Ukraine-Krieg Für Friedensgespräche mit Russland ist es zu früh

Ukrainische Soldaten stehen vor einem Leopard-2-Panzer in der Oblast Donezk im Osten der Ukraine. In der aktuellen Diskussion werden die Fähigkeiten des Leopard 2 angezweifelt. Munition für den Flugabwehrkanonenpanzer Gepard steht nach der Herstellung in einer Verpackung. Quelle: imago images

Die Ukraine steht nach zwei Jahren Krieg mit dem Rücken zur Wand. Für Verhandlungen ist ihre Position zu schwach, sie würden mit einem russischen Diktatfrieden enden. Wenn der Westen das nicht will, muss er wirksame Waffen liefern. Ein Essay.

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Vor einem Jahr überwog noch die Zuversicht. Europa und die USA zogen bei der Unterstützung der Ukraine an einem Strang, die Lieferung von Waffen an das überfallene Land war, wenn auch langsam, in Gang gekommen und der ukrainischen Armee gelangen erste Rückeroberungen. Für den Sommer war eine Offensive geplant und viele im Westen setzten darauf, dass die Sanktionen gegen Wladimir Putin Wirkung zeigen und sein verbrecherisches Regime ökonomisch in die Knie zwingen oder zumindest schwächen könnten.

Inzwischen sind wir ein Jahr weiter und um eine Hoffnung ärmer. Am zweiten Jahrestag des Krieges, am 24. Februar, müssen wir nüchtern feststellen, dass die Ukraine auf dem Schlachtfeld das Momentum verloren hat. Mühsam zurückeroberte Gebiete mussten wieder den russischen Aggressoren überlassen werden. Zu Beginn des dritten Kriegsjahres fehlt es an fast allem: an Munition, Granaten, Fahrzeugen, Raketen, Panzern und Marschflugkörpern.

Die Zögerlichkeit vor allem der Bundesregierung hat sich inzwischen als fatal erwiesen. Zwar leistet Deutschland nach den USA aktuell die zweitgrößte finanzielle Unterstützung. Rechnet man aber um, welchen Anteil die Hilfszahlungen am jeweiligen BIP ausmachen, dann rangiert Deutschland hinter den osteuropäischen Nato-Staaten gerade einmal auf Rang acht. Kein Grund also, in Berlin die Backen aufzublasen, selbst wenn die beschämend geringe Hilfe von Frankreich, Italien und Spanien mehr als ärgerlich ist. Natürlich nimmt dort das konkrete Bedrohungsgefühl mit der Entfernung ab. Aber auch in Südeuropa kann man nicht mehr sicher leben, wenn Russland sich die Ukraine eines Tages ganz einverleiben und seine Truppen weiter in Richtung Westen schicken würde.

Zögerliche Umsetzung der Zeitenwende

Doch Geld ist gerade in diesem Krieg nicht alles. Entscheidend sind vielmehr die Lieferungen wirksamer Waffen. Es hat viel zu lange gedauert, bis der politisch richtigen Ausrufung der „Zeitenwende“ durch den Bundeskanzler auch konkrete Taten folgten. Zur Absurdität der zögerlichen und reaktiven Haltung der Bundesregierung zählt die Tatsache, dass anfangs sogar noch über die Frage gestritten wurde, ob eine Lieferung von 5000 deutschen Stahlhelmen Deutschland nicht in den Krieg hineinziehen würde. Dann folgten Debatten über gepanzerte Fahrzeuge wie den „Marder“, bis schließlich viel zu spät die erbetenen Leopard-2-Panzer geliefert wurden. Jedes Mal stand die Angst im Raum, Moskau zu provozieren. Der Kreml hat die Verzögerungen dankbar genutzt, ukrainische Offensiven abgewehrt und seine Stellungen entlang der Front massiv befestigt. Inzwischen sind die Leopard Panzer zerstört oder sie harren in Litauen ihrer Reparatur. Es hapert an Ersatzteilen ebenso wie am Nachschub neuer Leos.

Löchrige Luftabwehr

Vor allem aber fehlt es seit dem ersten Tag dieses Krieges an einer wirksamen Unterstützung der Ukraine in der Luft. Die Luftabwehr des Landes ist viel zu schwach. Ohnmächtig müssen die kriegsgeplagten Menschen zusehen, wie russische Raketen nicht nur wichtige militärische Ziele treffen, sondern auch lebenswichtige Infrastruktur wie Kraftwerke, Brücken und Straßen zerstören. Selbst vor Krankenhäusern, Wohngebäuden und sogar Schulen machen Putin und seine Generäle nicht Halt.

Die ebenfalls erst nach viel zu langem Zögern zugesagten F-16-Kampfjets sind noch lange nicht lieferbar. Nahezu ungehindert können Putins Truppen daher aus den Tiefen Russlands Nachschub in die besetzte Ostukraine transportieren. Die von Kiew flehentlich vorgetragene Bitte, doch endlich Taurus-Marschflugkörper zu liefern, lehnt der Bundeskanzler trotz vieler anders lautender Stimmen aus der Ampelkoalition ab. Die Ukraine hatte den westlichen Partnern zwar versprochen, im Fall einer Lieferung mit den Taurus-Flugkörpern keine Ziele in Russland anzugreifen, um eine Eskalation des Krieges zu vermeiden. Aber die Regierung in Kiew will die Waffe schon nutzen, um damit die Kertschbrücke zwischen der Krim und dem russischen Festland zu zerstören. Mit einer erfolgreichen Bombardierung der Brücke würde der Nachschub auf die Krim unterbrochen und Russland empfindlich getroffen.

Für diesen Fall hat Moskau dem Westen und allen voran Deutschland offenbar schlimmste Konsequenzen angedroht, auch wenn die Krim eben nicht russisches, sondern immer noch ukrainisches Staatsgebiet ist. Es steht somit die Frage im Raum, ob sich Deutschland und die anderen Nato-Staaten von den russischen Drohungen so einschüchtern lassen, dass diese militärisch entscheidende Hilfe für die Regierung in Kiew unterbleibt. Anders gefragt: Will man der überfallenen Ukraine wirklich die Möglichkeit verwehren, den im eigenen Land wütenden Aggressor anzugreifen und empfindlich zu treffen?  Was ist eine Nothilfe wert, wenn sie keine echte Notwehr ermöglicht?

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