Joe Biden und Olaf Scholz scheinen sich zu mögen. So gut wie lange nicht seien die deutsch-amerikanischen Beziehungen derzeit, verkündet der Bundeskanzler nach seinem dritten Besuch im Weißen Haus. Und damit hat er sicher recht. Die beiden Staatenlenker stimmen sich auch jenseits der Besuche oft und eng ab, befinden sich im engen Austausch. Schon 17 Mal hätten die beiden miteinander telefoniert, zählt man im Bundespresseamt. Das unterstreicht die Nähe von Kanzler und US-Präsident – und die Bedeutung der deutsch-amerikanischen Beziehungen.
Für Deutschland hat sich dieses freundschaftliche Miteinander immer wieder ausgezahlt. Seit Bidens Amtsantritt steht die Bundesrepublik damit in Washington nach den von Konflikten geprägten Trump-Jahren wieder hoch im Kurs. Das liegt an der strategischen Bedeutung Deutschlands als stärkste Volkswirtschaft Europas, aber auch an Biden, dessen politische Prägung auf die Jahre des Kalten Kriegs zurückgeht.
Während das außenpolitische Establishment beider großer Parteien in den USA seit Jahren vor allem nach Asien schaut, behält Biden Europa traditionell genau im Blick – und ist bemüht, Berlin das Leben zu erleichtern. Zwar bekommt Scholz von Biden nicht alles – siehe den Streit um den Inflation Reduction Act. Aber er hat sich in der Vergangenheit immer wieder großzügig gezeigt.
Kaum im Amt angekommen kehrte Biden etwa die Order seines Vorgängers um, amerikanische Truppen von Deutschland nach Polen zu verlegen. Auch Sanktionen auf die russische Pipeline Nord Stream 2 hob er auf – sehr zum Ärger des Kongresses. Und das, obwohl sich die Bundesregierung bis zu Moskaus Überfall auf die Ukraine beharrlich weigerte, öffentlich zu erklären, dass ein Krieg das Ende der Röhre bedeuten würde. Die Kritik für das Vorgehen nahm Biden auf sich.
Man darf davon ausgehen, dass der Präsident dem Kanzler auch beim Thema Ukraine-Hilfen gerne unterstützen würde. Schließlich hat Biden bereits vor rund vier Monaten ein milliardenschweres Hilfspaket vorgelegt, dass die Regierung in Kiew in die Lage versetzen sollte, den russischen Invasoren dauerhaft etwas entgegenzusetzen. Doch das Geld steckt im Kongress fest. Die Republikaner blockieren die Freigabe – ein Vorgehen, das Biden scharf kritisierte. „Das Versäumnis des Kongresses der Vereinigten Staaten, die Ukraine nicht zu unterstützen, kommt einer kriminellen Unterlassung gleich“, schimpfte er zu Beginn des Treffens mit dem Kanzler im Oval Office. „Es ist ungeheuerlich.“
Auch Scholz hatte vor seinem Termin im Weißen Haus Druck gemacht. Deutschland habe „einen ganz entscheidenden Beitrag“ zur Verteidigung der Ukraine geleistet, so der Kanzler vor der mitreisenden Presse. „Jetzt muss das auch in ganz Europa erfolgen. Das Gleiche gilt auch hier, für die USA.“
Doch Biden kann hier nicht liefern. Er braucht den Kongress. Und dort haben die oppositionellen Republikaner aufgrund der Mehrheitsverhältnisse ein ordentliches Wort mitzureden. Und dieses Wort lautete in den vergangenen Monaten: Nein. Zwar stellt sich nur eine Minderheit innerhalb der GOP gegen zusätzliche Waffen für Kiew, doch es sind genug, um zumindest das Repräsentantenhaus in dieser Frage zu paralysieren. Der Präsident ist also ausgebremst. Das heißt: Will Scholz etwas erreichen, muss er es selbst tun.
Es ist nicht so, als würde er es nicht versuchen. Am Abend vor seinem Treffen mit Biden hatte Scholz mit einigen ausgewählten Senatoren gespeist, darunter der Trump-Vertraute Lindsey Graham. Auch hatte das Bundespresseamt einen Meinungsbeitrag des Kanzlers im „Wall Street Journal“ platziert, dessen Meinungsseite als Zentralorgan des intellektuellen Konservatismus gilt. Geändert haben diese Vorstöße gleichwohl nichts. Der Widerstand der GOP, insbesondere im Repräsentantenhaus, ist ungebrochen. Scholz‘ Vorstöße werden bestenfalls zur Kenntnis genommen. Das war’s.
Für die Bundesregierung ist dies ein lehrreicher Moment. Seit Bidens Amtsantritt hatte man sich, so scheint es, daran gewöhnt, in Washington bevorzugt behandelt zu werden. Und man hatte gehofft, dass dies zumindest für die Amtszeit des Präsidenten so bleiben würde. Doch Bidens innenpolitische Blockade führt den Deutschen nun jetzt schon vor Augen, wie die Zukunft für sie aussehen könnte. Natürlich wird die Bundesrepublik in Washington auch jenseits des Weißen Hauses geschätzt und respektiert. Doch die spezielle Führsorge, mit der Biden sie behandelt, ist eine Besonderheit dieses Präsidenten. Darauf muss Berlin sich einstellen – oder hätte es sogar schon längst tun müssen. Und das nicht nur, weil im kommenden Jahr vielleicht schon wieder Donald Trump im Oval Office sitzt. Spätestens dann dürfte es mit den Freundschaftsgesten vorbei sein.
Das weiß natürlich auch die Bundesregierung. Und deshalb bemüht sie sich seit Monaten, Drähte zu den Republikanern aufzubauen, um im Zweifel ihre Sicht der Dinge vortragen und möglicherweise Einfluss nehmen zu können. Doch wenn Scholz‘ Versuch, die Ukraine-Hilfen im Kongress loszuschütteln die Generalprobe für einen solchen Fall sein sollte, dann ist sie nicht geglückt. Scholz kann die Blockade im Kongress natürlich nicht beenden. Das zu erwarten, wäre naiv. Allerdings scheinen seine Appelle auf die Gegner der Ukraine-Hilfen überhaupt keinen Eindruck gemacht zu haben. Für eine Post-Biden-Zeit ist das kein gutes Signal. Egal, wann sie beginnt.
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