Ampel-Regierung So will Lindner sich, Deutschland und die FDP retten

Christian Lindner übt die neue (alte) Profilierung der FDP Quelle: dpa

Bundesfinanzminister Christian Lindner trommelt für Steuerentlastungen bei der arbeitenden Bevölkerung und will die Sozialleistungen eindämmen. Kann die FDP so der politischen Todeszone von fünf Prozent bei den nächsten Wahlen entfliehen?

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Ostern ist vorbei. Nun probt Christian Lindner die Wiederauferstehung der FDP – durch eine klare Rückbesinnung auf liberale Grundwerte innerhalb der Ampelkoalition. „Auch die Leistung der Fach- und Führungskräfte sowie des Mittelstands muss anerkannt werden“, verkündet der Bundesfinanzminister und FDP-Chef via „Bild“-Zeitung. Einen entlastenden Nachschlag bei der Einkommensteuer, insbesondere noch höhere Grundfreibeträge für Erwachsene und Kinder, fordert er in der „Rheinischen Post“. Und bei der Nachrichtenagentur „dpa“ sagt er den heimlichen Steuererhöhungen durch Inflation und Lohnerhöhungen den Kampf an.

Zwischen den Zeilen scheint Lindner auszurufen: Nun ist endlich die FDP an der Reihe, der Ampel-Regierung ihren Stempel aufzudrücken. Tatsächlich haben die meisten Liberalen und viele Bürger den Eindruck, dass sich die Grünen in den gut zwei Ampel-Jahren rigoros durchgesetzt haben. In den Wahlumfragen spiegelt sich der Eindruck wider: Die Grünen können sich bei 13 bis 14 Prozent gut halten (Bundestagswahl 2021: 14,8 Prozent), die SPD rutscht um mehr als ein Drittel auf rund 16 Prozent ab, während die FDP sich von 11,5 Prozent mehr als halbiert hat und seit Monaten in der Todeszone von fünf Prozent befindet. Die bisherige Ausrichtung der Ampelpolitik geht offenbar sehr zulasten des Juniorpartners FDP.

Dem Volk aufs Maul schauen

Dabei ist die große Mehrheit der Bevölkerung mit der Ampel unzufrieden. Diese Regierung hat den Sozialstaat überreizt, lautet die überwiegende Stimmung laut Umfragen. Wer in der S-Bahn zur Arbeit fährt oder mit Handwerkern in einen Smalltalk gerät, erlebt den Unmut der arbeitenden Bevölkerung tagtäglich. Tenor: Wer nicht arbeitet, kassiere inzwischen übers Bürgergeld und andere Sozialleistungen fast das gleiche Einkommen und bekomme zudem eine Wohnung zu fast jedem Preis gestellt. Kann ja wohl nicht wahr sein!

Lesen Sie auch: Streit ums Bürgergeld: Wie groß ist das Problem Totalverweigerer wirklich?

Lindner spricht dies jetzt öffentlich aus und an. Das Bürgergeld werde von einer Mehrheit der Bevölkerung als ungerecht empfunden, weil es zu wenig Anreize zur Arbeitsaufnahme enthalte. Nun will der Finanzminister diese „Fehlentwicklungen korrigieren“.  Dazu gehören eben weitergehende Entlastungen durch höhere Grundfreibeträge, um wieder einen Lohnabstand zu den Bürgergeldempfängern zu schaffen. Das reicht Lindner aber nicht, um Balance zwischen Sozialleistungen und Leistungsgerechtigkeit herzustellen. Er will gleichzeitig mit Blick auf die wieder rasch gesunkene Inflation die massive Erhöhung des Bürgergeldes um zuletzt zwölf Prozent teilweise rückgängig machen.



Beides empört die Koalitionspartner, insbesondere die Grünen. Weder an der Höhe des Bürgergeldes noch an höheren Sanktionen bei Arbeitsverweigerern wollen sie rütteln lassen, betont etwa Andreas Audretsch, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag. Zurückhaltung auch bei der SPD. Es sei „absurd, bei der dramatischen Haushaltslage wieder über neue Schritte zur Bekämpfung der kalten Progression insbesondere für Spitzenverdiener nachzudenken“, twittert etwa Finanzsenator Andreas Dressel (SPD).

In der politischen Todeszone

Was bedeutet das für die Ampelkoalition? Streit natürlich. Aber auch die Chance zur gegenseitigen Profilierung – für die beiden Linksparteien und für die Freidemokraten. Mit einer Rückbesinnung auf die soziale Marktwirtschaft (im Sinne Ludwig Erhards) könnte es der FDP gelingen, für eine etwas größere Bevölkerungsgruppe wieder attraktiv zu werden und der politischen Todeszone von fünf Prozent bei den nächsten Wahlen zu entfliehen.

Kann Scholz Führung liefern?

Allerdings muss Lindner seinen neuen (eigentlich alten) Kurs nun auch halten, verteidigen und durchsetzen. Letzteres würde innerhalb dieser Koalition schon an ein kleines Wunder grenzen. Vielleicht zerlegt sich die Regierung darüber in den nächsten Monaten, in denen ja auch der Bundesetat für 2025 aufgestellt werden muss – und es offenbar eine Deckungslücke von 20 bis 30 Milliarden Euro gibt. Vielleicht besinnt sich aber auch Bundeskanzler Olaf Scholz auf seine Richtlinienkompetenz und die ihm zugesprochenen Wurzeln als hanseatischer Macher („Wer bei mir Führung bestellt, bekommt sie auch“) und schweißt die Koalition wieder zusammen.

Goldhandel Bekommt das Finanzamt vom Goldverkauf etwas mit?

Können Privatanleger ihr Gold auch steuerfrei verkaufen, wenn es keinen Nachweis zum Kauf gibt? Würde das Finanzamt überhaupt etwas mitbekommen? Das rät ein Experte.

Klage gegen Erwin Müller Ein Drogerie-Milliardär, seine Jagdfreunde und der große Streit ums Millionen-Erbe

Vor fast zehn Jahren hat der Ulmer Unternehmer Erwin Müller drei Jagdfreunde adoptiert. Sie hatten ursprünglich auf ihren Pflichtteil beim Erbe verzichtet – jetzt ziehen sie dagegen vor Gericht. 

Jobwechsel Wenn das hohe Gehalt zum Fluch wird

In seinem aktuellen Job verdient unser Leser zwar gut, ist aber unglücklich. Vergleichbare Stellen sind deutlich schlechter bezahlt. Wie kann er dieser Zwickmühle entkommen?

 Weitere Plus-Artikel lesen Sie hier

Handfeste Argumente hätte Scholz zur Hand: Deutschland steckt als einziges großes Industrieland in der Rezession, hohe Steuern vertreiben Investitionen und Arbeitsplätze ins Ausland, qualifizierte Fachkräfte machen angesichts hoher Steuer- und Sozialabgaben schon von vornherein einen Bogen um Deutschland. Viel Zeit bleibt der Ampelregierung bis zur nächsten Bundestagswahl nicht, um die politischen Rahmenbedingungen zu verbessern – für sich und für Deutschland.

Lesen Sie auch: Wovon die Menschen in Deutschland leben

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%