Nahost-Konflikt Warum der Westen jetzt Netanjahu fürchtet – und nicht die Mullahs

Benjamin Netanjahu, Ministerpräsident von Israel. Quelle: dpa

Nach dem iranischen Angriff auf Israel richten sich alle Augen auf die Regierung von Benjamin Netanjahu. Die Reaktionen zeigen, wie wenig Vertrauen der Ministerpräsident unter Freunden noch hat. Ein Kommentar.

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Ein Wort ist nach dem historischen Angriff Irans auf den Staat Israel am Wochenende in aller Munde: Zurückhaltung. 

Die G7 fordern „Zurückhaltung“ von allen Beteiligten. Außenministerin Annalena Baerbock warnt: „Keine weitere Eskalation“. US-Präsident Joe Biden möchte sich nicht an einem möglichen israelischen Vergeltungsschlag beteiligen. Und auch Europa versucht es erst einmal lieber mit einer „einheitlichen diplomatischen Antwort auf den iranischen Angriff“, wie es die Vizepräsidentin des EU-Parlaments, Katarina Barley, formulierte. 

Innehalten also, nachdenken über die potenziell verheerenden Folgen und Folgesfolgen des eigenen Tuns: Das ist die Beschwörungsformel all derer, die an dem Konflikt zwischen Israel und Iran nicht unmittelbar beteiligt sind. Die Hoffnung, dass sich das Pendel der Gewalt stoppen lässt – und zwar von Israel.

Es ist atemberaubend, wie schnell die Sorge vor der iranischen Vergeltung auf den Tod hochrangiger Offiziere in Damaskus Anfang April gerade der Angst vor einer militärischen Antwort Israels selbst weicht. Die Lage, Stand Montagmorgen, zeigt eine enorme Hilflosigkeit der westlichen Welt, was ihren Partner betrifft. Unter die offiziellen Solidaritätsbekundungen mischt sich längst verzweifeltes Drängen.

Blackbox Israel

Jerusalems Hardliner-Regierung hat bei seinen eigenen Freunden offensichtlich viel politischen Boden verbrannt. Benjamin Netanjahu widersetzt sich beim Gaza-Krieg seit Monaten vehement internationalen Forderungen nach Mäßigung. Auch in Bezug auf die aktuelle Eskalation heißt es in Berlin, Israels Vorgehen sei mittlerweile zur Blackbox geworden – also unberechenbar. 

Und diese Verunsicherung ist Teil des Problems. Nur sie kann erklären, dass sich nach dem zweiten schweren Angriff auf Israel und seine Menschen binnen eines halben Jahres gerade alle Augen auf das Verhalten des Angegriffenen richten und nicht auf dessen Feinde.

Denn auch diese wirken zwei Tage nach dem Angriff regelrecht hilflos. Expertinnen und Experten bescheinigen der Achse zwischen islamistisch-schiitischer Hisbollah im Libanon und Mullah-Regime in Teheran schon seit Monaten eine wachsende Sicherheitspanik in Bezug auf Israel. 

„Israel selbst sucht den Krieg“

Bereits im Januar hatte der israelische Geheimdienst den wichtigsten Verbindungsmann zwischen Hamas, Hisbollah und Iran nahe Beirut getötet. Auch die jüngsten Luftschläge auf eine Botschaft in Damaskus gehören zu einer neuen militärischen Taktik des konstanten Aufreibens. Die alte Ordnung der Eindämmung ist dahin. 

Warum? „Weil Israel selbst den Krieg mit der Hisbollah sucht. Weil Israel dazu bereit ist. Große Teile des Landes wollen die Bedrohung im Norden so bald wie möglich angehen“, erklärte Nahost-Expertin Hanin Ghaddar vom Washington Institute der WirtschaftsWoche. 

So gesehen kann der Angriff als verzweifelter Versuch Teherans gewertet werden, die alte Ordnung mit einer Art Fanal wiederherzustellen. Jenes zynische Prinzip der gegenseitigen Abschreckung also, das den Nahen Osten seit Jahren in einem fragilen Gleichgewicht hält. Passend dazu sendet das Regime gerade auf allen Wegen Botschaften der Beschwichtigung in Richtung Israel – man sei gewissermaßen quitt.

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Nur könnte das Kalkül nicht aufgehen. Die Politik der israelischen Regierung orientiert sich seit den fürchterlichen Terrorakten der Hamas im Oktober nicht länger an Logiken der Vergangenheit.  Freunde wie Feinde fürchten es: Benjamin Netanjahu hält wenig von Zurückhaltung. 

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