WirtschaftsWoche: Herr Stöferle, wendet sich ein Teil der Welt vom Dollar als dominierende Handels- und Reservewährung ab?
Ronald-Peter Stöferle: Das Thema De-Dollarization haben wir schon seit Jahren auf dem Radar. Jetzt wird es plötzlich Mainstream, die „Financial Times“ widmet sich dem Thema, selbst Fox News.
Dann ist die WirtschaftsWoche Trendsetterin. Wir titelten schon vor zehn Jahren: „Das Ende des Petro-Dollar“.
Andere bemerken den Bedeutungsverlust des Dollar erst jetzt. Er ist die Folge eines Prozesses, der über einen längeren Zeitraum lief.
Was war der Auslöser?
Zuerst ein Blick zurück in die Währungsgeschichte: Gemessen an der Wirtschaftsleistung hatten die USA das britische Empire schon 1872 als wichtigste Wirtschaftsmacht eingeholt. Anschließend war das Pfund Sterling aber noch über viele Dekaden hinweg neben dem Dollar die wichtigste Weltreservewährung.
Zur Person
Ronald-Peter Stöferle, 42, ist Partner und Fondsmanager bei der unabhängigen Investmentboutique Incrementum in Liechtenstein. Der gebürtige Wiener verfasst seit 2007 den weltweit vielbeachteten „In Gold we trust“-Report. Dessen nächste Ausgabe erscheint Ende Mai.
Heute könnten also, analog dazu, die Spekulationen über ein Ableben des Dollar verfrüht kommen?
Erst von 1946 an hatte der Dollar das Pfund tatsächlich abgelöst. Insofern glaube ich tatsächlich, dass es noch eine Zeit dauern wird, bis dieser Prozess abgeschlossen ist.
Der Dollar bleibt vorerst also dominierende Handels- und Reservewährung?
Als Transaktionswährung ist der Dollar nach wie vor die klare Nummer eins. Daran wird sich auch nicht wahnsinnig viel ändern. Louis-Vincent Gave, Mitgründer von Gavekal Research in Hongkong, vergleicht den Dollar mit dem Betriebssystem Windows von Microsoft. Das sei auch nicht perfekt, aber jeder nutzt es. Es besteht also ein sehr starker Netzwerkeffekt. Wenn die Welt jetzt auf ein ganz neues Betriebssystem wechselte, dann liefe das zunächst vermutlich nicht, weil die Umstellung sehr mühsam wäre. Die Netzwerkvorteile sind nicht zu unterschätzen.
Der Dollar hat also einen Liquiditätsvorteil?
Richtig. Die USA haben nach wie vor den liquidesten Anleihemarkt der Welt. Nehmen sie zum Vergleich den britischen Anleihemarkt. Der Handel mit britischen Staatsanleihen, sogenannten Gilts, wäre im vergangenen Herbst beinahe zusammengebrochen. Und in Japan gab es über mehrere Tage überhaupt keinen Handel mit heimischen Staatsanleihen.
China wickelt Ölgeschäfte mit den Golfstaaten aber jetzt in Renminbi ab.
Chinas Staatspräsident Xi Jinping hat schon vor einiger Zeit gesagt, dass sein Land mit den Golfstaaten im Energiebereich grundsätzlich enger zusammenarbeiten wolle. Als Plattform für den Handel in Renminbi soll die Shanghai Petroleum and Natural Gas Exchange genutzt werden. Seitdem wird viel vom Abstieg des Petro-Dollar und vom Aufstieg des Petro-Yuan gesprochen.
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Verschiebt sich das Machtgefüge auf der Weltbühne?
Da ist viel in Bewegung gekommen. Die Friedensverhandlungen zwischen Saudi-Arabien und dem Iran etwa wurden von China orchestriert. Brasiliens Staatspräsident Luiz Inácio Lula da Silva hat mit seiner Aussage, die USA müssten aufhören, den Krieg zu fördern, auch eher den Chinesen den Hof gemacht. Und besonders aufhorchen ließ unlängst Emmanuel Macron mit seiner Forderung, Europa solle nicht zum „Vasall“ der USA werden. Der französische Energiekonzern TotalEnergies hat übrigens eine Lieferung von Flüssigerdgas von den Vereinigten Arabischen Emiraten nach China in Renminbi abgewickelt.
Angeblich wird auch eine Airbus-Order aus China in Renminbi fakturiert.
Das Gerücht habe ich auch gehört, habe dafür allerdings keine Bestätigung. In den USA ist das alles vermutlich nicht so gut angekommen.
Bereitet China die Internationalisierung des Renminbi vor?
Wenn die Pekinger Regierung tatsächlich in diese Richtung gehen wollte, dann müsste sie die Währung freigeben, die Kapitalverkehrskontrollen aufgeben, Kapital ins Land rein- und rausfließen lassen. Ich glaube nicht, dass Peking schon soweit ist.
Bröckelt der dominierende Status des Dollar als Reservewährung?
Nun, es sind immer noch 58 Prozent der weltweiten Devisenreserven, die in Dollar gehalten werden, gegenüber 20 Prozent in Euro und fünf Prozent in japanischen Yen. In Renminbi sind es weniger als drei Prozent.
Viele Länder, allen voran China und die Golfstaaten, halten noch einen Großteil ihrer Währungsreserven in US-Staatsanleihen, weil sie eben darauf vertraut haben, es seien liquide Anlagen. Schwindet dieses Vertrauen?
Ein wesentlicher Punkt ist hier die Militarisierung des Geldes im Zusammenhang mit den Sanktionen der USA und ihrer westlichen Verbündeten gegen Russland. Da hat man im März 2022 einfach mal gesagt: Liebe Russen, eure 700 Milliarden Dollar an Währungsreserven bei uns sind de facto wertlos. Da sind all jene Staaten, die nicht unbedingt zu den Freunden der USA gehören oder die einfach nur Realpolitik betreiben wie beispielsweise die Inder, die sich jetzt über russisches Öl zum Discount freuen, wach gerüttelt worden ...
... und stocken vorsorglich ihre Goldreserven auf.
Es ist gewiss kein Zufall, dass wir im vergangenen Jahr die größten Notenbankkäufe von Gold seit mehr als 60 Jahren gesehen haben und es in diesem Jahr munter weiter geht. Gesucht wird ein Medium, das kein Gegenparteirisiko hat, überall auf der Welt rund um die Uhr gehandelt wird und eigentlich immer einen gewissen Wert verkörpert. Die Chinesen haben zuletzt wieder offiziell gemeldet, dass sie Gold zukaufen. Dieser Symbolcharakter ist nicht zu unterschätzen.
Welches Signal geht davon aus?
Das Signal heißt: Wir wollen uns aus dem Dollar herausdiversifizieren. China, aber auch Indien, Brasilien oder Indonesien, all diese Emporkömmlinge, wie ich sie nenne, wollen am Verhandlungstisch ernst genommen werden. Das ist durchaus verständlich. Sie haben mehr demografischen Rückenwind, ihre Wachstumsraten sind besser – und sie haben die Rohstoffe, die in allen Bereichen essenziell sind.
Sitzen China und die USA in der Thukydides-Falle, also droht eine militärische Auseinandersetzung der aufstrebenden Macht mit der bestehenden Großmacht?
Die große Hoffnung ist natürlich, dass sich die zunehmende Reibung nicht kriegerisch entlädt. Das gab es in der Geschichte leider schon oft.
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