Neuer britischer Außenminister David Cameron: Er ist wieder da

David Cameron verlässt die Downing Street 10 am Montagmorgen. Quelle: imago images

David Cameron ist der neue Außenminister des Landes. Ob dem angeschlagenen Premier damit eine Wende gelingen wird, ist jedoch fraglich. Eine Analyse.

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Damit hat wirklich niemand gerechnet: David Cameron, Großbritanniens tragischer Ex-Premier, der 2016 das folgenschwere EU-Referendum ausgerufen hat und darüber stürzte, ist wieder Teil der britischen Regierung. Premier Rishi Sunak berief ihn überraschend am Montag in den Posten des Außenministers. Es ist der wohl letzte Versuch des angeschlagenen Premiers, das Ruder noch einmal herumzureißen. 

Cameron kehrt nach mehreren Jahren aus dem politischen Niemandsland zurück. Im Amt des Premiers seit 2010, hatte sich Cameron im Vorfeld des EU-Referendums für einen Verbleib des Landes in der EU ausgesprochen. Den beherzten Europäer nahm ihm nur damals kaum jemand ab: Cameron hatte die EU zuvor jahrelang heftig kritisiert. Mit seiner Kritik wollte der eigentlich moderat eingestellte Cameron vermutlich in erster Linie die EU-kritische Tory-Basis und den krawalligen rechten Flügel seiner Partei bei Laune halten. Seine Versuche, die Briten von den Vorzügen einer fortgesetzten EU-Mitgliedschaft zu überzeugen, wirkten dennoch bestenfalls halbherzig. Das dürfte zum knappen Sieg der Leave-Seite beigetragen haben - und zum Ende seiner Zeit als Premierminister.

Denn die Folgen seiner Entscheidung wollte Cameron damals nicht ausbaden. Und so kündigte er Morgen nach dem Referendum sogleich seinen Rücktritt an. Assistenten soll er damals anschließend gesagt haben: „Warum soll ich den schwierigen Scheiß machen?“ Vorbereitungen für einen eventuellen Sieg der Leave-Seite hatte seine Regierung ebenfalls keine getroffen. Das trug zu dem jahrelangen politischen Hickhack bei, das dem EU-Referendum folgte.

Nach seinem Rückzug aus der Politik verschwand Cameron beinahe ganz von der politischen Bildfläche. Er schrieb eine Autobiografie, die 2019 erschien. In der gab er erstmals zu, dass er den Brexit zuriefst bereut. Danach trat Cameron erst 2021 wieder kurz in Erscheinung. Damals wurde bekannt, dass der Ex-Premier umstrittene Lobbyarbeit für einen Finanzdienstleister gemacht hat, der im selben Jahr in die Insolvenz ging. Ein Untersuchungsausschuss kam damals zu dem Schluss, dass Cameron mit seiner informellen Lobbyarbeit die (damals recht laxen) Regeln zwar nicht gebrochen hat. Der Ex-Premier habe dennoch „einen erheblichen Mangel an Urteilsvermögen“ gezeigt.

Verglichen mit den bisweilen vollends chaotischen Amtszeiten seiner Nachfolger Boris Johnson und Liz Truss wirkt Camerons Amtszeit aus heutiger Sicht beinahe wie ein Ruhepol. Dieses Image - in Verbindung mit Camerons wirtschaftlich und gesellschaftlich liberalen Positionen - dürfte Sunak nutzen wollen, um den ramponierten Ruf seiner Regierung wieder zu kitten.

Es ist wohl der letzte Versuch, das Ruder noch einmal herumzureißen. Denn jüngsten Umfragen zufolge liegt die oppositionelle Labour-Partei derzeit geschlagene 24 Prozent vor Sunaks Tories. Wären morgen Wahlen, würde Großbritanniens konservative Partei eine historische Niederlage einfahren.

Bei einer anderen großen Personalentscheidung vom Montag dürfte Sunak ähnlichen Erwägungen gefolgt sein: Er warf die umstrittene Innenministerin Suella Braverman aus des Amt.

Braverman, die seit 2015 im Unterhaus des Parlaments sitzt, ist die Galionsfigur des rechten Flügels bei den Tories. Und dieser Flügel hat im Nachklapp des Brexits so sehr an Einfluss gewonnen, dass sich alle folgenden Premierminister mit dessen Mitgliedern arrangieren mussten. Das war wohl auch der Grund dafür, dass Sunak Braverman nach seiner Ernennung zum Premier vor etwas mehr als einen Jahr wieder umgehend zur Innenministerin ernannt hat. Dabei hatte seine Vorgänger Liz Truss sie erst wenige Tage zuvor entlassen. Braverman hatte einem Parteifreund vertrauliche Regierungsinformationen über einen privaten Email-Anbieter zugeschickt.

