinen „ewigen Freund“ Wladimir Putin mit Waffenlieferungen im Angriff gegen die Ukraine kriegstüchtig. Menschenrechte werden verletzt, der wirtschaftliche Wettbewerb in den Märkten für Stahl, E-Autos, Solartechnologie und Windkraft mit Dumping-Produkten verzerrt.

Generalsekretär Xi Jinping verfolgt einen klaren Plan: China soll die Wirtschaft dominieren, die Welt sich um Peking und Shanghai drehen. Satellitenbilder zeigen, für welche deutschen Branchen und Firmen es eng wird.
von Thomas Stölzel, Jannik Deters, Nele Antonia Höfler, Andreas Menn

Erst im vergangenen Juni hatte die Bundesregierung eine Chinastrategie verabschiedet, die ihr als neuer Kompass dienen soll. Bisher war die Beziehung zur Volksrepublik als Dreiklang definiert worden: Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale. Doch „die Elemente der Rivalität und des Wettbewerbs“ nehmen zu, heißt es in der Strategie. Deshalb müsse Deutschland seine Beziehung zu China neu „kalibrieren“, seine Abhängigkeiten von der Volksrepublik reduzieren.

„Genau so wünscht man sich das in Chinas Führung“

Doch wie weit dieses so genannte De-Risking gehen soll, darüber streiten nicht nur die Koalitionspartner der Bundesregierung, sondern auch die Mitglieder der Europäischen Union. Die Amerikaner machen Druck, verschärfen ihre Exportbeschränkungen im Bereich der Spitzentechnologien. Lautet ihr Ansatz ursprünglich: „Small yard, high fence“, wird das Feld immer größer, um das sie einen Zaun ziehen.

Weniger China wagen? Der Besuch von Scholz wirkt wie das Gegenteil: wie eine Charmeoffensive in einer Zeit, in der Wirtschaft in der Heimat schwächelt.

Olaf Scholz und Xi Jinping im November 2022. Quelle: AP

„Die Reise des Kanzlers folgt unverkennbar alten Mustern“, sagt Max Zenglein, Chefökonom von Merics, dem Mercator Institute for China Studies mit Sitz in Berlin: „China wird vor allem als wirtschaftlicher Partner bereist.“ Kritische Aspekte, wie die gegenwärtige geopolitische Rolle Pekings, würden so leider an den Rand gedrängt, erklärt er: „Genau so wünscht man sich das in Chinas Führung.“

Die Reise von Olaf Scholz beginnt nicht nur mit einem Unternehmensbesuch, sondern Wirtschaftermine durchziehen das gesamte, dreitägige Programm. Am Sonntag geht es zu Bosch, am Montag zum Innovationszentrum des Chemieunternehmens Covestro in Shanghai, am Mittwoch tagt in Peking der Deutsch-Chinesische Beratende Wirtschaftsausschuss. Am Ende dürften neue Wirtschaftsverträge unterzeichnet werden und zwischendurch gibt es noch eine Bootsfahrt über den Jangtse vorbei an den glitzernden Wolkenkratzern der Giga-Stadt Chongqing. Herrliche Aussichten?    

Während Deutschlands Wirtschaftsleistung 2023 um 0,3 Prozent schrumpfte, haben deutsche Direktinvestitionen in China einen neuen Höchstwert erreicht: rund 12 Milliarden Euro, nach bereits zwei starken Jahren zuvor. Allein von 2021 bis 2023 haben deutsche Firmen damit genauso viel neu in China investiert wie in den sechs Jahren von 2015 bis 2020. De-Risking? Das heißte für ihn, das Geschäft in China noch weiter auszubauen, sagt Mercedes-Chef Ola Källenius.


Olaf Scholz verfolgt seine eigene Chinastrategie     

„Deutschland hängt gegenüber China noch immer im Wunschdenken fest“, sagt Merics-Chefökonom Zenglein. Die Industrie sei dort sehr lange exzellent gefahren und würde gerne am ökonomischen Erfolgsmodell festhalten. „Doch die Zeiten haben sich geändert“, warnt Zenglein. Eine Zeitenwende für den Umgang mit China wird allerdings auch der Kanzler so schnell nicht ausrufen.

Schon im Oktober 2022 genehmigte er kurz vor seiner ersten Chinareise, die aufgrund der Coronabeschränkungen weniger als 24 Stunden dauerte, den Einstieg des chinesischen Staatskonzerns Cosco im Hamburger Hafenterminal Tollerort – und zwar gegen den vehementen Einspruch seiner Koalitionspartner und der Nachrichtendienste. Die Entscheidung über den möglichen Ausbau von Komponenten chinesischer Hersteller wie Huawei und ZTE aus dem 5G-Mobilfunknetz zögert das Kanzleramt offensichtlich immer weiter heraus. Und dieses Mal bringt Scholz sogar ein besonders bemerkenswertes Gastgeschenk mit.

