Die neuesten Pläne von Changpeng Zhao klingen ein wenig wie die der Elternvertretung an einer Grundschule im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg. Vor wenigen Wochen startete er sein Projekt „Giggle Academy“, eine kostenfreie Bildungsplattform für Kinder und Jugendliche. Ein paar Weggefährten hat Zhao bereits gefunden, weitere Mitarbeiter sollen noch folgen. „Das ist das Wichtigste, was ich für den nächsten Abschnitt meines Lebens tun kann“, jubelt Zhao in feinster Purpose-Manier. Bloß: Der Plan kann nur aufgehen, wenn er einen Laptop mit in seine Gefängniszelle nehmen darf.
Am Dienstag hat ein Gericht in Seattle Zhao zu einer Haftstrafe von vier Monaten verurteilt. Der Richter blieb deutlich unter dem Antrag der Anklage, die drei Jahre Gefängnis gefordert hatte. Bevor Zhao seinen digitalen Altruismus entdeckte, schuf er mit der Kryptobörse Binance die weltweit größte Anlaufstelle für den Handel mit Bitcoin und Co. Eigenen Angaben zufolge zählt die Plattform weltweit 120 Millionen Kunden.
Eine Marktgröße, die doch eigentlich zu besonderer Sorgfalt und Compliance verpflichten sollte. Doch unter Zhaos Führung war Binance bei den US-Aufsehern in Verdacht geraten, gegen Geldwäschegesetze zu verstoßen und Sanktionen gegen Russland und den Iran zu umgehen. So soll Binance Krypto-Transaktionen an Terrororganisationen wie die Hamas oder Al-Kaida zugelassen haben.
Mit Zhao büßt nun ein zweites Schwergewicht der Kryptobranche eine Haftstrafe ab. Im März war Sam Bankman-Fried, der Gründer der einst drittgrößten Kryptobörse FTX, wegen Betrugs zu 25 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Gut eineinhalb Jahre zuvor war FTX kollabiert, nachdem milliardenschwere Löcher in den Bilanzen aufgeflogen waren.
Schon im vergangenen November hatte ein Gericht Zhao – in der Branche nur „CZ“ genannt – für schuldig erklärt. Seit einer Kautionszahlung in Höhe von 175 Millionen Dollar wartete er bis zum Dienstag auf die Verkündung des Strafmaßes. Fest stand damals nur: Neben einer Strafe in Höhe von 50 Millionen Dollar aus eigener Tasche musste er vom Binance-Chefposten zurücktreten. Drei Jahre lang darf er keinen Managementposten bei der Kryptobörse übernehmen. Auch für Binance als Unternehmen war das Fehlverhalten mit hohen Kosten verbunden: Die Richter verhängten eine Rekordstrafe in Höhe von 4,3 Milliarden Dollar.
Wie viel CZ steckt in der Binance-DNA?
Die Verurteilung CZs ist für Binance eine Zäsur. Über Jahre war er das Gesicht des Unternehmens. Mit fast neun Millionen Followern beim Kurznachrichtendienst X war er das Sprachrohr von Binance und ein gewichtiger Fürsprecher für Kryptowährungen wie den Bitcoin. So ziemlich jede Entscheidung in dem obskuren Unternehmen, dessen Firmensitz noch immer unklar ist, lief laut Insidern über CZs Schreibtisch. CZ war Binance, und Binance war CZ. Wer sich heute unter Mitarbeitern umhört, erfährt, dass er sich wohl wirklich aus dem operativen Geschäft zurückgezogen habe. "CZ ist aus dem Alltag bei Binance verschwunden. Er mischt sich nirgends mehr ein“, so ein hochrangiger Manager.
Die Frage ist nur: Stimmt das? Und selbst wenn: Steckt CZ und sein Führungsstil nicht trotzdem in Binance und seiner Kultur? Unter ihm ist Binance zum Marktführer avanciert, obwohl (oder gerade weil) manche Geschäftspraktik schon immer Fragen aufwarf. Oder wie es US-Justizminister Merrick Garland mal formulierte: Binance hat es aufgrund von Gesetzesverstößen zum weltgrößten Handelsplatz für Kryptowährungen geschafft.
