Tauchsieder

Israel und Gaza: Was kommt nach dem Krieg?

Drei Monate nach dem Terrorangriff der Hamas droht Benjamin Netanjahus Israel sich und seine Freunde in einem ziellosen Zerstörungskrieg zu verlieren: Wo bleibt die Perspektive für Gaza – und wer pfeift die Siedler zurück? Eine Kolumne.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Ein Ja zu Israel. Kein Aber. Dabei bleibt es. Die Mörderbanden der Hamas haben die Kette der politischen Gründe und Gegengründe im Nahost-Konflikt am 7. Oktober 2023 zerrissen – und allen historischen Kontext mit einem Statement elementarer Amoralität zerstört: Ihr wahlloser Terror sollte als Zeichen entschiedener Täterschaft verstanden werden – und es ist Israel nicht vorzuwerfen, dass es die Botschaft der Hamas richtig liest und seit drei Monaten beantwortet. Die Mullahs in Teheran, die vom Iran gesteuerte Hamas in Gaza und die Hisbollah im Libanon wollen den Staat Israel vernichten, die „Zionisten“ vertreiben, die Juden ermorden.

Legte Israel heute alle Waffen nieder, wäre es morgen ausradiert. Würden die Juden Israels nicht ihren 1948 mit dem Segen der Vereinten Nationen gegründeten Staat verteidigen, würden sie abermals zu Hunderttausenden verschleppt, vertrieben, ermordet, weil sie Juden sind – diesmal von islamistischen Gotteskriegern.

Es bleibt dabei: Alle Welt leidet mit den unschuldigen Alten, Frauen, Männern und Kindern in Gaza – bis auf die Gewaltunternehmer der Hamas, die sie in Geiselhaft nehmen für ihre genozidalen Ziele, die sie als Schutzschild missbrauchen und ihr Leid instrumentalisieren für propagandistische Zwecke – um mit Bildern der Zerstörung, der Armut und des Leids den Zorn der Islamisten in aller Welt bewirtschaften zu können.

Deutschland steht an der Seite Israels. Aber wo stehen die Deutschen? Sie wollen nichts Falsches sagen – und bleiben moralisch indifferent. Eine Kolumne.
von Dieter Schnaas

Die Hamas eröffnet den Menschen in Gaza keine Perspektive auf Wohlstand und Frieden. Die Hamas sieht in den Massakern des 7. Oktober 2023 nur eine „Generalprobe“. Die Hamas nährt den Krieg, um den Krieg zu nähren. Die Hamas hält immer noch rund 150 Geiseln fest. Die Hamas feuert jeden Tag ungesteuerte Raketen in Richtung israelischer Wohngebiete ab. Es ist und bleibt daher skandalös, dass UN-Generalsekretär Antonio Guterres sich vor einem Monat auf „die Wahrung des Weltfriedens“ (Artikel 99 der UN-Charta) bezogen hat, um den Sicherheitsrat dazu zu bewegen, Israel auf eine „humanitäre Waffenruhe“ zu verpflichten – ohne die Befreiung Gazas (und Israels) von der Terrororganisation Hamas zu fordern, ihre allen UN-Normen Hohn sprechenden Vernichtungsziele auch nur zu erwähnen.

Welches Israel unterstützen wir bedingungslos?

Ein Ja zu Israel. Kein Aber. Plus Kritik, weil Israel sich inzwischen in einem uferlos wirkenden Zerstörungskrieg zu verlieren und dabei auch seine Freunde weltdiplomatisch zu schwächen droht. Diese Kritik entzündet sich vor allem an drei Fragen.

Erstens: Welchem Israel gegenüber bekunden wir unsere staatsräsonale Solidarität?
Zweitens: An welchem Punkt schlägt das Selbstverteidigungsrecht Israels in einen politisch folgenreichen Abbau von Perspektiven zur Lösung des Nahostkonflikts um?
Drittens: Sind die vier Kriegsziele Israels (Befreiung der Geiseln, Sturz der Hamas, Zerstörung ihrer militärischen Kapazitäten, dauerhafte Sicherung des Staates) erreichbar – und die militärischen Mittel zu ihrer Erreichung (viele tausend zivile Opfer bei der Bombardierung und Einnahme des Gazastreifens) verhältnismäßig?

Welches Israel unterstützen wir bedingungslos? Natürlich das in seiner staatlichen Verfasstheit bedrohte Israel als völkerrechtlich verbriefter Schutzraum des jüdischen Volkes – gegen alle, die ihm das Existenzrecht absprechen. Dabei geht es auch um die Verteidigung der Freiheit, der Demokratie und der Menschenrechte im arabischen Raum: Jeder weiß, dass Faschismus und Imperialismus inzwischen (mit dem Segen Pekings) von Berlin und Washington nach Moskau und Teheran umgezogen sind – und dass „Free Palestine“ zu den verlogensten Formeln der politischen Linken zählt, weil nichts so sehr die Knechtschaft der Palästinenser garantieren würde wie ein von Gotteskriegern „befreites Palästina“.

Aber unterstützen wir auch das Israel der jüdischen Siedler im Westjordanland – das Israel der Tora, das Land Kanaan, auf dessen Boden fromme Juden einen heiligen Anspruch zu haben glauben? Unterstützen wir das gegenwärtige Israel Benjamin Netanjahus, dessen Regierung Siedler zur völkerrechtswidrigen Landnahme ermuntert und die systematische Vertreibung und Tötung „ungläubiger“ Palästinenser polizeilich dulden lässt?