Ausgerechnet in der Woche vor dem China-Besuch startet er einen eigenen Kanal auf der umstrittenen Videoclip-Plattform TikTok, die zum chinesischen Konzern Bytedance gehört. Ein Bundeskanzler, der durch Chinas wohl größten Exportschlager seine eigene Popularität steigern will. Dafür gibt es von Peking mehr als nur ein „Like“.  

An Bord: Autobosse mit den wohl größten Sorgen 

Begleitet wird Scholz nicht nur von drei Bundesministern – den beiden Grünen Steffi Lemke (Umwelt) und Cem Özdemir (Landwirtschaft) sowie FDP-Verkehrs- und Digitalminister Volker Wissing – sondern auch eine Reihe von Vorstandschefs. Dazu gehören etwa Roland Busch (Siemens), Markus Steilemann (Covestro), Markus Kamieth (BASF), Miguel Lopez (Thyssenkrupp), Karl Lamprecht (Zeiss) – und drei Manager, die offensichtlich besonders große Sorgen in Sachen China plagen: die Autobosse Oliver Blume (VW), Oliver Zipse (BMW) und Ola Källenius (Mercedes).


Waren die deutschen Autobauer in China mit ihren Verbrennern über viele Jahre führend, haben sie im Markt der E-Mobilität bisher keine Chance gegen die chinesischen Hersteller. In der Top-10-Liste der meistverkauften E-Auto-Modelle 2023 in China kommt keiner der deutschen Autobauer vor, dafür ist allein BYD (Build Your Dreams) sechs Mal vertreten. Mit preisgünstigen Modellen wollen die Chinesen nun auch den Markt in Europa erobern – eine Offensive, die von Milliarden-Subventionen aus der chinesischen Staatskasse befeuert wird.

Wohin mit den Überkapazitäten? Nach Europa

Zumal die chinesische Wirtschaft in der Krise steckt. Der erhoffte Boom nach dem Ende des strikten Corona-Regimes bleibt aus, inländische Nachfrage zieht nicht so an wie geplant. Wohin also mit den Überkapazitäten? Nach Europa.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen prüft Anti-Dumping-Zölle gegen chinesische E-Autos, eine Idee, die von den Franzosen mit initiiert wurde und maßgeblich unterstützt wird. Sie sind auf dem chinesischen Automarkt längst nicht so exponiert wie die deutschen Autobauer, die sich vor den Gegenreaktionen Pekings fürchten. Der Absatz in China macht schließlich einen Großteil ihres Geschäfts aus. Dazu könnten Anti-Dumping-Maßnahmen auch deutsche Hersteller im Heimatmarkt treffen, wenn sie wie BMW Modelle wie den X3 in China produzieren und dann nach Deutschland exportieren.

Das große Dilemma von Olaf Scholz 

„Olaf Scholz steht deshalb vor einem großen Dilemma“, sagt Gabriel Felbermayr, Direktor des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung und zuvor Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft. Einerseits müsse er bei seiner Reise die Interessen der deutschen Automobilindustrie vertreten– zugleich könne Scholz aber nicht die Pläne der EU-Kommission unterlaufen. Gibt’s einen Ausweg für den Kanzler?

„Am besten sind protektionistischen Zölle dann, wenn sie in der Drohphase ihre volle Wirkung entfalten und sie die Kooperationswilligkeit steigern, die Instrumente selbst aber nie gezogen werden müssen“, erklärt Felbermayr. „Um Zugeständnisse zu erreichen, müssen die Drohungen aber auch glaubhaft genug vorgebracht werden.“ Fraglich ist, wie gut Scholz das gelingt – und ob er angesichts der Expansionswünsche der deutschen Wirtschaft überhaupt drohen möchte.

Breitbrustig statt bittstellerisch 

Felbermayr empfiehlt ein selbstbewusstes Auftreten. Scholz und die EU-Kommission könnten durchaus pokern – auch deshalb, weil die Amerikaner ihren Markt immer weiter für die Chinesen schließen. „Europa ist als Absatzmarkt für die Chinesen extrem wichtig“, sagt Felbermayr. „Denn wenn man Überkapazitäten nicht auslasten kann, dann sind sie am Ende nur eines: furchtbar teuer“, betont er: „Scholz sollte deshalb bei seinem Besuch nicht bittstellerisch, sondern breitbrustiger auftreten.“


Dazu rät auch Merics-Chefökonom Zenglein: „Die Chinesen verfolgen knallhart ihre Interessen – und wir sollten das auch tun.“ Am Dienstag hat Scholz dazu die Gelegenheit.

