Riedls Dax-Radar
Quelle: Getty Images

Starke Börsen mit schwachen Einzelwerten

Noch läuft die Rekordjagd an der Börse. Schwächezeichen aus der zweiten Reihe bei DHL, Fresenius oder Brenntag sind jedoch eine Warnung, dass eine vorübergehende Kurskorrektur immer wahrscheinlicher wird. Eine Kolumne.

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Nach zehn Zinserhöhungen in Folge seit Sommer 2022 hält die EZB immer noch still. Die Kerninflation, bei der Energie- und Nahrungsmittelpreise nicht mitgerechnet werden, lag im Februar bei 3,1 Prozent. Im vergangenen Jahr wurden hier Spitzenwerte von fast sechs Prozent erreicht. So gesehen war die Inflationsbekämpfung der vergangenen Monate durchaus ein Erfolg.

Und die EZB gibt sich denn auch zuversichtlich, früher oder später den Hebel der Geldpolitik umzulegen. Allerdings will sie eines vermeiden: Dass sie zu früh lockert und die Inflation dann noch einmal auflebt, wie das in den Siebzigerjahren der Fall war. 

Brisant war das Timing der Notenbanken auch vor der Finanzkrise. Das Plateau erhöhter Zinsen hatte 2007 bis 2008 zunächst ein Ausmaß von elf Monaten. Am Ende kam es dann im August 2008 sogar noch einmal zu einer Zinserhöhung – direkt vor dem Höhepunkt der Finanzkrise im Herbst, dem Lehman-Crash. Kurz nach dieser unglücklichen Erhöhung musste die Notenbank dann doch wieder massiv umsteuern und senkte von Oktober 2008 bis Mai 2009 die Zinsen insgesamt von 4,25 Prozent auf 1,00 Prozent.

Solche Hakenschläge will die EZB derzeit sicherlich vermeiden und deshalb dürfte sie lieber etwas länger bis zur nächsten Zinswende warten. Die meisten Beobachter rechnen derzeit mit einer ersten Zinserleichterung gegen Mitte des Jahres. Sollte die Inflation sich weiter in dem von der EZB angenommenen Korridor in Richtung zwei Prozent entwickeln, könnte dies insgesamt einen Senkungsspielraum von einem Prozentpunkt eröffnen. Das könnten dann vier Zinsschritte von jeweils 0,25 Prozentpunkte bedeuten. Der Hauptrefinanzierungssatz, zu dem sich Geschäftsbanken von der Notenbank Geld besorgen, würde dann von derzeit 4,5 Prozent bis auf 3,5 Prozent gesenkt werden.

Die EZB zögert weiterhin, die Leitzinsen zu senken. Grund sind die hohen Lohnsteigerungen. Diese könnten die Inflation nachhaltig über die Zielmarke von zwei Prozent treiben.
von Malte Fischer

Mit einer solchen Zinspolitik sollte sich zum einen die in den vergangenen Jahren eskalierte Inflation im Griff halten lassen. Zum anderen bedeutet es eben nicht die Rückkehr zur Nullzinspolitik, sondern wäre als neue Normalität auch der Abschied vom Krisenmodus der Jahre 2016 bis 2021. Der massive Kursanstieg seit Herbst 2023 ist eine Bestätigung dafür, dass die Börsen mit einem solchen Zinsumfeld gut leben können.

Neue Indexvorschriften beflügeln Dax und SAP

Bei ihrer jüngsten Indexüberprüfung hat die Deutsche Börse einen bemerkenswerten Schritt getan: Der Börsenwert einer einzelnen Dax-Aktie darf künftig bis zu 15 Prozent statt wie bisher maximal 10 Prozent des Index ausmachen. Zugute kommt das aktuell zunächst Softwarekonzern SAP, dessen derzeit 12-prozentiges Gewicht bisher eben nicht ganz in den Index einfließt. Greift die Deckelung erst bei 15 Prozent, könnte SAP bei einem Gesamtwert des Dax von 1,8 Billionen Euro bis auf 270 Milliarden Euro klettern. Aktuell kommt SAP auf 210 Milliarden Euro. Da die damit erhöhte Bedeutung von SAP vor allem bei indexorientierten Großanlegern weitere Käufe auslösen dürfte, kommt das direkt der SAP-Aktie zugute. Das wiederum ist auch ein Gewinn für den Dax selbst, da sich der Zugewinn eines erfolgreichen Unternehmens dann noch stärker im Index niederschlagen kann. 