Der Bitcoin-ETF im Detail
Viele Experten sehen darin einen Ritterschlag für den Bitcoin. Die Genehmigung habe eine große Signalwirkung erzeugt und werde für den Bitcoin deutlich mehr Professionalisierung schaffen, sagt Philipp Sandner von der Frankfurt School of Finance and Management. „Dies wird aber Monate dauern oder sogar noch länger. Der Bitcoin kommt nun langsam im Mainstream an; er wird hoffähig.“
Mit den neuen Finanzprodukten wird es für Investoren in den USA einfacher, in den Bitcoin zu investieren. ETF steht für „exchange-traded fund“ – übersetzt „börsengehandelter Fonds“. Mit ETFs wird normalerweise ein bestimmter Börsen-Index nachgebildet, etwa der MSCI World, in dem unter anderem die Aktien von Apple, Microsoft, Amazon, Alphabet (Google) und Meta (Facebook) stecken. Die neuen Bitcoin-ETFs setzen nur auf ein Pferd, nämlich den Bitcoin und spiegeln nur die Kursentwicklung der Kryptowährung wider.
Anleger, die selbst Bitcoin kaufen, müssen sich entweder selbst um die Verwahrung in einer digitalen Brieftasche (Wallet) kümmern. Oder sie müssen Dienstleistern wie Coinbase oder Bitpanda vertrauen, die mit ihren Apps auch Online-Wallets anbieten. Bei den nun zugelassenen ETFs kaufen Fonds-Anbieter wie Blackrock ihre Bitcoin-Bestände auf eigene Rechnung ein. Die Anleger erhalten dann nicht die Bitcoins selbst, sondern ein Zertifikat, das den Anspruch darauf bescheinigt. Dafür verlangen die Finanzhäuser Gebühren. Bei Blackrock sind das 0,25 Prozent der Investitionssumme im Jahr.
Der Kurs schwankt sehr stark, und Prognosen für den weiteren Verlauf sind schwierig. Die Bedeutung der ETF-Zulassung kann man aber an dem Kurs der vergangenen Monate ablesen. Mitte Oktober, bevor Gerüchte über eine bevorstehende Zulassung kursierten, lag der Kurs bei rund 26.500 Dollar. Vor der SEC-Entscheidung stieg der Bitcoin auf knapp 48.000 Dollar.
Experten trauen dem Bitcoin zu, 2024 ein Rekordhoch von über 69.000 Dollar zu erreichen und halten auch Kurse von über 100.000 Dollar. Finanzexperte Sandner sagt: „Der Kurs dürfte sich dadurch positiv entwickeln, wenn nun das Investieren in Bitcoin unkomplizierter wird und auch die ersten großen institutionellen Investoren beginnen, sich für den Bitcoin zu interessieren.“ Sogenannte HODL-Investoren, die ihre Kryptobestände halten, egal wie hoch oder niedrig die Preise sind, spekulieren sogar auf ein Überschreiten der Schwelle von einer Million Dollar. Auf der anderen Seite gibt es warnende Stimmen, etwa die deutsche Verbraucherzentrale. Bitcoins seien aufgrund der Risiken – von starken Kursschwankungen bis zum Totalverlust – als Geldanlage nicht zu empfehlen, erklärten die Verbraucherschützer im November.
Nein, solche „One-Trick-Ponys“ widersprechen den Regularien in Deutschland. Deshalb gibt es in der Bundesrepublik im Gegensatz zu den USA auch keine ETFs, die sich ausschließlich am Goldpreis orientieren. Wer virtuell in Gold investieren möchte, muss in Deutschland auf ETCs ausweichen. ETC steht für exchange-traded commodities („börsengehandelte Rohstoffe“). Sie funktionieren ähnlich wie ETFs: Sie können ebenfalls direkt an der Börse gehandelt werden und bilden den Goldpreis annähernd nach. Rechtlich gesehen sind ETCs aber unbefristete Schuldverschreibungen und keine Investmentfonds. Ähnliche Angebote gib es in Deutschland für den Bitcoin. Das sind dann sogenannte ETPs (exchange-traded products) oder ETNs (exchange-traded notes), die den Bitcoin ebenfalls abbilden.
