Bauernpräsident Joachim Rukwied „In Brüssel hat man den Ernst der Situation noch nicht erkannt“

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„Schweinebauern kämpfen um ihre Existenz“

Also können Sie sich vorstellen, dass deutsche Landwirte bald mit ihren Traktoren und Radladern die Autobahn blockieren?
Nochmals: Wir distanzieren uns von gewalttätigen Aktionen. Ich bin kein Freund von Autobahnblockaden. Wir als Bauernverband sind bereit, gemeinsam an Lösungen zu arbeiten, die Umweltschutz, Naturschutz, Biodiversität und Landwirtschaft in Zukunft ermöglichen. Wenn man diese ausgestreckte Hand des Berufsstands ergreift, wenn man mit uns an Lösungen arbeitet, dann sehe ich sehr wohl die Chance, dass wir mit der Gesellschaft die Landwirtschaft weiter entwickeln können. Wir wollen gemeinsam Lösungen erarbeiten, das ist unser Ansatz.

In nur einem Jahr haben 10 Prozent der Schweinebauern aufgegeben. Trotzdem hat zum Beispiel Aldi im Juli die Preise für Bratwurst und Kotelett gesenkt. Ist der Staat überhaupt der richtige Ansprechpartner, müssen wir nicht viel mehr für Fleisch zahlen?
Schweinebauern haben kein Geld mehr, die kämpfen um ihre Existenz. Deshalb brauchen wir beides: Wir brauchen eine staatliche Investitionsförderung und wir brauchen ein klares Bekenntnis des Lebensmittelhandels zu heimischer und hochwertiger Erzeugung. Wir brauchen auch ein Bekenntnis der Systemgastronomie, wir brauchen die Unterstützung der ganzen Kette. Es geht nicht nur um das Steak, sondern auch um verarbeitete Ware. Die muss ebenfalls höherpreisiger verkauft werden.

Wie viel teurer müsste das Kotelett aus Ihrer Sicht sein?
Das kann man nicht auf den Cent ausrechnen. Es gibt zwar solche Schätzungen, wie viel das Schwein mehr kosten müsste, aber im Moment ändert sich die Situation jeden Tag. Die Futter- und Energiekosten sind massiv angestiegen, die Düngerkosten haben sich vervierfacht. Die Schweinehalter müssen ein Einkommen erwirtschaften, müssen Eigenkapital für Investitionen aufbauen, da muss ein Gewinn da sein.

Und wenn die Kunden an der Theke dafür nicht zahlen wollen?
Wenn die Verbraucher und Verbraucherinnen mit der bewussten Entscheidung an der Theke da nicht mitgehen, wird der Strukturbruch in der Schweinehaltung unvermindert weitergehen. In Deutschland sind wir dann irgendwann nicht mehr in der Lage, die Bevölkerung mit Schweinefleisch zu versorgen. Das kommt dann beispielsweise aus Spanien. Wir haben 2021 in Deutschland ungefähr 2,5 Millionen Schweine abgebaut. Und die spanischen Landwirte haben einen Bestand von 3,5 Millionen Schweinen aufgebaut.

Ein Grund für die explodierenden Kosten zum Beispiel beim Dünger ist die Gaskrise. Jüngst wurde die Pipeline Nordstream 1 gewartet. Es fließt zwar wieder Gas, aber die Sorge vor einem Importstopp seitens Russland war deutlich zu spüren in Deutschland. Wie wie groß ist Ihre Angst, dass nun nach der Wartung nicht genügend Gas ankommt oder bald ein Importstopp Realität werden könnte?
Wenn kein Gas aus Russland mehr ankommt, dann könnte das massive Auswirkungen auf die Landwirtschaft haben. Stickstoff ist der wichtigste Dünger für uns, in der Produktion ist Gas mit 80 Prozent die wichtigste Energiequelle. Ohne Stickstoffdünger müssen wir je nach Kultur mit Ertragsrückgängen von dreißig bis fünfzig Prozent rechnen. Dann würden die zu erwartenden Ernten 2023 massiv einbrechen. Und bei Zuckerfabriken und Molkereien ist Gas auch die Hauptenergiequelle. Ohne Gas laufen die Molkereien nicht mehr. Dann würden die Milchbauern weiter Milch erzeugen, aber die Molkerei könnten diese nicht verarbeiten.

Welche politischen Maßnahmen fordern Sie, falls tatsächlich in den nächsten Tagen kein Gas ankommt?
Wir brauchen im Falle einer Rationierung von Gas eine ganz klare Priorisierung der Lebensmittelwirtschaft und der Düngemittelindustrie, sonst droht uns in Deutschland ein Ernährungsproblem.

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Bleiben ohne russisches Gas in Deutschland die Regale leer?
Bei Getreide und Brot sehen wir gefüllte Regale bis ins erste Quartal 2023 gesichert, weil die Verarbeitung nicht derart essenziell auf Gas angewiesen ist. Aber andere Lebensmittelverarbeiter können ohne Gas nicht produzieren. Wenn die Molkereien nicht genug Gas bekommen, hätten wir sehr schnell Engpässe bei Käse und Milchprodukten. Deshalb hoffen wir sehr, dass das Gas in den kommenden Tagen weiter fließt.

Lesen Sie auch: Bauern, Handel und die Inflation – das Beispiel Milch zeigt wie kein anderes den Dominoeffekt explodierender Kosten

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