Zugleich ist das ein positives Zeichen für den Finanzstandort Deutschland. Die Deutsche Börse signalisiert damit, dass sie besonders erfolgreichen Unternehmen keine regulatorischen Hindernisse an den Märkten in den Weg legen will. Vor allem im Fall des ehemaligen Dax-Mitglieds Linde, dessen Gewicht im Index ebenfalls gedeckelt worden war, hatte das für Kritik gesorgt.

An den Mitgliedschaften im Dax ändert die Deutsche Börse derzeit nichts. Damit schafft die Deutsche Lufthansa, mit mehr als 700 Maschinen immerhin Europas größte Fluglinie, noch immer nicht die Rückkehr in den Dax. Dafür bleibt der angeschlagene Onlinehändler Zalando im Index. Allerdings, sollte der Modeverkäufer in den nächsten Monaten die Wende nicht schaffen, dürfte seine Dax-Mitgliedschaft spätestens beim nächsten Überprüfungstermin wackeln, der Mitte des Jahres ansteht.

Bayer: Hoffnung auf Ausverkauf 

Auf nicht einmal mehr zwei Prozent im Index kommen Bayer-Aktien, einst ein Schwergewicht des deutschen Kapitalmarkts. Noch immer können die Leverkusener ihren massiven Abwärtstrend seit der unglücklichen Übernahme des amerikanischen Agrarchemikers Monsanto nicht beenden. Belastungen aus Prozessen um den umstrittenen Unkrautvernichter Glyphosat, Fehlschläge bei der Entwicklung neuer Medikamente und hohe Schulden drücken auf die Stimmung. Dazu sieht es so aus, dass Spekulationen auf eine Aufteilung des Gesamtkonzerns bis auf weiteres ins Leere gehen. 

Mit 26 Milliarden Euro Börsenwert bei 48 Milliarden Euro Geschäftsvolumen sind Bayer-Aktien zwar günstig, angesichts der mehrfachen Belastungen aber immer noch nicht extrem billig. Andererseits zeigt der hochdynamische Abwärtstrend der Aktie seit Herbst vergangenen Jahres zunehmend Anzeichen von Panik. Bei der extremen Krise von Bayer um den Blutdrucksenker Lipobay kam es in den Jahren 2002 bis 2004 im Kursbereich zwischen 16 und 23 Euro (um Kapitalmaßnahmen bereinigt) zu einer längeren Schwankungsphase. Sollte Bayer auch jetzt wieder in den weiten Bereich um 20 Euro absacken, wären das seit Beginn der scharfen Baisse-Phase im Frühjahr 2023 insgesamt Verluste von rund zwei Dritteln; für eine schwere Abwärtsbewegung durchaus ein typisches Ausmaß. Gut möglich, dass sich in diesem Kursbereich dann doch zunehmend risikofreudige Antizykliker Anteile bei dieser ehemaligen Ikone der deutschen Wirtschaft greifen. 

Fresenius: Zäher Neustart nach Ausgliederung der Dialyse 

Aktien des Gesundheitskonzerns Fresenius kommen nicht aus dem Tief. Ableger Fresenius Medical Care (FMC) ist gerade dabei, sein Klinikgeschäft in Südamerika zu verkaufen. Für 154 Dialyseklinken kann FMC insgesamt 276 Millionen Euro erlösen; je Klinik also nur 1,8 Millionen Euro – wobei es sich immerhin um Institute mit einer durchschnittlichen Personalstärke von 46 Mitarbeitern handelt. Kein Wunder, dass FMC damit auch noch Buchverluste von rund 200 Millionen Euro einfährt, die im ersten Quartal 2024 als Sondereffekt verarbeitet werden.