In Peking trifft er Staatspräsident Xi und Ministerpräsident Li Qiang, Scholz will in den Gesprächen bessere Marktbedingungen für die deutschen Unternehmen erreichen. Zwei Drittel der deutschen Firmen mit Dependancen in China beklagen „unfaire Wettbewerbsbedingungen“, wie eine Umfrage der Außenhandelskammer (AHK) zeigt

„Wir müssen in ein gegenseitiges Abrüsten kommen“

Als Folge des verschärften Wettbewerbs rechnen sie mit erhöhtem Kostendruck und sinkenden Marktanteilen. Doch ob China zu Zugeständnissen bereit sein wird, ist fraglich. „Es wird nicht funktionieren, dass wir die Chinesen zum Subventionsverzicht auffordern, während wir immer größere Subventionspakete schnüren“, sagt Felbermayr: „Wir müssen in ein gegenseitiges Abrüsten kommen.“


Das will Scholz auch auf geopolitischer Ebene erreichen. Peking hat Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine bisher nicht verurteilt. Während die EU über Waffenlieferungen und strategische Ambiguität streitet, steht die Achse Pjöngjang-Peking-Teheran-Moskau. Scholz will Xi offenbar deutlich machen, dass der Volksrepublik ein wachsender Reputationsverlust und damit auch wirtschaftliche Einbußen drohen, wenn es sich so unverbrüchlich an die Seite des Aggressors stellt.

Nach dem Kurz-Besuch von Scholz im November 2022 hatte Xi Russland erstmals öffentlich vor dem Einsatz von Atomwaffen gewarnt, seine Unterstützung für Moskau aber nicht eingeschränkt. Im Gegenteil. Nur durch Chinas kontinuierlichen Waffenlieferungen sei Putin überhaupt in der Lage, seinen Krieg gegen die Ukraine so aggressiv zu führen, heißt es in der Bundesregierung – und nichts deutet darauf hin, dass Xi etwas an dieser militärischen Unterstützung ändern will. 

Es würde deshalb bereits als Erfolg gelten, wenn Scholz die Chinesen zur Teilnahme am Friedensgipfel für die Ukraine im schweizerischen Bürgenstock bewegen kann. Von Symbolpolitik wird der Krieg aber freilich nicht beendet.   

Teherans Angriffe werden Thema 

Erschwerend kommt hinzu, dass sich im Gespräch zwischen Scholz und Xi ein weiterer Konflikt kurzfristig nach vorne schieben dürfte: Nach den iranischen Luftangriffen auf Israel hat der Bundeskanzler klar vor „jeder weiteren Eskalation“ gewarnt. „Man darf auf diesem Weg nicht weitermachen“, sagte Scholz am Sonntag in Chongqing. „Wir werden alles dafür tun, dass es nicht zu einer weiteren Eskalation kommt.“

Dass Peking Einfluss auf Teheran hat, haben die Vermittlungen im Konflikt zwischen Iran und Saudi-Arabien gezeigt. Vor einem Jahr hatten sich die Außenminister der beiden Länder erstmals seit sieben Jahren wieder getroffen. Doch haben die Chinesen im Nahost-Konflikt überhaupt Interesse an einer Vermittlung?

Die Amerikaner haben Israel bereits ihre „eiserne Unterstützung“ in der Verteidigung gegen den Iran zugesichert, zugleich liegt das Hilfspaket für die Ukraine in Höhe von mehr als 60 Milliarden US-Dollar einer Blockade durch die Republikaner noch immer auf Eis. Die Supermacht im „Overstretch“? Das gefällt Peking und Moskau gleichermaßen.

Lawrow schwärmt vom „neuen Allzeithoch“ 

Als Russlands Außenminister Sergej Lawrow kürzlich in Peking war, schwärmte er von einem „neuen Allzeithoch“ in den Beziehungen der beiden Länder, gemeinsam wolle man „eine neue Weltordnung“ formen – wobei Peking sehr wohl klarmachen dürfte, wer hier von wem abhängig ist. Präsident Putin wird bald zum Besuch bei Xi erwartet, nachdem Chinas Staatspräsident bereits vor einem Jahr für drei Tage in Moskau war.

Goldhandel Bekommt das Finanzamt vom Goldverkauf etwas mit?

Können Privatanleger ihr Gold auch steuerfrei verkaufen, wenn es keinen Nachweis zum Kauf gibt? Würde das Finanzamt überhaupt etwas mitbekommen? Das rät ein Experte.

Klage gegen Erwin Müller Ein Drogerie-Milliardär, seine Jagdfreunde und der große Streit ums Millionen-Erbe

Vor fast zehn Jahren hat der Ulmer Unternehmer Erwin Müller drei Jagdfreunde adoptiert. Sie hatten ursprünglich auf ihren Pflichtteil beim Erbe verzichtet – jetzt ziehen sie dagegen vor Gericht. 

Jobwechsel Wenn das hohe Gehalt zum Fluch wird

In seinem aktuellen Job verdient unser Leser zwar gut, ist aber unglücklich. Vergleichbare Stellen sind deutlich schlechter bezahlt. Wie kann er dieser Zwickmühle entkommen?

 Weitere Plus-Artikel lesen Sie hier

„Die Kanzlerreise wird quasi eingerahmt von russischen Besuchen“, sagt Merics-Chefökonom Zenglein: „Diese Botschaft spricht für sich: Moskau und Peking vertiefen ihre Beziehung konsequent und lassen sich vom Westen nicht beeindrucken.“

Lesen Sie auch: Der Ökonom und China-Experte Jacob Gunter erklärt im Interview, wie trickreich China subventioniert und warum die Gefahr für die deutsche Wirtschaft und ihren Mittelstand immer größer wird.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%