Putins fünfte Amtszeit „Für Putin ist es ökonomisch unmöglich, diesen Krieg zu stoppen“

Quelle: imago images

Was in Wladimir Putins neuer Amtszeit zu erwarten ist, wieso russische Unternehmen jetzt verstaatlicht werden und warum sich Russland in Richtung nordkoreanisches Modell entwickelt, erklärt der Ökonom Andrei Yakovlev.

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Russlands Präsident Wladimir Putin ist für eine fünfte Amtszeit vereidigt worden. Damit beginnen für ihn sechs weitere Jahre als Staatschef. Die Zeremonie im Moskauer Kremlfand vor Vertretern der Regierung, beiden Kammern des russischen Parlaments und weiteren hochrangigen Gästen statt. Der 71 Jahre alte Putin, der die Politik im Land seit 24 Jahren beherrscht, hatte sich bei der Präsidentenwahl im März ein Rekordergebnis von mehr als 87 Prozent der Stimmen bescheinigen lassen.

Der russische Ökonom Andrei Yakovlev beobachtete das russische Wirtschaftssystem über Jahrzehnte an der Higher School of Economics in Moskau als Direktor des Instituts für Industrie- und Marktstudien. Nach Beginn des Kriegs verließ er Russland und arbeitet nun nach einer Station als Gastwissenschaftler an der Harvard University am Hanse-Wissenschaftskolleg in Delmenhorst. Hier spricht er über die Zukunft seiner alten Heimat und die wirtschaftliche Instabilität des Landes.

WirtschaftsWoche: Herr Yakovlev, Putin wurde vor knapp zwei Monaten erneut zum Präsidenten gewählt, am Dienstag tritt er die neue Amtszeit an. Der Ausgang der Wahlen lag schon vorher auf der Hand. Was können wir von einer erneuten Präsidentschaft Wladimir Putins erwarten?
Andrei Yakovlev: Diese Wahlen waren nicht wichtig, weil es keinen Wettbewerb gab. Selbst gemäßigte Kandidaten, wie der liberale Oppositionelle Boris Nadeschdin wurden von den Wahlen ausgeschlossen. Trotzdem erwarte ich einige bedeutende Veränderungen im Land, die sich in den letzten Monaten angekündigt haben – zum Beispiel bei Putins Rede zur Lage der Nation und Nawalnys Tod.

Welche wären das?
Putins Regime bewegt sich in Richtung eines nordkoreanischen Modells. Der öffentliche Tod Nawalnys war nicht nur ein Signal an den Westen, sondern ebenso an die Menschen in Russland. Auch russische Künstlerinnen und Künstler werden zunehmend unter Druck gesetzt, sich politisch für den Krieg zu positionieren. Zudem sprach Putin in seiner Rede von einer „neuen Elite“ des Landes – weg von denjenigen, die in den Neunzigerjahren nach dem Zerfall der Sowjetunion zu Reichtum kamen, hin zu denen, die am Krieg teilnehmen. Außerdem werden Bildungsprogramme auf allen Ebenen verändert, angefangen bei den Grundschulen und weiterführenden Schulen bis hin zu den Universitäten, mit einem sehr starken Fokus auf Patriotismus.

Putin kündigte in seiner Rede zur Lage der Nation soziale Hilfen an. Wollte er sich damit vor der Wahl den Rücken stärken?
Es ist mittlerweile schon eine Art Tradition, dass Putin große soziale Hilfen verspricht. Für die Umsetzung all dieser Versprechen wären acht bis zehn Billionen Rubel, das sind etwa 80 bis 100 Milliarden Dollar, nötig. Das ist ein hoher Betrag. Außerdem versprach er diese Investitionen bis 2030. Ich glaube nicht, dass Wirtschaft und Gesellschaft aktuell so langfristig denken. Trotzdem macht die russische Regierung schon Vorschläge für die Finanzierung davon, so sollen die Einkommens- und die Unternehmenssteuer erhöht werden. In der Realität ist aber klar, dass diese Steuererhöhungen nur ein Vorwand sind, um die Militärausgaben zu stemmen.