Mit der Ausgliederung des ehemaligen Kerngeschäfts Dialyse und des Klinik-Dienstleisters Vamed, die beide nur noch als Finanzbeteiligung geführt werden, konzentriert sich Fresenius auf das Geschäft um Kliniken und medizinische Ernährung. Wie nachhaltig rentabel und womöglich ausbaufähig das ist, muss sich noch zeigen. Angesichts der hohen Verschuldung ist der Start ins neue Leben von Fresenius nicht leicht. Und vor allem hat Fresenius dabei eines nicht mehr: Eine global führende Marktposition wie einst über mehrere Jahrzehnte im Geschäft mit Dialyse. 

Fresenius-Aktien sind ein heikles Investment. Einerseits sind 14 Milliarden Euro Marktkapitalisierung für einen der größten Gesundheitskonzerne weltweit, der in seiner aktuellen Struktur rund 40 Milliarden Euro Umsatz erzielt, kein hoher Wert. Insofern dürften die Risiken mittlerweile überschaubar geworden sein und die gesamte Kurszone zwischen 25 und 20 Euro (hier lagen 2007 bis 2011 wichtige Hoch- und Tiefpunkte) könnte sich langfristig als Boden erweisen. Kurzfristig hingegen deutet die zuletzt relativ magere Performance der Aktie nicht auf eine schnelle Wende nach oben.

DHL: Wartezeit, bis die Post wieder abgeht

Der Gewinn von DHL bricht ein. Der Bonner Logistikkonzern hat im vergangenen Jahr mit 3,7 Milliarden Euro fast ein Drittel weniger verdient. Besonders das Schlussquartal war in der ganzen Breite des Geschäfts schwächer als erwartet. Ungünstige Bedingungen in wichtigen Märkten kamen dazu. So musste DHL etwa Transportkapazitäten bei Drittanbietern teuer einkaufen, um den Bedarf an zeitkritischen Sendungen aus Asien zu bedienen; andererseits war die Auslastung im Inland und auf dem europäischen Markt schwach.

Für 2024 gibt es keine Entwarnung: Noch immer sind die Lager vieler Unternehmen gut gefüllt, das begrenzt die Transportmengen zwischen den Firmen. Die Zurückhaltung angesichts zunehmend pessimistischer Konjunkturprognosen bremst zusätzlich. Und Kosten für Treibstoffe und Personal gehen nicht zurück. 

Trotz stabiler Dividende und Aktienrückkäufe stehen DHL-Anteile damit erst einmal unter Druck. Die Bewertung liegt im moderat-mittleren Bereich, ist aber noch nicht auffallend günstig. Ein Rückgang bis in die Tiefenzone im Jahr 2022, die zwischen 35 bis 30 Euro lagen, ist mittelfristig nicht ausgeschlossen. 

Brenntag: Nächster Test des langfristigen Trends

Eine kalte Dusche gab es bei Chemikalienhändler Brenntag. Während in den vergangenen Monaten die Vorfreude auf die vielversprechende, aber langfristig angelegte Aufspaltung in die beiden Sparten Prozesschemikalien und Spezialchemikalien die Märkte beflügelte, werden die Börsen jetzt erst einmal durch kurzfristige Unsicherheiten ernüchtert. Bei Industriechemikalien belebt sich das Geschäft zwar, nicht aber bei Spezialitäten. Vor allem auf dem wichtigen chinesischen Markt bleibt das Geschäft schwierig. Eine Belastung ist und bleibt der robuste Euro. Sowohl die 2023er-Gewinne als auch die Aussichten für 2024 liegen unter den Erwartungen.

Brenntag-Aktien hatten zuletzt mit Kursen um 85 Euro wieder knapp ihre Topnotierungen aus dem Jahr 2021 erreicht. Ein Rückschlag von diesem Niveau ist angesichts der verhaltenen Perspektive nicht ungewöhnlich. Kurzfristig könnte die Aktie noch in den Bereich um 75 Euro abdriften, ohne den seit 2020 anhaltenden langfristigen Aufwärtstrend zu verletzen. 

