Tauchsieder
Iranische junge Frauen, die ihr obligatorisches islamisches Kopftuch nicht tragen, gehen in Teheran an einem Banner vorbei, das den Abschuss von Raketen auf einer iranischen Landkarte zeigt (li.). Eine ballistische Rakete liegt am Ufer des Toten Meeres, nachdem der Iran Drohnen und Raketen in Richtung Israel abgeschossen hat (re.) Quelle: dpa Picture-Alliance

Kühl kontrollierte Eskalation?

Iran und Israel liefern sich einen militärischen Schlagabtausch, der zwischen Zurückhaltung und Zuspitzung oszilliert. Man sendet Signale, testet den Feind – und riskiert mit symbolischer Gewalt Entgrenzung. Eine Kolumne.

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Niemand weiß mehr nichts Genaues nicht über den militärischen Konflikt zwischen Iran und Israel. Deshalb entgleist noch vor dem Nahostkrieg seine politische Exegese: Viele politische Beobachter gehen desto sparsamer mit Punkten, Kommata und Fragezeichen um, je undurchsichtiger, heikler und komplexer die Situation ist – und streuen statt dessen besonders viele Ausrufezeichen über ihre Texte, um von ihrer Ratlosigkeit abzulenken.

Hat Israel am vergangenen Freitag einen Militärstützpunkt im iranischen Isfahan oder das nukleare Forschungszentrum des Landes angegriffen? Und wenn ja: Wie erfolgreich war die Attacke? Und welchem Zwecke diente sie? Wollte Israel den Mullahs einmal mehr beweisen, dass man mühelos Ziele im Iran angreifen kann? Und warum dementiert Teheran mal den mutmaßlichen Beschuss und mal dessen Provenienz? Weil die Mullahs Angst vor den Iranerinnen und Iranern haben, jeden Anschein von Verwundbarkeit und Schwäche vermeiden wollen? Wie geht es jetzt weiter? Ist die direkte militärische Konfrontation beider Länder vorerst beendet, weil beide „ihr Mütchen gekühlt“ haben? Oder erleben wir gerade das militärische Vorgeplänkel für einen großen Krieg in der Region? Fragen über Fragen.

Fest steht nur zweierlei. Erstens: Der Nahostkonflikt beschränkt sich seit einer Woche nicht mehr auf den Austausch militärischer Feindseligkeiten zwischen den willfährigen Handlangern des Iran – Hamas, Hisbollah, Huthis - und Israel: Die Mullahs haben Israel am vergangenen Sonntag erstmals direkt angegriffen. Zweitens: Das Kräftemessen oszilliert auf beiden Seiten hochriskant zwischen Zurückhaltung und Zuspitzung. Man sendet Botschaften, testet den Feind und kommuniziert mit Waffen, nach außen wie nach innen. Man handelt auf der Grundlage konkurrierender Logiken der Provokation und Bedrohung, der kalkulierten Selbstbehauptung und kalibrierten Fremdwahrnehmung – und provoziert gerade dadurch vermeintliche (Fehl-)Annahmen. Man reagiert auf widersprüchliche Signale, Eventualitäten und Vermeintlichkeiten – und riskiert mit dem Einsatz symbolischer Gewalt ihre Entgrenzung.



Wie zum Beispiel ist der Angriff der iranischen Gotteskrieger auf Israel am vergangenen Sonntag (14. April) zu bewerten? Manche Beobachter meinen, wir haben es mit dem Paradox einer kühl berechneten Eskalation zu tun. Demnach haben die Mullahs 300 Drohnen, Marschflugkörper und ballistische Raketen gleichsam simulativ in Richtung Israel abgefeuert, also vor allem in Rücksicht auf sich selbst, zur Beruhigung der aufgeputschten Glaubensbrüder und als medial vermitteltes Weltereignis, frei nach Jean Baudrillard und Marshall McLuhan: Es passiert was und es geschieht zugleich nichts, denn die „echte Welt“ teilt sich uns nurmehr im Widerschein ihrer kommunikativen Botschaft mit: „The weapon is the message.“ Das Regime in Teheran habe „sein Gesicht wahren“, sich „Stärke“ beweisen und „Vergeltung“ üben müssen für die Israel zugeschriebene Zerstörung der Botschaft Irans in der syrischen Hauptstadt Damaskus (2. April) – mithin den Angriff fingiert, nicht wirklich durchgeführt: „designed to be easily intercepted“, schrieb etwa der US-Politikwissenschaftler Ian Bremmer.

Hat Iran den Ernstfall geprobt?

Folgt man dem Narrativ, haben die Mullahs nur (gerade so viele) Geschosse abgefeuert, von denen sie annehmen durften, dass Israel und seine Verbündeten sie mehrheitlich abfangen würden, womöglich habe Teheran die Angegriffenen sogar Tage zuvor über Details seines Angriffs informiert. Und tatsächlich: Israel und seine militärischen Garantiemächte, voran die USA, aber auch Großbritannien und Frankreich, waren bestens unterrichtet und gerüstet. Auch beeilte sich der Botschafter Irans bei den Vereinten Nationen, noch während die Drohnen und Marschflugkörper der Mullahs sich auf Israel zubewegten, die vermeintliche Eskalation zu deeskalieren: Man habe nur von seinem Selbstverteidigungsrecht Gebrauch gemacht, nichts weiter: „The matter can be deemed concluded.“ Einige vulgärhegelianisch gestimmte Beobachter meinten deshalb gar eine „Dialektik der Geschichte“ am Werk zu sehen: Der kalkulierte Angriff Irans auf Israel erhöhe nicht etwa das Risiko eines großen Krieges in der Region, sondern sei als listig-abgestimmter Vernunftbeitrag zu dessen Verhinderung zu verstehen.

