Wenn man die republikanischen Kongressabgeordneten beobachtet, die sich gegen eine Verlängerung der US-Hilfe für die Ukraine aussprechen, kann man sich nur fragen: Was ist aus einer der beiden großen politischen Parteien der USA geworden? Das Gleiche gilt für jene Republikaner, die vorgeben, die Ukraine zu unterstützen – gleichzeitig aber zulassen, dass ihre Parteikollegen die Ukraine als Geisel für nicht damit zusammenhängende Grenzprobleme zwischen den USA und Mexiko nehmen.
Angesichts der katastrophalen Folgen eines möglichen russischen Triumphs in der Ukraine ist es mehr als klar: Die Unterstützung der ukrainischen Kriegsanstrengungen sollte oberste außenpolitische Priorität haben. Aber es scheint, dass einige Mitglieder des Kongresses an grundlegende historische Fakten erinnert werden müssen.
1916 wurde US-Präsident Woodrow Wilson mit dem Slogan „Er hat uns vor dem Krieg bewahrt“ wiedergewählt, der sich auf den Ersten Weltkrieg bezog. Dieser Satz ist auf eine Tradition zurückzuführen, die bis zur Gründung der USA zurückreicht. Wie John Quincy Adams es 1821 formulierte, gehen die USA nicht „ins Ausland auf der Suche nach Ungeheuern, die es zu vernichten gilt“.
Zur Person
Jeffrey Frankel ist Professor für Kapitalbildung und Wachstum an der Harvard University und war Mitglied des Rates der Wirtschaftsberater von Präsident Bill Clinton.
Nichtsdestotrotz traten die USA 1917 doch noch in den Ersten Weltkrieg ein. Der Grund: Deutschland hatte seine U-Boot-Angriffe auf neutrale Schiffe wieder aufgenommen, was den Verlust amerikanischer Menschenleben zur Folge hatte. Die Ankunft der US-Streitkräfte in Europa spielte eine entscheidende Rolle bei der Verschiebung des Kräfteverhältnisses. Sie ermöglichte den Alliierten den Sieg über Deutschland und führte am 11. November 1918 zum Waffenstillstand.
Während der Versailler Verhandlungen von 1919 überzeugte Wilson die europäischen Mächte, sich für eine neue Weltordnung einzusetzen. Daraus resultiere die Gründung des Völkerbundes. Ein Wiederaufleben des Isolationismus führte jedoch dazu, dass der Senat den Vertrag von Versailles ablehnte. Die USA konnte somit nicht dem Völkerbund beitreten. Dieser isolationistische Trend spiegelte sich auch in den strengen Schutzzöllen wider, die die Große Depression schlimmer machten, als sie sein musste.
Zwei Jahrzehnte später erkannte Präsident Franklin Roosevelt den überwältigenden Widerstand der Öffentlichkeit gegen den Eintritt in den Zweiten Weltkrieg und gelobte während seiner Wiederwahlkampagne 1940, die USA aus ausländischen Konflikten herauszuhalten. Anstatt amerikanische Truppen nach Europa zu entsenden, positionierte er die USA als „Arsenal der Demokratie“. Er schickte Militärhilfe an das Vereinigte Königreich, das damals praktisch allein gegen die Kriegsmaschinerie der Nazis stand. 1941 drängte Roosevelts Kriegsminister Henry Stimson den Ausschuss für Auswärtige Beziehungen des Senats, dem Lend-Lease-Gesetz zuzustimmen, und argumentierte, dass die Versorgung der Alliierten mit lebenswichtigen Ressourcen gleichbedeutend mit dem „Kauf unserer eigenen Sicherheit“ sei.
Diese strategische Debatte wurde gegenstandslos, als Japan im Dezember 1941, weniger als ein Jahr nach Roosevelts dritter Amtszeit, Pearl Harbor angriff und die USA zum Eintritt in den Zweiten Weltkrieg zwang. Am Ende des Krieges waren die Amerikaner der Ansicht, dass die Europäer nicht in der Lage seien, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln. Um eine weitere globale Katastrophe zu verhindern, so die Überlegung, müssten die USA eine aktivere globale Führungsrolle übernehmen.
In den darauffolgenden Jahren führten die USA den Marshallplan und die Gründung der NATO, der Bretton-Woods-Institutionen und anderer Pfeiler der liberalen internationalen Ordnung an. Diese Strategie erwies sich als spektakulär erfolgreich und leitete acht Jahrzehnte relativen Friedens und Wohlstands in weiten Teilen der Welt. Während der gesamten Ära der Pax Americana war die Anwendung von Gewalt zur Neuziehung nationaler Grenzen sehr selten.
Freilich unterstützten die USA häufig Regime, die von ihren eigenen Bürgern nicht unterstützt wurden, und begannen unnötige Konfrontationen mit vermeintlichen Gegnern. Dieser Ansatz wurde durch den Glauben genährt, dass kleinere Konflikte in Übersee zukünftige große Kriege verhindern könnten. Dies führte zu einem übermäßigen Rückgriff auf militärische Interventionen.
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Dies zeigte sich in den Kriegen in Vietnam und im Irak. In Vietnam missverstanden die USA eine antikoloniale Unabhängigkeitsbewegung als Stellvertreter der Sowjetunion und Chinas. Im Irak reagierten die USA auf die Terroranschläge vom 11. September 2001, indem sie in ein Land einmarschierten, das nichts mit diesen zu tun hatte. Beide Interventionen waren schlecht durchdacht und kosteten viele Menschenleben und Ressourcen.
Zeitweise hat das Pendel der amerikanischen öffentlichen Meinung wieder in Richtung Nichteinmischung ausgeschlagen. Aber die Geschichte hat gezeigt, dass diese Phasen in der Regel nur von kurzer Dauer sind.
Seit Februar 2022 haben die USA rund 75 Milliarden Dollar für die Ukraine bereitgestellt. Dies ist zwar eine beträchtliche Summe, sie liegt aber im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt niedriger als die Hilfe vieler europäischer Länder, insbesondere Skandinaviens und Osteuropas. Zum Vergleich: Die gesamten Militärausgaben der USA beliefen sich 2022 auf 812 Milliarden Dollar. Der Irak-Krieg, der nichts zur nationalen Sicherheit der USA beitrug und fast 500.000 Menschenleben kostete, hat schätzungsweise drei Billionen Dollar verschlungen.
Anders als in Vietnam, Afghanistan und Irak unterstützen die Ukrainer eine demokratisch gewählte Regierung. Sie verteidigen ihr Land aus eigener Kraft gegen eine Invasion. Der Grundsatz, dass Staatsgrenzen nicht gewaltsam verändert werden dürfen, ist von entscheidender Bedeutung für die Aufrechterhaltung der globalen Stabilität und die Verhinderung künftiger Angriffskriege.
Sicher: Die USA haben gute Gründe, eine direkte Konfrontation mit Russland zu vermeiden. Aber die Ukrainer bitten lediglich um die Chance, sich weiterhin adäquat verteidigen zu können. So wie es der britische Premier Winston Churchill 1940 von Roosevelt forderte. Im Gegensatz zu den außenpolitischen Fehltritten der USA in der jüngeren Vergangenheit ist die Unterstützung der Ukraine nicht mit dem Verlust von US-Soldaten verbunden – und trägt in der Tat zur nationalen Sicherheit bei.
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