Zur Person

In den letzten zwei Jahren konnte Russlands Wirtschaft sich trotz Sanktionen umstellen und weiter wachsen. Auch offizielle Zahlen spiegeln das Bild einer stabilen Wirtschaft. Sehen Sie das auch so?
Die Situation ist in Wahrheit alles andere als stabil und steht im Widerspruch zu allen formalen Zahlen. Zwar ging es der russischen Wirtschaft im letzten Jahr von den Zahlen her gut, das BIP-Wachstum lag bei 3,5 Prozent. Davon ist mindestens die Hälfte auf die Rüstungsindustrie zurückzuführen, die andere Hälfte wurde von anderen Sektoren erwirtschaftet. Doch der durchschnittliche Anstieg der persönlichen Einkommen setzt sich aus dem drei bis vierfachen des Einkommens für Familien von Männern, die zur Armee eingezogen wurden, 20 bis 25 Prozent Gehaltserhöhung für Arbeiter in großen Unternehmen und keine Gehaltserhöhung im öffentlichen Sektor während der letzten zwei Jahre zusammen, bei einer realen Inflation von fast 30 bis 40 Prozent.

Meinungsumfragen über das Vertrauen in Putin und die Unterstützung für den Krieg spiegeln ebenfalls nicht die Realität wider. Wenn jemand 1983 normale Menschen in der UdSSR angerufen und gefragt hätte: „Vertrauen Sie der Kommunistischen Partei?“, welche Art von Antworten würden Sie erwarten? Das Gleiche gilt für die Wirtschaft.

Woher kommen die Lohnsteigerungen?
Die Rüstungsindustrie begann, mit privaten Unternehmen um Arbeitskräfte zu konkurrieren. Durch den Einbezug vieler Männer kam es zu einem starken Mangel an Arbeitskräften. Gleichzeitig lockten die sehr hohen Löhne im Militärbereich.



Das klingt erst mal nicht schlecht.
Durch die höheren Löhne stieg die Nachfrage im Land, auf die allerdings nicht richtig reagiert werden konnte. Russland befindet sich in einer Kriegswirtschaft, da bleiben nicht viele Ressourcen übrig. Viele Unternehmen in der Leichtindustrie, in der Lebensmittelindustrie und in der Pharmazie arbeiten für die Armee. Deswegen stiegen die Importe aus China und der Türkei an. Das führte im letzten Jahr zu einer Abwertung des Rubels. Die Regierung kann die Ausgaben für die Armee und die Verteidigungsindustrie nicht kontrollieren und braucht zusätzliche finanzielle Mittel, auch in Anbetracht der westlichen Sanktionen. Die Militärausgaben sind seit 2023 um 70 Prozent gestiegen, nicht nur für Rüstungsgüter, sondern auch für die Familien der Soldaten. Im Vergleich zu 2021 sind die Militärausgaben 2024 dreimal höher.

Nach dem Angriffskrieg auf die Ukraine verhängte der Westen harte Sanktionen. Doch Russlands Wirtschaft stellte sich um und wächst wieder. Wie lange noch?
von Artur Lebedew, Volker ter Haseborg, Angelika Melcher, Max Biederbeck, Max Haerder, Sonja Álvarez, Andrzej Rybak, Ernst Trummer, Jörn Petring, Silke Wettach, Hendrik Varnholt, Bert Losse, Thomas Stölzel

Diese Ausgaben haben die Wirtschaft vor allem im letzten Jahr gestützt – wird das einfach so weitergehen?
Es ist sehr schwierig, diesen Geldfluss jetzt zu stoppen. Das ist bereits ein politisches Problem, denn selbst wenn die russische Armee am Ende erfolgreich sein würde, ist es ökonomisch unmöglich, diesen Krieg zu stoppen. Putin müsste zumindest einige seiner Männer von der Front zurückzuholen, dadurch würden die Löhne und die Nachfrage wieder sinken. Ich denke, dass der Kreml versucht zu einer Art Mobilisierungswirtschaft überzugehen, um das System zu stabilisieren, eben nach dem nordkoreanischen Modell.