Eine Regierung, die eine Zwei-Staaten-Lösung nicht nur ablehnt, sondern auch immer wieder unterlaufen hat? Eine Regierung, die den Eindruck erweckt, den Gazastreifen in Schutt und Asche legen zu wollen, um ihn auf Dauer unbewohnbar zu machen? Eine Regierung, die eine Umsiedlung der Palästinenser, zum Beispiel in den Kongo, vorbereitet?

Und weiter: Unterstützen wir eine Regierung, die für sich in Anspruch nimmt, im Kampf gegen die Hamas auch westliche Werte zu verteidigen, während sie zugleich permanent das Völkerrecht unterläuft (Blackout in Gaza, Verstöße gegen das Oslo-Abkommen)? Eine Regierung, die seit zwei Monaten ihre engsten Freunde vor den Kopf stößt und alle gutgemeinten Ratschläge, sich von ihrem Zorn nicht verzehren zu lassen (US-Präsident Joe Biden), um keine Legitimitätsverluste zu erleiden oder eine Entgrenzung des Konflikts zu riskieren, in den Wind schlägt?

Ein schwieriger Balanceakt

Der französische Präsident Emmanuel Macron hat Israel in den ersten Kriegswochen ermahnt: „Der Kampf muss gnadenlos sein, aber nicht ohne Regeln, denn wir sind Demokratien, die gegen Terroristen kämpfen – Demokratien, die das Kriegsrecht respektieren und humanitäre Hilfe zulassen.“ Hat Netanjahu seine Regierung und seine Militärs (je? noch?) bedingungslos hinter diesem Satz versammeln wollen? Wer Zivilisten nicht schone, treibe sie in die Arme des Feindes, warnte zuletzt US-Verteidigungsminister Lloyd Austin: „Und auf den taktischen Sieg folgt die strategische Niederlage.“ Kann Netanjahu, der offenbar mit demonstrativer Unerbittlichkeit sein sicherheitspolitisches Versagen zu kompensieren meint und militärische Härte als eine Art Rückversicherung zur Verlängerung seiner Amtszeit begreifen muss, für diese Sätze überhaupt empfänglich sein?

Die USA, Europa und Deutschland haben in den nächsten Wochen einen schwierigen, paradox anmutenden Balanceakt zu meistern: Sie müssen in aller Freundschaft und überzeugter Verbundenheit mit dem „Israel“, das ein Existenzrecht besitzt, den Druck auf Netanjahus „Israel“ erhöhen – um die Werte des Westens gegen seine Feinde in Teheran, Beirut und Gaza, aber auch vor sich selbst glaubhaft verteidigen zu können. Denn der Vorwurf der Doppelmoral, der „den Westen“ aus fast allen Teilen des „Globalen Südens“ erreicht, wird ja nicht dadurch gegenstandslos, dass die Doppelmoral derer, die ihn erheben (allen voran Recep Tayyip Erdogan) unendlich viel größer ist: Alle Fahnenträger der „palästinensischen Sache“ sind vor allem daran interessiert, von „den Palästinensern“ nicht behelligt zu werden; die Glaubensbrüder sollen ein Stachel im Fleisch Israels sein, aber keinesfalls zugewanderte Ägypter, Araber, Türken werden.

Frauenförderung à la Siemens Siemens-Managerin klagt an: Nutzt der Konzern Compliance als Mitarbeiter-Entsorgungstool?

Der Fall einer Siemens-Managerin, die schwanger wurde und nun um ihren Job kämpfen muss, erschüttert den Dax-Konzern. Nun droht der mit ihr verheiratete Personalchef in Mitleidenschaft gezogen zu werden.

Zugewinnausgleich Wie viel können sich Eheleute steuerfrei vererben?

Ein Paar ist seit gut 40 Jahre verheiratet. Jetzt machen sich die Eheleute Gedanken über die Erbschaftsteuer – und sind auf einen besonderen Steuervorteil gestoßen. Eine Fallanalyse.

Wärmepumpen Um den Heizungsmarkt zu erobern, kommt es nicht auf die Qualität der Wärmepumpe an

Asiatische Hersteller, hieß es vor einem Jahr, würden bald den deutschen Markt fluten mit ihren Wärmepumpen. Jetzt zeigt sich: Es ist so weit.

 Weitere Plus-Artikel lesen Sie hier

Washington, Brüssel und Berlin müssen Netanjahu daher verdeutlichen, dass ihre bedingungslose Unterstützung Israels als staatlicher Schutzraum des jüdischen Volkes an vier regierungspraktische Mindestbedingungen geknüpft ist: keine Vertreibungen, keine Grenzverschiebungen, eine politische Perspektive für Gaza, eine diplomatische Wiederbelebung der Zwei-Staaten-Lösung. Misslingt das, droht nicht nur ein Konflikt zu eskalieren, der bereits heikel entgrenzt ist (die Huthis im Jemen torpedieren Schiffe im Roten Meer, die Hisbollah beschießt Israel aus dem Libanon, der Iran greift US-Stützpunkte in Syrien an) – sondern auch eine schnelle Erosion des Völkerrechts und der universalen Menschenrechte sowie ein beschleunigter Ansehens- und Machtverlust der USA und Europa: in der muslimischen Welt und weit darüber hinaus.

Lesen Sie auch: „Professioneller Finanzapparat“: Wie sich die Hisbollah mit Geld versorgt

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%