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Wahrscheinlicher ist, dass die Teheraner Theokraten den Ernstfall geprobt haben. Es ging ihnen einerseits darum, die Verteidigungsfähigkeit Israels zu testen und andererseits darum, etwaige Fortschritte in der Hass-Mobilisierung und Zornbewirtschaftung der muslimischen Bevölkerungen in der Region zu begutachten. In beiden Hinsichten war der Angriff ein kapitaler Fehlschlag. Die Militärs in Jordanien haben nicht akzeptiert, dass ihr Luftraum religionspolitisch genutzt wird und Drohnen vom Himmel geholt; auch Saudi-Arabien widersetzte sich entschieden dem Versuch Irans, mit seinem Waffengang Hegemonialansprüche in der Region zu markieren.

Vor allem aber war in der vergangenen Woche nichts zu sehen von Solidarisierungen mit den Mullahs: Man schwenkt gerne Palästina-Flaggen in vielen arabischen Staaten und feiert die Hamas, aber hinter deren Geld- und Auftraggebern versammelt sich niemand. Im Gegenteil. Der Einfluss der Mullahs reicht nach Syrien, in den Irak, in den Süden Libanons und den Westen des Jemens, wird aber überall sonst, von Ägypten bis zu den Golfstaaten, schroff zurückgewiesen. Die westlichen Partner Israels, allen voran US-Präsident Joe Biden, haben daher abermals klug agiert, indem sie Israel nach dem Angriff Irans zur Zurückhaltung aufgefordert und ermuntert haben, die Abwehr als „Defensivsieg“ (Außenministerin Annalena Baerbock), als eindrucksvolle Demonstration einer „remarkable capacity to defend“ zu verstehen, als klare Botschaft, „that they (the regime in Teheran) cannot effictively threaten the security of Israel.“ Und es kann gewiss nicht schaden, dass Israel – wie erwartet – ein paar Tage später mit einem gezielten Schlag auf Isfahan noch einmal unterstreicht, dass dasselbe umgekehrt nicht gilt.

Klug deshalb, weil sich Israel eine politische Großchance eröffnet – oder auch, wie manche mutmaßen: eröffnet hat. Wollte Israel mit der Tötung zweier ranghoher „Revolutionsgardisten“ in der iranischen Botschaft in Damaskus einen Gegenschlag Irans provozieren, um sich wieder der zuletzt stark bröckelnden Solidarität der Partner (wegen zahlreicher Verletzungen des Völkerrechts in Gaza und im Westjordanland) zu versichern? Es wäre politisch naiv, Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu ein solches Kalkül nicht zuzutrauen.

Eindämmung der Mullahs ist die politische Primäraufgabe

So oder so: Der Wille zur Stabilisierung der Region unter Einschluss Israels, bis zum 7. Oktober 2023 durchaus verbreitet in der Region („Abraham Accords“), ist nach dem beispiellosen militärischen Angriff des Iran auf Israel wieder zurück auf der Tagesordnung. Und auch, wenn es unwahrscheinlich ist: Netanjahu könnte das politische Momentum nutzen. Eine Lösung der Palästinafrage und ein entschiedenes Containment des iranischen Regimes schließen sich nicht aus.



Im Gegenteil: Die Eindämmung der Mullahs ist die politische Primäraufgabe in der Region, auch für Israel. Die Theokraten wollen Israel vernichten – und sie werden es tun, wenn man ihnen die Gelegenheit dazu verschafft. Die Vertreibung und Tötung der Juden ist kein Wunschprojekt der Gotteskrieger, sondern ihr politreligiöses Leitrational, ihr „heiliger“ Auftrag. Und die Zeit ist knapp. Experten gehen davon aus, dass die Mullahs in zwei Jahren, vielleicht schon vorher, ballistische Raketen mit Atomsprengköpfen bestücken können – und niemand sollte zweifeln, dass die religiösen Staatsterroristen auf den Gedanken verfallen könnten, sie einzusetzen.

Israel seinerseits hat mit dem Vernichtungswillen und politischen Prärogativ Irans stets gerechnet und immer auf die Risiken eines lückenhaft kontrollierten Atomprogramms hingewiesen, dass die Risiken der nuklearen Zurüstung Irans nicht minimiert, sondern maximiert – den Aufstieg Irans zur Atommacht allerdings schon gar nicht seit der Aussetzung des Programms und mit gezielten Angriffen auf Wissenschaftler und Anlagen verhindern können.

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Der Schlagabtausch mit dem Iran birgt daher sehr wohl das Risiko einer „kontrollierten Eskalation“ – wenn auch ganz anders als gedacht: Wir haben es nicht mit einem kalkulierten Austausch militärischer Feindseligkeiten zu tun, sondern mit dem Risiko, dass konkurrierende Handlungslogiken – staatsdoktrinärer Vernichtungswille in Teheran versus atomare Elementarbedrohung in Jerusalem – eine militärische Eigendynamik entwickeln, die jede politische Lösung ausschließt, und die Region verlässlich über den Abgrund hinaus führt. Der Aufstieg der religiösen Eiferer zur Atommacht ist für den gesamten Nahen Osten mindestens so riskant wie ein Präventivschlag Israels, um ihn auf den letzten Metern doch noch zu verhindern. Beide Risiken eskalieren seit einer Woche. Vorerst kontrolliert. Aber sie eskalieren.

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