Angriff auf Israel „Iran ist international deutlich weniger isoliert, als es hierzulande oftmals scheint“

In der Nacht auf vergangenen Sonntag griff Iran Israel mit Drohnen und Raketen an, die israelischen Luftverteidigungssysteme fingen wohl einen Großteil der Angriffe ab. Quelle: REUTERS

Iran hat Israel mit Drohnen und Raketen angegriffen. Warum das nicht zwingend die nächste Eskalationsstufe ist und Sanktionen kein Allheilmittel sind, erklärt Politikwissenschaftler Cornelius Adebahr.

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WirtschaftsWoche: Herr Adebahr, nachdem aus dem Iran mehr als 200 Drohnen sowie Raketen Richtung Israel abgefeuert wurden, erklärte Außenminister Amir-Abdollahian, Iran beabsichtige zunächst nicht, diese „Verteidigungsoperation“ auszuweiten. Ist das der richtige Begriff, um einen Großangriff zu beschreiben?
Cornelius Adebahr: Aus iranischer Sicht steckt da durchaus ein Teil Wahrheit drin. Iran fühlt sich nach dem Angriff auf sein Konsulat in Damaskus, der Israel zugeschrieben wird, in seinem Hoheitsgebiet angegriffen.

Aus Iran heißt es, man werde nicht zögern, seine Interessen gegen neue Aggressionen zu schützen. Gleichzeitig kündigte ein israelischer Regierungsvertreter „erhebliche Reaktionen“ auf den Angriff an. Für wie groß halten Sie die Gefahr eines Flächenbrandes?
Das hängt jetzt von der israelischen Reaktion ab. Israel hat, nach allem, was wir wissen, kaum Schäden davongetragen. Die Frage ist, ob Premier Netanyahu diesen bewaffneten Konflikt mit Iran will – und jetzt noch einen drauflegt, indem er sagt: Wir wurden angegriffen, also greifen wir das Territorium Irans an. Das ist die Gefahr, vor der viele seit Tagen und Wochen warnen: Dass mit jedem Schritt, den die eine Seite für sich noch als im Rahmen der normalen Auseinandersetzung definiert, für die andere eine rote Linie überschritten sein kann.

Ist mit dem Großangriff nicht längst die nächste Eskalationsstufe erreicht?
Es ist eine gewisse Zeit seit dem Angriff auf das Konsulat in Damaskus vergangen. Womöglich war das die Zeit, in der Iran einerseits ausgelotet hat, mit welchem deutlichen Schritt sie die „Bestrafung“ Israels, die der oberste Führer gegenüber den eigenen Leuten angekündigt hatte, umsetzen könnten. Mit dem sie aber andererseits vermeiden würden, dass sich Israel zur nächsten Eskalationsstufe gezwungen sieht. Die Frage ist nun, ob die israelische Regierung das so stehenlässt.

Zur Person

Was wäre denn über diesen Angriff hinaus die nächste Eskalationsstufe gewesen?
Es hätte Tote und Verletzte sowie weitaus mehr Zerstörung in Israel geben können. Dann hätten wir jetzt eine andere Situation und man könnte wohl kaum verhindern, dass Israel zurückschlägt. So sieht es aber so aus, als stecke ein gewisses Kalkül seitens Teheran dahinter.

Kalkül? Die Iraner geben ja wohl keine Art „Warnschuss“ mit Drohnen und Raketen, oder?
Der Angriff begann mit langsam fliegenden Drohnen, nicht mit Raketen, was wiederum Israel einige Stunden Vorwarnzeit gab. Auch waren die Geschosse wohl nicht auf Bevölkerungszentren, sondern mögliche militärische Ziele im Norden und Süden gerichtet. Das lässt sich derzeit noch nicht abschließend beurteilen, aber vergangene Konfrontationen sowie die Grundannahme, dass Iran keinen großen Krieg will, deuten darauf hin.