Seitdem ließ Braverman keine Gelegenheit aus, um sich als Vorkämpferin des rechten Rands bei den Tories in Szene zu setzen. Immer wieder wetterte Braverman - deren Familie selbst indische Wurzeln hat - gegen Flüchtlinge. Kurz nach ihrem Amtsantritt sprach sie von einer „Invasion“ von Einwanderern an der englischen Südküste. Im Mai wetterte Braverman auf einer politischen Konferenz gegen „Experten und Eliten“ und gegen „radikale Linke“ und bediente sich damit bei der Kulturkampf-Rhetorik, wie man sie ansonsten bei Rechtsextremen und Rechtspopulisten wiederfindet.

Kürzlich bezeichnete Braverman Obdachlosigkeit als „Lifestyle-Entscheidung“ und kündigte an, sie werde gegen Obdachlose vorgeben, die in Zelten schliefen. Die Zahl der Obdachlosen ist in Großbritannien seit dem Amtsantritt David Camerons 2010 deutlich in die Höhe geschossen.

Am vergangenen Donnerstag dann besiegelte Braverman ihre Zeit als Innenministerin. Die Innenministerin groß Öl ins gesellschaftliche Feuer, indem sie in einem Artikel in der Times schrieb, es gebe in der Öffentlichkeit „die Wahrnehmung, dass führende Polizisten“ bei Protesten härter gegen rechte Demonstranten vorgingen als gegen die Teilnehmer pro-palästinensischer Kundgebungen. Damit brach sie die Konvention, derzufolge die Polizeiarbeit in Großbritannien ohne politische Einflussnahme erfolgt.

Zuvor hatte Braverman Proteste für einen Waffenstillstand in Gaza als „Hassmärsche“ bezeichnet und nahegelegt, dass Islamisten eine geplante Großdemonstration am Waffenstillstandstag am vergangenen Samstag dazu nutzen könnten, um für Chaos auf Londons Straßen zu sorgen. Am Freitag wurde bekannt, dass Sunaks Amtssitz in der Downing Street Bravermans Artikel in dieser Form nicht zu Veröffentlichung freigegeben hat. Ein schwerer Affront.

Das Chaos, das Braverman heraufbeschwor, trat dann auch tatsächlich ein. Es ging jedoch nicht von den mindestens 300.000 Demonstranten aus, die für ein Ende der Auseinandersetzungen in Gaza protestierten. Diese Kundgebung verlief ohne größere gewalttätige Zwischenfälle. Schwere Krawalle gab es dagegen mehrere Kilometer von der Protestroute entfernt, als rechtsextreme Demonstranten Polizeiabsperrungen durchbrachen und mehrere Polizisten bei dem Versuch verletzten, zu einem Denkmal zu gelangen, das angeblich wegen des Großprotests in Gefahr war.



Mehrere der rechtsextremen Krawallmacher erklärten, sie hätten Bravermans Äußerungen als Aufruf zu einem Gegenprotest verstanden. Braverman wurde für Sunak endgültig untragbar.

Mit Bravermans Entlassung dürften die Probleme, die Sunak mit ihr hat, jedoch kaum enden. Beobachter mutmaßen seit Wochen, dass sich Braverman mit ihrem zunehmend konfrontativen Kurs für den Posten der Parteichefin nach der inzwischen fast sicheren Niederlage der Tories bei den nächsten Parlamentswahlen im kommenden Jahr positionieren wollte. Sie dürfte sich in den kommenden Monaten immer wieder mit öffentlichkeitswirksamen Seitenhieben gegen Sunak in Erinnerung rufen. Der rechte Flügel bei den Tories dürfte sie dabei unterstützen.

Dass ausgerechnet David Camerons Berufung in die Regierung Sunak dabei helfen wird, einen Stimmungsumschwung herbeizuführen, ist zudem ausgesprochen unwahrscheinlich. Das Problem: niemand mag Cameron. Remainer halten ihm vor, dass er das Land praktisch ohne Vorbereitungen in das folgenschwere EU-Referendum gestürzt hat. Brexit-Unterstützer sehen in ihm einen Remainer.

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Und in Nordengland - wo Boris Johnson 2019 zahlreiche langjährige Labour-Wahlkreise gewonnen hat - ist Cameron eine regelrechte Hassfigur. Dort hat Camerons Austeritätskurs, den er dem Land 2010 auferlegt hat, besonders schwere Verwüstungen angerichtet. Der zutiefst ideologische Sparkurs hat die damalige Rezession um Jahre verlängert, das Wirtschaftswachstum geschwächt, die Einkommen stagnieren lassen und die öffentlichen Dienste des Landes schwer beschädigt.

Auch deswegen dürfte sich die Begeisterung über Camerons überraschende Rückkehr in die Politik schwer in Grenzen halten.

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