Etliche Krypto-Anleger rechnen durch den Einstieg der traditionellen Finanzwirtschaft in den Bitcoin-Markt mit einer erhöhten Nachfrage nach Bitcoin. Das würde zwangsläufig zu einer Kurssteigerung führen, weil die Gesamtzahl der Bitcoins auf 21 Millionen begrenzt ist. Kritiker sehen den Einstieg dagegen skeptisch, auch weil der Bitcoin einst als Gegenreaktion auf die Finanzkrise entstand, für die traditionelle Geldhäuser verantwortlich waren. Der unter dem Pseudonym Satoshi Nakamoto agierende Bitcoin-Gründer wollte mit seinem Gegenentwurf vermeiden, dass Banken und Vermögensverwalter am Wertaufbau mitverdienen. Bitcoin-Experte Sandner zieht die Grenzen nicht so eng: „Der Bitcoin und die Idee dahinter ändert sich nicht. Es gibt ab nun aber weitere Möglichkeiten, in ihn zu investieren. Der Bereich professionalisiert sich.“
Auch die US-Börsenaufsicht SEC erhebt schwere Vorwürfe gegen Binance. In 13 Klagen warf sie dem Unternehmen und Zhao persönlich im vergangenen Sommer vor, in einem „umfangreichen Netz aus Täuschungen, Interessenkonflikten, mangelnder Offenlegung und kalkulierter Umgehung des Gesetzes verwickelt“ zu sein. Binance soll Umsätze manipuliert und bewusst Wertpapiergesetze umgangen haben. Die Kryptobörse weist die Vorwürfe zurück.
Noch vor fünf Jahren brüstete man sich mit der Abstinenz von Regelkonformität: „Wir operieren als fucking unlizenzierte Wertpapierbörse“, tönte damals der Manager, der qua Amtstitel die Compliance leitete. Zu dem schlechten Image von Binance passte auch die fragwürdige Vergütungspolitik. Die Kryptobörse bezahlt ihre Mitarbeiter zum Teil mit der Digitalwährung BNB – einem Coin, den das Unternehmen quasi aus dem Nichts selbst erschaffen kann. „Binance zahlt mit einer Fantasiewährung“, schilderte ein Ex-Mitarbeiter mal seine Erfahrung mit der Kryptobörse.
Das Problem: In den Anfangsjahren von Kryptowährungen waren zweifelhafte Geschäftspraktiken für die Nutzerklientel vielleicht noch in Ordnung. Nun aber ziehen Digitalwährungen allmählich in den Mainstream der Geldanlage ein. Im Kryptosektor endet die Ära des Wilden Westens. Auch Binance hatte sich zuletzt um Lizenzen vor allem in europäischen Ländern bemüht, um hier um Kunden werben zu dürfen.
„Dann ist die BaFin 'ne Pommesbude“
Mit wenig Erfolg: Offiziell hat Binance einen entsprechenden Antrag bei der deutschen Finanzaufsicht BaFin zurückgezogen. Wenn es nach Brancheninsidern geht, hätte die Behörde den ohnehin nicht durchgewunken. „Wenn die BaFin Binance eine Lizenz gibt, dann ist sie 'ne Pommesbude“, sagte ein Branchenkenner bereits im vergangenen Jahr. Unter Aufsehern gelte das ganze System Binance als dubios.
Die negative Außenwahrnehmung scheint auch intern zunehmend zum Problem für die Kryptobörse heranzuwachsen. Nach der gefloppten Lizenzoffensive haben diverse Top-Manager dem Unternehmen den Rücken gekehrt – darunter auch Fachleute, die bereits bei anderen Brokerunternehmen erfolgreich an Genehmigungsprozessen mit der Finanzaufsicht beteiligt gewesen waren. Demnächst tritt die europäische Kryptoregulierung MiCAR („Markets in Crypto-Assets Regulation) in Kraft. Skeptiker glauben nicht daran, dass es der Kryptobörse bis dahin gelingt, Einwände der Aufseher zu zerstreuen und doch noch eine Lizenz zu bekommen.
Und auch in den USA spitzt sich die Lage für Binance außerhalb der Gerichtssäle zu. Im Januar hatte die Börsenaufsicht SEC spezielle Bitcoin-ETFs genehmigt. Damit können Anleger über lizensierte Plattformen mit Bitcoin handeln. Zumindest für Einsteiger im Kryptomarkt, die nicht in Kleinst-Kryptowährungen investieren, wurde damit eine Alternative geschaffen.
Hinzu kommt: Um die Verwahrung der Kryptoeinheiten des ETF-Anbieters BlackRock kümmert sich ausgerechnet Coinbase. Der größte Konkurrent von Binance hat eine Lizenz der Finanzaufsicht, ist börsennotiert und unterliegt daher Offenlegungspflichten. Binance dagegen ist eine Blackbox: Niemand weiß, wie gut oder schlecht das Unternehmen aufgestellt ist.
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