Nach dem Angriff wurden Forderungen nach schärferen Sanktionen gegen Iran lauter. Unter anderem CDU-Chef Friedrich Merz sprach sich dafür aus. Was halten Sie davon?
Die Frage ist doch, welche substanzielle Politik hinter dieser Forderung stehen soll. Sanktionen werden Iran nicht in die Knie zwingen, zumal nicht in der aktuellen Situation. Zwar lassen sich die Maßnahmen der internationalen Gemeinschaft vor rund einem Jahrzehnt, die zum Abschluss der Nuklearverhandlungen mit dem Iran-Deal von 2015 beigetragen haben, durchaus als Erfolg werden. Doch sah sich Iran damals einer breiten internationalen Koalition gegenüber, zu der nicht nur Europa und die USA, sondern auch China und Russland gehörten. Jetzt leben wir in einer anderen Welt, in der Russland selbst mit scharfen Sanktionen belegt ist und China eine Reihe von technologischen Beschränkungen seitens der USA unterliegt. Diese Länder arbeiten nunmehr dabei zusammen, wie sie am besten westliche Sanktionen umgehen können. Iran ist international also deutlich weniger isoliert, als es hierzulande oftmals scheint.

Welche negativen Auswirkungen von Sanktionen für Iran gebe es noch?
Nochmals: Die Frage ist, welche möglichen Strafmaßnahmen der Westen jetzt ergreifen und effektiv umsetzen kann, damit sie wirksam eine Verhaltensänderung in Teheran bewirken. Der Schaden der bisherigen Wirtschaftssanktionen in der iranischen Bevölkerung ist sowieso schon hoch: Die Menschen verarmen, während das Regime sich über Schmuggel und Schwarzmarkt sowie die Ölexporte an China bereichert. Es ist noch nicht lange her, dass wir über die Revolte „Frau, Leben, Freiheit“ in Iran geredet haben und diese unterstützen wollten. Wenn wir jetzt Sanktionen einsetzen, ist den Menschen überhaupt nicht geholfen. Man muss hier schon das große Ganze sehen – und nicht nur, wie wir jetzt ganz schnell reagieren müssen, um möglichst stark dazustehen.

Unabhängig von Sanktionsforderungen: Zahlreiche westliche Nationen haben die Attacken scharf verurteilt. Wieso fühlt sich Iran überhaupt sicher genug, Israel angreifen zu können, ohne selbst Schaden zu erleiden?
Zunächst einmal gab es nach dem Botschaftsangriff in Damaskus in Iran großen innenpolitischen Druck, diesen nicht unbeantwortet zu lassen – sowohl innerhalb des Regimes also auch in konservativen, dem Regime nahestehenden Teilen der Bevölkerung. Doch ich würde nicht sagen, dass Iran sich sicher fühlt, sondern mit dem Angriff auf Israel durchaus ein großes Risiko eingegangen ist. Die Regierung hat kein Interesse an einem Krieg mit Israel, an dessen Seite ja die USA stehen, wie Präsident Biden in den Tagen vor dem Vergeltungsschlag noch einmal betont hat. Nun geht es darum, dass beide Seiten es bei diesem tit-for-tat, bei diesem Schlagabtausch bewenden lassen können und nicht jeweils zum nächsten, noch schärferen Angriff übergehen.

Auch Iran hat mächtige Verbündete. China und Russland stützen dem Mullah-Regime den Rücken…
In dieser Hinsicht fühlt Iran sich heute tatsächlich sicherer als noch vor einem Jahrzehnt. Teheran hat mit China einen wichtigen strategischen Partner, der wiederum die Islamische Republik für seine Frontenbildung mit den USA nutzt. Mit Russland wiederum gibt es sogar eine militärische Zusammenarbeit, denn das iranische Regime unterstützt Moskau mit Waffenlieferungen für dessen Krieg gegen die Ukraine. Neben diesen zwei Partnern findet Iran auch Rückhalt für seine Positionen unter nichtwestlichen Ländern, beispielsweise als Teil des BRICS-Bündnis seit Anfang dieses Jahres. Das darf hierzulande nicht übersehen werden, wenn es um eine Einschätzung der Gesamtlage geht.

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