Was kann unter einer Mobilisierungswirtschaft nach nordkoreanischem Modell verstanden werden?
Die Mobilisierungswirtschaft ist eine besondere Art der wirtschaftlichen Organisation, die erstmals während des Ersten Weltkriegs entstand. Auch wenn es in einer solchen Wirtschaft noch private Unternehmen gibt, arbeiten sie nach Anweisungen der Regierung. Dieses Modell kann mit informellen Märkten kombiniert werden und bietet sogar einige Möglichkeiten für kleine Unternehmen, aber es gibt keinen Platz für große Privatunternehmen.

Historisch gesehen war die Mobilisierungswirtschaft eine Reaktion auf die Notsituation des Krieges. Die Bolschewiki betrachteten sie jedoch als Modell für die künftige Organisation von Wirtschaft und Gesellschaft und setzten sie in der Sowjetunion unter Stalin in großem Umfang um.
Nordkorea hat dieses Modell aus der UdSSR übernommen und es fast 80 Jahre lang angewendet.

Russland startete im März eine neue Kampagne zur Rückführung von Unternehmen. Was hat es damit auf sich?
Dieser Prozess begann bereits im letzten Jahr. Er bedeutet unterm Strich, dass praktisch alle Privatisierungsgeschäfte revidiert werden können. Dabei war es Putin selbst, der jahrelang erklärte, dass Privatisierungen nicht rückgängig gemacht werden können. Damit wird nun meiner Meinung nach eine Art Gesellschaftsvertrag mit der Wirtschaft aufgebrochen.

Es gibt auch schon einige Beispiele: Im Dezember ordnete ein russisches Gericht an, dass das Unternehmen Autohaus Rolf von Sergei Petrov und seine Einkünfte an den russischen Staat übergehen sollen. Petrov ist einer der größten russischen Autohändler und hat vor einigen Jahren versucht, die Opposition zu unterstützen. Gleiches geschah mit einem großen Metallwerk in Tscheljabinsk. In beiden Fällen sind die Eigentümer ausgewandert, was für den Kreml als Argument zur Nationalisierung galt.

Wieso macht der Kreml das gerade jetzt?
Das ist eine weitere Finanzierungsquelle und soll unter anderem eine Kapitalflucht verhindern. Die stieg in den letzten zwei Jahren trotz westlicher Sanktionen weiter an. Im letzten Jahr gingen 60 Milliarden Dollar ins Ausland.

Ich fasse noch mal zusammen: Russland bewegt sich in die Richtung eines Regimes nach nordkoreanischem Vorbild. Die russische Wirtschaft wird dabei maßgeblich von dem Krieg gestützt – ein Ende des Krieges ist auch ökonomisch schwierig für das Land. Das klingt für mich, als gäbe es kein Weg zurück. Wie blicken Sie in die Zukunft?
Wenn Russland bei dem Übergang zum nordkoreanischen Modell Erfolg hat, wird es extrem gefährlich, nicht nur für die Ukraine, sondern für die ganze Welt. So ein Regime braucht den Krieg, um erfolgreich zu sein. Es besteht allerdings ein Unterschied im Vergleich zu Nordkorea: Nicht nur die Elite, sondern auch viele Millionen Russinnen und Russen hatten in den letzten Jahrzehnten andere Erfahrungen mit der Marktwirtschaft und persönlicher Freiheit als die Menschen in Nordkorea. Darum könnte eine Mobilisierungswirtschaft zu einer inneren Explosion, also einem Aufbegehren der Gesellschaft und Elite, führen, verglichen mit dem Arabischen Frühling.

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Das ist aktuell aber weniger wahrscheinlich, weil ein hohes Sicherheitsrisiko für diese Menschen besteht. Auf der anderen Seite gibt es kein einheitliches Verständnis für eine echte Alternative zum aktuellen russischen Modell. Teil dieses Problems ist, dass es auf der westlichen Seite keine klaren Signale dafür gibt, was für eine Art von Russland sich der Westen nach dem Ende dieses Krieges wünscht.

Lesen Sie auch: Wie Russlands eingefrorene Auslandsvermögen der Ukraine helfen können

Dieses Interview erschien erstmals im März 2024. Wir haben es aufgrund des hohen Leserinteresses aktualisiert und neu veröffentlicht.

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