Continental: Rettung durch Reservereifen

Mit Kursverlusten quittiert die Börse die jüngsten Ergebnisse und Perspektiven von Continental. Dabei sind die Zahlen erst einmal nicht schlecht: Der Umsatz ist 2023 um fünf Prozent auf 41,4 Milliarden Euro gestiegen, der Nettogewinn von 67 Millionen auf 1,16 Milliarden Euro. Zugleich konnten die Finanzschulden um ein Zehntel auf vier Milliarden abgebaut werden; die Eigenkapitalquote erhöhte sich leicht auf 37 Prozent, ein guter Wert. 

Das Problem dabei: Die viel beachtete Kernsparte Autozulieferung verringerte zwar ihre letztjährigen hohen Verluste, aber es blieb eben immer noch ein Minus von 57 Millionen Euro Ebit (Gewinn vor Zinsen und Steuern). Dabei stehen die Produkte, die Conti hier anbietet, durchaus im Zentrum innovativer Autotechnik: moderne Fahrwerke und Bremsen, Assistenzsystem und Kommunikationstechnik. 

Kein Wunder, dass Conti hier nun unbedingt die Effizienz erhöhen will. Mehr als 7000 Stellen werden abgebaut, von weltweit immerhin rund 100.000 in diesem Geschäftsbereich. Bis 2025 sollen die Kosten damit um 400 Millionen Euro per anno gesenkt werden. Dazu machen sich seit dem zweiten Halbjahr 2023 zunehmend Preiserhöhungen positiv bemerkbar. 

Wäre da nicht die klassische Sparte Reifen, hätte Conti netto bei weitem keinen Milliardengewinn erwirtschaftet. Mit 1,7 Milliarden Euro Ebit waren die Reifen wieder einmal der Rettungsring der Hannoveraner. Dabei ist es ein durchaus gutes Zeichen, wenn Conti in dieser Paradedisziplin weiter hohe Margen erwirtschaftet. Egal ob Benziner, E-Auto oder Brennstoffvehikel, die Nachfrage nach hochwertigen Pneus bleibt ein zentraler Beweggrund für die Branche – auch wenn die oft übersehene Sparte Contitech (Bänder, Riemen, Dichtungen) zuletzt ihr Ebit mehr als verdoppeln. 

2024 erwarten die Banken von Conti einen Nettogewinn von 1,7 Milliarden. Darin steckt reichlich Optimismus und die Annahme, dass Automotive nun endlich die Wende schafft. Mit 14 Milliarden Euro Marktkapitalisierung bei über 40 Milliarden Euro Umsatz ist Continental günstig bewertet. Die fehlenden Gewinnaussichten allerdings begrenzen erst einmal die Wendechance. Nachhaltig unter 70 Euro sollte die Aktie deshalb aber nicht fallen. 

Fazit für den Dax: Seit dem großen Tief vom 27. Oktober vergangenen Jahres bei 14.687 Punkten hat der Deutsche Aktienindex 21 Prozent gewonnen; seit dem jüngsten Tief vom 17. Januar bei 16.432 Punkten sind es 8,6 Prozent. Von der Dynamik ist diese Hausse-Phase mit dem Anstieg Herbst 2022 bis Frühjahr 2023 vergleichbar. Das Top wurde damals erst im Juli erreicht. Läuft auch die aktuelle Aufwärtsbewegung länger als von vielen Marktteilnehmern erwartet? 

Möglich ist das durchaus. Ermüdungserscheinungen zeigt der Dax im Grunde noch immer nicht, jeder Rücksetzer wird bisher gekauft. Der Abstand der aktuellen Notierungen zur 200 Tagelinie (die derzeit bei 16.113 Punkten verläuft) ist mit knapp elf Prozent zwar deutlich, aber weit entfernt von Extremwerten um 20 Prozent, die er zuletzt etwa in der Hausse im Frühjahr 2015 erreicht hatte. 

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Dennoch, das fortgeschrittene Zeitfenster der Hausse, die große Sorglosigkeit der Akteure (die sich besonders im niedrigen Stand des Angstbarometers V-Dax zeigt) und zunehmend konjunkturbedingte Schwächesignale bei Einzelaktien deuten darauf hin, dass die Märkte nach einem starken Herbst und Winter im Frühjahr dann doch in eine Korrekturphase übergehen könnten. 

Hinweis: Der nächste Dax Radar erscheint erst wieder am 22. März. 

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